Nicky
Sam blieb im Motel zurück und recherchierte noch etwas über die bisherigen Opfer, in der Hoffnung, noch etwas Brauchbares für den Fall finden zu können.
Dean und ich machten uns unterdessen auf den Weg zu meiner Unterkunft. Da es nur wenige Straßen von ihrem Motel entfernt war, entschieden wir uns, die kurze Strecke zu Fuß zu gehen. Es war kalt und da ich nur ein kurzes Top anhatte, zitterte ich unbewusst. Dean entging nicht, dass ich fror, denn er bot mir höflicherweise seine Jacke an. Dieser Gentleman.
Dankend lehnte ich ab. Ich brauchte keine Jacke. Ich wollte sie nicht brauchen. Und erst recht nicht seine. Schließlich wurde ich auch nie krank. Ich fing mir nicht mal eine Erkältung ein. Wenn ich so darüber nachdachte, war das schon etwas seltsam.
Das letzte Mal, als ich krank war, war ich so richtig krank. Damals war ich zwölf, fast dreizehn Jahre alt und die Ärzte sagten meinem Vater, dass ich sterben würde. Sie dachten, es sei das Beste, wenn ich es nicht wüsste und meine quasi letzten Tage auf Erden genießen sollte. Diese Idioten. Dachten sie denn wirklich, dass ich es nicht wusste? Natürlich wusste ich es. Ich war schließlich nicht blöd.
„Warum bist du nur so verdammt stur?", murrte mich Dean an und riss mich aus meinen Gedanken.
„Ich bin nicht stur. Mir ist auch nicht kalt und ich brauch auch deine Jacke nicht!", mürrisch rieb ich über meine Oberarme. Mit einem Seufzen verdrehte er die Augen und zog seine Jacke aus.
„Was machst..." ehe ich weitersprechen konnte, wickelte er mich in seine warme Jacke. Die nächsten Minuten verliefen schweigend. Um die unangenehme Stille zu brechen, schielte ich zu ihm und lächelte leicht.
„Deine Nase sieht echt scheiße aus", murmelte ich und richtete meinen Blick wieder geradeaus. Es tat mir ja fast leid, dass ich ihm die Nase gebrochen hatte. Aber auch nur fast. Schließlich hatte er versucht, mich zu töten, also war es nur gerecht. Er grinste schief.
„Ja, so ein Miststück hat mir heute die Nase gebrochen", gespielt empört riss er die Augen auf und sah mich an. Ungewollt musste ich grinsen. Idiot.
„Wie kommt es, dass ein Mädchen wie du jagt?", fragte er mich aus heiterem Himmel und sah mich dabei prüfend an.
„Ein Mädchen wie ich?", erstaunt blieb ich stehen. Was sollte das denn heißen? Auch er blieb stehen.
„Naja, es ist recht untypisch, Jägerinnern in deinem Alter zu treffen, die alleine unterwegs sind. Wie alt bist du, Nicky?"
„Was geht dich das an?", blaffte ich ihm entgegen und stemmte die Arme in die Seite. Augenrollend schüttelte er den Kopf.
„Wieso bist du so? Kann man mit dir auch ein normales Gespräch führen, ohne von dir angeblafft zu werden?"
„Nein, kann man nicht" Eingeschnappt setzte ich meinen Weg fort. Dean griff nach meinem Arm und zog mich zurück.
„Bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir rede!"
„Fass mich nicht an! Du bist nicht mein Vater!", schrie ich ihn an und riss mich los. Tränen hatten sich in meinen Augen gebildet. In der Hoffnung, dass er sie nicht sah, drehte ich mich weg und versuchte, sie mit Blinzeln zu vertreiben. Mein Vater hatte mir immer genau das gleiche gesagt, wenn ich mal wieder einem Gespräch aus dem Weg gehen wollte.
„Nicky, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschreien", kleinlaut kam Dean näher an mich heran. Ich wischte mir über die Augen und scheiterte daran, ihn anzulächeln.
„Vergiss es, Dean." Wir setzten unseren Weg schweigend fort. Nach einer Weile seufzte Dean und blieb wieder stehen. Ich tat es ihm gleich.
„Nicky?"
„Hm?", machte ich und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Darf ich dich was fragen?"
„Du fragst doch schon", konterte ich.
„Wie kamst du zum Jagen?", wollte Dean wissen, ohne auf meine Worte einzugehen.
„Wie kamst du denn zum Jagen?", stellte ich ihm die Gegenfrage.
„Beantwortest du Fragen immer mit Gegenfragen?" Er runzelte die Stirn und lächelte kurz.
„Wenn es sein muss, ja."
„Also, beantwortest du mir die Frage, oder lässt du mich weiterhin im Dunkeln tappen?" Ich überlegte. Sollte ich diesem eingebildeten Typen wirklich meine Lebensgeschichte erzählen? Wir kannten uns erst seit ein paar Stunden und diese Stunden zählten nicht gerade zu den besten in meinem Leben.
„Du erzählst mir was von dir und ich erzähl dir was von mir, Deal?"
Er versuchte erneut mich zu überreden. Nach kurzem Überlegen nickte ich. Was sollte es schon schaden.
„Also, wie wurdest du zur Jägerin?" Ich schluckte kurz und dachte an meine Kindheit zurück.
„Ich schätze, ich hatte keine andere Wahl. Es wurde mir quasi in die Wiege gelegt" Schulterzuckend murmelte ich vor mich hin. „Mein Vater war ein Jäger und auch sein Vater und auch dessen Großvater und so weiter, du verstehst? Ich stamme von Jägern ab und nun ja, da ich keinen Bruder habe, hatte ich das Glück, oder sagen wir eher Pech, auch ein Jäger werden zu müssen. Hab mich nicht wirklich darum gerissen, falls du das fragen wollest. Wie war es bei dir?"
„Ähnliche Geschichte. Meine Mutter wurde von einem Dämon getötet. Sam war ein Baby und ich ein kleiner Junge... unser Dad hat diesen Scheißkerl gejagt und schlussendlich haben wir ihn gemeinsam getötet. Doch der Weg dahin war nicht gerade ein Zuckerschlecken, wenn du verstehst, was ich meine. Wir haben viele Monster erledigt, aber viele Menschen und auch Freunde verloren. Aber naja, das ist nun mal das Leben eines Jägers." Dean fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Haare.
Ich nickte abwesend. Ja, das war es. Das Leben eines Jägers. Nicht gerade ein Leben, das man seinem Kind wünschte. Wir schwiegen eine Weile. Die Stimmung zwischen uns beiden wurde mir irgendwie unheimlich. Gerade, als ich etwas sagen wollte, hörte ich ein Knurren. Erschrocken zuckte ich zusammen.
„Hast du das gehört?" Vorsichtig sah ich mich um. Die Straßenlaterne neben uns warf einen kleinen Lichtkegel auf den Gehweg. Keine Menschenseele war zu sehen. Wir waren allein unterwegs. Ich schluckte nervös. Dean brach in schallendes Gelächter aus und sah mich vielsagend an.
„Das warst du?", geschockt starrte ich ihn an. Dieses Arschloch!
„Ach komm schon, Nicky! Das war doch bloß ein Scherz! Ich wollte die Stimmung etwas auflockern", beschwichtigend hob er die Hände und grinste wie ein Irrer.
„Ich find das gar nicht lustig, Dean!", bockig verschränkte ich die Arme vor der Brust. Ich drehte mich um und setzte meinen Weg ohne ihn fort. Gerade hatte ich doch wirklich das Gefühl gehabt, dass er doch nicht so ein Arsch war.
„Ach komm schon...Nicky! Das war doch nur ein Spaß!", rief er einige Meter hinter mir und dackelte mir nach.
