Kapitel 8

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Dean

Nachdenklich starrte ich auf das Handy in meiner Hand. Nicky hatte uns beide angerufen. Und nun, wo wir mehrmals versuchten, sie zu erreichen, nahm sie nicht ab. Ein ungutes Gefühl beschlich mich.

„Es geht ihr bestimmt gut", sagte Sam und wollte mich beruhigen.

Leider vergebens. Er schielte mich vom Beifahrersitz aus an.

Frustriert schmiss ich das Handy auf den Rücksitz und umklammerte das Lenkrad mit festem Griff. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich konnte es fühlen.

„Wir fahren zurück", presste ich zwischen meinen Lippen hervor und wendete den Wagen mitten auf der Straße. Zum Glück war weit und breit kein anderes Auto zu sehen. Seufzend ließ sich Sam in den Sitz zurückgleiten. Er fischte sein Handy aus der Tasche und tippte herum. Tausend Gedanken flogen mir durch den Kopf.

„Oh Mann", murmelte Sam. Ich schwenke meinen Blick zu ihm.

„Was ist los?"

„Es wurde eine weitere Frau getötet. Scheinbar war nicht nur ein Werwolf am Werk."

Verdammt! Wir waren zu voreilig abgereist.

„Und steht da noch mehr über das Opfer?", fragte ich beunruhigt und krampfte die Finger noch fester um das Lenkrad.

„Keine Sorge, Nicky ist es nicht."

„Ich dachte auch nicht, dass Nicky es sein könnte. Die Kleine ist taffer als sie aussieht" Das war nicht gelogen. Sie war wirklich taffer als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Obwohl sie recht klein war, hatte sie Feuer unterm Hintern und wusste sich zu wehren. Meine Nase war der beste Beweis dafür.

„Hier steht nichts, was wir noch nicht wüssten. Die Leiche wurde genauso zugerichtet wie die anderen Opfer. Sie wurde am Straßenrand gefunden und... welche Überraschung... das Herz fehlte" Ich nickte abwesend. Wahrscheinlich hatte Nicky deshalb versucht, uns zu erreichen. Sie brauchte unsere Hilfe bei dem zweiten Werwolf. Sam tippte auf seinem Handy herum. Nach einer halben Ewigkeit seufzte er und lehnte sich wieder in den Sitz zurück. „Oh Mann..."

„Was hast du?", fragend schwenkte ich meinen Kopf zu ihm.

„Also, ich hab mich mal über Nicky schlau gemacht und auch einiges rausgefunden." Wieso spuckt er es denn nicht einfach aus? Wollte er etwa Spannung aufbauen?

„Mensch, Sam! Spann mich nicht so auf die Folter!"

„Schon gut. Beruhig dich!"

„Ich bin ganz ruhig!", keifte ich.

„Ja klar, du bist die Ruhe in Person", sagte Sam sarkastisch und schüttelte den Kopf. Ich atmete tief durch.

„Sam, würdest du mir bitte die Informationen mitteilen, die du gerade gesammelt hast?", bat ich ihn mit geschwollenem Unterton.

„Ihr voller Name lautet Nikita Elisabeth Jones. Sie ist das einzige Kind von James und Beth Jones und wuchs in einem kleinen Örtchen in Nebraska auf. Hier ist auch ein Foto der Familie" Sam hielt mir das Handy hin und ich warf einen flüchtigen Blick drauf. Nicky musste auf dem Foto ungefähr acht Jahre sein. Sie sah echt süß aus. Da ich gerade mit gefühlten 200 km/h über die Straße bretterte, konnte ich das Foto nicht genauer unter die Lupe nehmen. „Oh Mann..."

„Sam! Wenn ich noch einmal Oh Mann aus deinem Mund höre, dann...", drohend hob ich die Hand. Sam unterdrückte ein Grinsen und fuhr mit ernster Miene fort.

„Hier steht, dass Nicky krank war... so richtig krank. Sie hatte Leukämie im Endstadium und von einem Tag auf den anderen war sie gesund. Die Ärzte sprechen von einem Wunder. Das war vor dreizehn Jahren" Ja klar, ein Wunder. Wer's glaubt. „Was denkst du? Hältst du es für möglich, dass Nicky einen Deal gemacht hat?"

Sam sah mich nachdenklich an. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, damals wusste sie sicher noch nicht, was sie heute weiß."

„Vermutlich hast du recht. Oh...", Sam unterbrach sich selbst. Er schaute zu mir und dann wieder zu seinem Handy. „Ihre Eltern sind beide tot. Ihre Mutter starb bei einem Autounfall, da war Nicky ungefähr zehn Jahre alt. Und Ihr Vater fiel vor drei Jahren einfach tot um."

„Einfach so? Niemand fällt einfach so um."

