Seit einer gefühlten Ewigkeit stehe ich vor dem riesigen Kleiderschrank und wühle durch die Regale, doch irgendwie springt mir heute absolut gar nichts ins Auge. Mädchen werden mein Problem verstehen, schließlich ergeht es uns doch allen gleich: Voller Kleiderschrank und trotzdem nichts zum Anziehen.
"Tadaaa!", grölt Livia, die ich auch oft Livie nenne, und springt hinter mir hervor. "Und? Was sagst du zu meinem neuen Schatz?", lächelt sie und dreht sich um die eigene Achse, damit ich ihr Outfit begutachten kann. Das dunkelblaue Kleid, welches sie sich erst diese Woche gekauft hat, passt ihr wie angegossen.
"Du bist wunderschön wie immer, die Jungs werden Schlage stehen", grinse ich sie an, während ich innerlich aufseufze. Ich gebe es ungerne zu, aber manchmal beneide ich Livia, sie ist die Perfektion in Person. Sie ist schön, groß, schlank, hat lange, blonde Haare und dazu diese eisblauen Augen, die einen immer aus der Fassung bringen – ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass sie jeden Kerl dieser Welt haben könnte. Im Gegensatz zu ihr bin ich nicht viel kleiner, dennoch habe ich mehr Kurven und ein paar Schwachstellen, die sie nicht aufweisen kann. Meine hellbraunen Haare und die rehbraunen Augen stechen nicht wirklich hervor, ich bin eher der durchschnittliche Typ, auf den keiner abfährt. Während Livia mit ihren 16 Jahren schon etliche Beziehungen und Abenteuer hinter sich hat, warte ich immer noch darauf, dass mich überhaupt ein Junge toll findet.
Ich weiß nicht, aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich ein wenig schüchtern bin und mir eben nicht so viel zutraue wie Livia, schon angefangen bei der Kleidung – und da wären wie wieder beim eigentlichen Thema.
"Oh man Milena, du kannst alles aus meinem Schrank haben. Wie wäre es damit?", fragt meine beste Freundin und hält mir ein schwarzes Kleid vor mein Gesicht. Es bedeckt die Oberschenkel ungefähr bis zur Mitte und hat unten noch ein Stückchen Spitze daran genäht, während vorne noch weiße Knöpfe dem Kleid das gewisse Etwas geben. Der Rücken, der ganz aus Spitze ist, sagt mir vollkommen zu und ich bin sofort hin und weg davon. Ich vermute, dass Livie es auch ganz neu hat, es wäre mir ja sonst sicherlich ins Auge gesprungen. Naja, wundern muss ich mich nicht, schließlich verdienen ihre Eltern mit ihrem Unternehmen mehr als genug Kohle, damit sie jede Woche shoppen gehen kann.
"Kann ich das anziehen?", frage ich etwas unsicher, woraufhin Livia nur ihre Augen verdreht. Meine beste Freundin ist es schon gewohnt, viel fort zu gehen, während ich damit gerade mal vor einem Monat angefangen habe. Einerseits, weil ich irgendwie kein Interesse daran hatte und andererseits, weil meine Eltern einfach überfürsorglich sind, was dieses Thema angeht. Das mit meinen Eltern wundert mich aber wenig, schließlich ist mein Vater Polizist und da bekommt man mit solchen grausamen Sachen zu tun, dass es einem echt Angst einjagt. Nun ja, mittlerweile bin ich aber schon alt genug, um auf mich aufzupassen, früher war ich im Gegensatz zu jetzt wirklich kindisch. Eine Frage stelle ich mir immer wieder: Warum zum Teufel bin ich nicht mit Livia und den anderen vor zwei Jahren in den Tanzkurs gegangen?! So würde ich mehr Leute kennen und wäre auch schon früher an das Nachtleben gewohnt – aber nein, ich musste mich wieder abmelden als ich gehört habe, dass die Mädchen in Kleidern oder Röcken auftauchen müssen – und ich hasste diese Sachen damals abartig, etwas anderes als Hosen habe ich nie angezogen. Nun kann ich dumme Pute es aber nicht mehr ändern und nur froh sein, dass ich jetzt endlich mal erwachsen geworden bin.
"Baby, ich hole uns was zu trinken, du bist viel zu verkrampft. Natürlich kannst du das anziehen, es ist verdammt sexy!" Während ich in das Kleid schlüpfe, geht Livia nach unten und holt etwas Alkohol. Nicht nur das Kleid, sondern auch alles andere borge ich mir von Livie aus, da mein Zeugs daheim einfach nicht fürs Fortgehen geeignet ist. Ich kann wirklich froh sein, dass ich so eine Freundin wie Livia habe, denn solche Menschen gibt es nicht oft. Drei Jahre sind wir schon nun beste Freundinnen und wenn ich ehrlich bin, ist sie auch meine einzige richtige Freundin. Meine Eltern und ich sind vor drei Jahren hergezogen, weil wir ein Haus von meiner Oma geerbt haben, welches einfach größer war als unser altes. Anfänglich wollte ich nicht weg, doch viel Mitspracherecht hatte ich nicht – natürlich nicht, schließlich war ich damals noch ein Kind. Mitten im Jahr die Schule zu wechseln war wirklich hart, irgendwie konnte ich mich nicht wirklich irgendwo dazufügen – nur Livia hat mich von Anfang an so genommen wie ich bin und seitdem sind wir einfach nur unzertrennlich.
"Na dann, auf einen schönen Abend!", meint Livia als sie mit 2 Gläsern Prosecco wieder bei mir ist und während wir trinken, stylen wir uns noch zu Ende. Da ich mich noch nicht allzu lange schminke und mir demnach auch nicht so viel zutraue, lasse ich heute Livie ans Werk – und als ich nach knapp einer Stunde vor dem Spiegel stehe, bin ich begeistert davon. Livia hat meine roten Stellen am Gesicht perfekt abgedeckt und mir ein schönes Rouge auf die Wangen aufgetragen. Meine Smokey Eyes sehen traumhaft aus und auch der rote Lippenstift macht meine Lippen unwiderstehlich, während meine Haare locker wie Engelslocken über meine Schultern fallen.
"Oh Gott, ich habe so eine heiße Freundin! Ich glaube du machst mir schon Konkurrenz in Sachen Jungs, die werden heute bei dir Schlange stehen!", grinst Livia mich an und fächert mit ihrer Hand herum, als wäre ihr heiß.
"Werden wir ja sehen", schmunzele ich und trinke einen heftigen Schluck aus meinem Glas. Irgendetwas Besonderes wird heute passieren, das habe ich im Gespür – ich hoffe nur, dass es morgen kein böses Erwachen geben wird...
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Zwei Herzen, eine Melodie
RomanceHerzchen,Blümchen, Schmetterlinge im Bauch und ganz viel Liebe – so oder zumindest so ähnlich hat sich Milena immer ihre erste Beziehung vorgestellt. Doch was läuft schon so im Leben, wie man es sich vorstellt? Paul, der größte Player der Stadt, erw...