„Leck mich, Dean!" Wieder hörte ich ein Knurren. Dieser Idiot konnte es einfach nicht lassen! Schnaubend verdrehte ich die Augen. Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um.
„Das ist nicht witzig, Dean! Hör auf damit!", schrie ich ihn an. Er zuckte mit den Schultern.
„Ich war das nicht."
Verwirrt starrte ich ihn an. Wenn er es nicht war, wer oder was war es dann? Ein ungutes Gefühl überkam mich und die Härchen in meinem Nacken stellten sich auf. Reflexartig wollte ich nach meiner Waffe greifen, aber mir fiel im selben Moment ein, dass mir diese beim Kampf mit den Jungs abgenommen worden war.
Ich spürte warmen Atem an meinem Hals. Ich blinzelte kurz und atmete tief durch. Dean starrte mich an. An seinem Blick war zu erkennen, dass jemand, oder besser gesagt etwas, hinter mir stand.
„Runter!", schrie er mir zu.
So schnell ich konnte schmiss ich mich nach vorne und landete auf dem Bauch. Dean zog seine Waffe und schoss einige Male. Schützend nahm ich die Arme über meinen Kopf und drückte mich auf den Boden. Schreie waren zu hören. Die Schreie eines wilden Tieres. Es war der Werwolf. Ich spürte die vereinzelten Blutspritzer auf meiner Haut.
Normalerweise hatte ich keine Angst auf der Jagd, aber dieses Mal war es anders. Ich konnte nichts tun und genau das machte mir Angst. Verdammt große Angst!
Es wurden noch einige Schüsse abgefeuert und plötzlich fiel der leblose Körper des Werwolfs auf mich. Sein Blut floss mir über das Gesicht und ich hatte Mühe, es nicht einzuatmen. Sein ganzes Gewicht drückte mich nur noch mehr auf den Boden. Die Luft wurde mir aus den Lungen gepresst. Ich hörte wie Dean nach mir rief. Es fühlte sich an, als würde Watte in meinen Ohren stecken. Mit einem Ruck wurde das Gewicht von mir runtergerissen und ich wurde auf den Rücken gedreht. Ich fuhr hoch und schnappte nach Luft.
„Nicky! Bist du verletzt?", hektisch beugte er sich über mich und musterte mich. Ich schüttelte langsam den Kopf und richtete mich weiter auf.
„Ich denke nicht...", murmelte ich und atmete tief durch.
„Dean! Geht's euch gut?", Sam rannte mit gezogener Waffe auf uns zu. Scheinbar hatte er die Schüsse gehört.
„Ja, wir sind okay" Dean beruhigte seinen Bruder.
„Oh Gott, Nicky, du blutest", besorgt starrte er auf das Blut, welches über mein Gesicht floss. Ich winkte ab.
„Nein, Sam, das ist nicht mein Blut. Ich wurde sozusagen in Werwolfblut getränkt", angeekelt schüttelte ich mich und wischte mir über die Stirn.
„Kann mir vielleicht jemand aufhelfen?", auffordernd streckte ich meine Arme aus und wartete auf eine Reaktion der beiden. Nach einem kurzen Zögern lächelten die Angesprochenen und zogen mich auf die Beine. Ich nickte ihnen dankend zu und drehte mich um. Ich starrte auf den leblosen Körper des Werwolfes. Ein Gefühl der Erleichterung füllte mich aus.
„Ist es vorbei?", murmelnd sah ich auf den Körper und schluckte kurz. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich hob meinen Blick und Sam sah mich nickend an.
„Es ist vorbei."
DU LIEST GERADE
Nicky Jones und die Jagd nach Rache ✔️
FanficBei einem Fall treffen die Brüder Sam und Dean durch Zufall auf die Jägerin Nicky. Trotz der nicht ganz reibungslosen ersten Begegnung, freunden sich die Winchesters mit ihr an, doch Nicky birgt ein Geheimnis, von dem zu diesem Zeitpunkt keiner etwa...