„Also, der Vater macht einen Deal und rettet so die Tochter. Denkst du, Nicky weiß es?" Sam trug die Fakten zusammen.

„Keine Ahnung, Sam. Wir kennen sie ja kaum."

„Und trotzdem rast du wie ein Irrer zu ihr."

„Ich fühl mich verantwortlich für sie, keine Ahnung... sie erinnert mich irgendwie an Jo", murmelte ich.

„Jo? Unsere Jo? Die Tochter von Ellen, Jo? Die beiden haben gar nichts gemeinsam!", er lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. Ich verdrehte die Augen.

„Ich rede ja auch nicht von ihrem Aussehen, Sam! Ich meinte damit, dass sie genauso einen Sturkopf hat wie sie, wenn nicht sogar schlimmer", murmelte ich und schlug mit der Hand aufs Lenkrad.

Sam schwieg. Vielleicht war es nur der Beschützerinstinkt, der mich antrieb, aber ich musste sie einfach finden. Ich musste sie einfach finden und retten. Sie hatte schließlich niemanden mehr. Ihre Eltern waren tot und weitere Familie hatte sie nicht. Zumindest hatte Sam nichts im Internet gefunden, was auf weitere Verwandte hindeuten würde. Ich seufzte. Armes Ding. Sie hatte niemanden und war ganz allein. Wenn ich genauer darüber nachdachte, dann waren wir gar nicht so verschieden. Würden Sam und ich nicht einander haben, hätten wir auch niemanden mehr an unserer Seite. Nein, das stimmte nicht ganz. Wir hatten immerhin noch Cas und Bobby. Wo steckte dieser geflügelte Mistkerl eigentlich, wenn man ihn mal brauchte?

Die Zeit verging quälend langsam und wir schwiegen uns gegenseitig an. Als wir endlich an Nickys Motel ankamen, sprang ich beinahe aus dem Wagen und hetzte zu ihrem Zimmer. Sam folgte mir. Ich hämmerte an die Tür und schrie nach Nicky. Wie ich bereits erwartet hatte, bekamen wir keine Antwort. Ich brach die Tür auf und stürmte hinein.

„Nicky?", rief ich und sah mich suchend um.

„Sie ist nicht hier", stellte Sam nüchtern fest.

„Ja, das sehe ich auch!" Wo war sie hin? „Komm mit!"

Ich packte Sam am Arm und zog ihn mit. Wir stiegen wieder in den Wagen und fuhren los.

„Wo fahren wir hin?", fragend blickte Sam mich an.

„Was hätten wir gemacht, wenn wir an ihrer Stelle gewesen wären?" Sam überlegte kurz und fuhr sich durch die Haare.

„Wir wären vermutlich die Fakten nochmal durchgegangen und hätten uns den letzten Tatort angesehen."

„Bingo!", schrie ich und drückte aufs Gaspedal.

Nach wenigen Autominuten kamen wir am Ziel an. Wir parkten den Impala am Straßenrand und stiegen aus. Wir nahmen die Umgebung genauer unter die Lupe. Nichts Auffälliges zu sehen. Frustriert kickte ich einen Stein vor mir weg.

„Dean! Ich hab hier was gefunden!", schrie Sam und ich eilte zu ihm. Er hielt eine Waffe in der Hand. „Gehört die Waffe Nicky?"

Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste nicht ob es ihre Waffe war.

„Nehmen wir mal an, dass es sich um ihre Waffe handelt. Wieso sollte sie die Waffe einfach hier zurücklassen?", fragte ich angespannt. In meinen Gedanken malte ich mir schon die schlimmsten Szenarien aus.

„Das würde sie nicht tun. Zumindest nicht freiwillig", stellte Sam trocken fest. Ich schluckte und stimmte ihm zu. Kein Jäger würde seine Waffe aus freiem Willen einfach liegen lassen.

„Komm, wir müssen sie finden!" Auffordernd sah ich Sam an. Er nickte zustimmend und folgte mir in den Wald hinein. „Nicky!", rief ich und schaute mich immer wieder suchend um. Auch Sam rief nach ihr. Wir bekamen keine Antwort. Verdammte Scheiße!

„Oh Mann", murmelte Sam. Genervt verdrehte ich die Augen.

„Sam! Ich sagte doch, dass du das lassen sollst!", zischte ich ihn an und erntete dafür einen wütenden Blick seinerseits.

„Hör auf, mir immer Vorschriften zu machen!"

„Dann hör du doch auf, dich wie ein Kind zu verhalten!", entgegnete ich ihm.

„Wer verhält sich denn hier wie ein Kind?" Sam zog die Augenbrauen hoch und sah mich provokant an.

„Ihr beide tut das, wenn ihr mich fragt!" Erschrocken drehten wir uns um. „Hallo Jungs! Was für ein unerwartetes Vergnügen."

Nicky Jones und die Jagd nach Rache ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt