Kapitel 15

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Nicky

Skeptisch hielt ich einen kleinen, rötlichen Samtbeutel in meiner Hand und begutachtete ihn von allen Seiten.

„Und du bist dir sicher, dass..."

„Nikita! Wer von uns beiden ist die Hexe? Du oder ich?", fragte Susan gereizt und stemmte ihre Arme in die Seite.

„Du bist du Hexe", gab ich kleinlaut zurück und zupfte leicht an der Schnürung des Säckchens. Ich war ziemlich neugierig und wollte unbedingt wissen, was sich genau in diesem Hexenbeutel befand.

„Das würde ich an deiner Stelle lieber unterlassen, Liebes", sagte die Hexe und legte ermahnend ihre Hand auf meine Schulter. Vermutlich hatte sie recht. Eigentlich wollte ich auch gar nicht wissen, ob sich in diesem Stofffetzen Teile von toten Tieren oder irgendwelche Suppenkräuter befanden. Die Hauptsache war, dass es seinen Zweck erfüllte.

„Und wie genau funktioniert das nun? Ich schieb das Ding in meine Tasche und dann was? Bin ich dann unsichtbar? Bin ich rund um die Uhr geschützt? Flieg ich dann quasi unter Dämonenradar?", fragte ich aufgeregt und strich immer wieder über den weichen Stoff.

„Wenn du es so nennen willst, ja, du fliegst quasi unter Dämonenradar", bestätigte mir die Hexe und lächelte dabei stolz. Ich konnte es gar nicht richtig fassen. Susan hatte es tatsächlich geschafft! Sie hatte einen Hexenbeutel entwickelt, der mich wirklich vor Crowley schützen konnte. Er würde mich in Zukunft nicht mehr aufspüren können.

„Vielen Dank, Susan! Ich danke dir!", hauchte ich und musste mir fast ein Tränchen verkneifen. Im nächsten Moment fiel ich ihr um den Hals und drückte ihr zahlreiche Küsschen auf die Wange. Sie erwiderte die Umarmung nach kurzem Zögern. Nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten, schüttelte sie lachend den Kopf.

„Du scheinst ja wirklich sehr glücklich über dein neues Accessoire zu sein", scherzte sie und deutete auf den Hexenbeutel, welcher sich immer noch in meiner Hand befand.

„Du hast ja keine Ahnung", murmelte ich und steckte ihn in die Innentasche meiner Jacke.

„Was hast du jetzt vor?", fragte Susan mit leiser Stimme. Ich konnte ihre Besorgnis in den dunklen Augen sehen.

„Wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich es nicht." Niedergeschlagen ließ ich mich auf den Stuhl nieder und fuhr mir durch die zerzausten Haare. Susan setzte sich gegenüber hin und reichte mir ihre Hand. Mit einem zögernden Lächeln legte ich meine Hand in ihre und drückte sie leicht.

Ich dachte an die Zeit zurück, bevor ich mich an Susan gewandt hatte. Ich hatte einen Plan gehabt und dieser Plan war gar nicht mal so schlecht gewesen. Schon damals in Montana, als ich alles über den Tod meines Vaters erfahren hatte, hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich wollte Crowley eine Falle stellen und ihn zwingen, den Deal mit meinem Vater aufzuheben. Leider wusste ich da noch nicht wirklich, wie ich das alles anstellen sollte. Aber das hatte sich geändert, denn jetzt war ich bereit dazu.

Ursprünglich wollte ich mich selbst in Gefahr bringen und somit Crowley zwingen, aufzutauchen und mich zu retten. Das sollte dann meine Chance sein, nochmal mit ihm zu reden und ihn auf Knien anzuflehen, meinen Vater aus dem Vertrag zu entlassen. Leider wurde mir aber schmerzlich bewusst, dass das keinen Sinn hatte. Man konnte mit Crowley nicht vernünftig reden. Wie auch? Er war ja schließlich ein Dämon. Um genau zu sein, war er ein Dämon mit einem Vertrag. Und genau dieser Vertrag würde noch zu seinem Verhängnis werden. Die Stimme meines Vaters ertönte in meinem Kopf.

"Meine Tochter wird im Austausch gegen meine Seele genesen und sie soll nicht an einer vorzeitigen Todesursache sterben."

Immer, wenn die Gefahr eines vorzeitigen Todes drohte, tauchte Crowley auf und rettete mich. Er hielt sich an seinen Teil des Vertrages. Aber was wäre, wenn er sich nicht mehr an seinen Teil der Abmachung halten könnte? Dann wäre der Vertrag ungültig und mein Vater würde aus der Hölle entkommen. Der einzige Haken an der Sache war, dass ich dafür seinen Platz einnehmen müsste. Naja, vielleicht müsste ich nicht seinen Platz in der Hölle einnehmen, aber ich wäre zumindest genauso tot.

Um ehrlich zu sein, war ich nicht gerade scharf darauf, in Gras zu beißen, aber ich fühlte mich dazu verpflichtet. Vor knapp fünfzehn Jahren fasste mein Dad den Entschluss, sein Leben gegen mein Leben, das Leben eines totkranken Kindes, einzutauschen. Es machte mich unheimlich stolz, einen so großartigen Vater zu haben, aber es machte mich auch umso trauriger. Die Tatsache, dass er nur meinetwegen nicht mehr am Leben war, machte mich kaputt. Ich hatte das Gefühl, innerlich zu zerreißen. Ich wollte einfach, dass das aufhörte. Es sollte einfach aufhören!

„Du kannst mit mir über alles reden, Kleines. Vielleicht kann ich dir helfen." Die aufmunternden Worte von Susan holten mich in die Gegenwart zurück.

„Du hast mir wirklich schon genug geholfen", antwortete ich lächelnd und tätschelte den Hexenbeutel durch meine Jacke hindurch.

„Wann willst du los?", fragte sie. Ihr Blick wurde traurig.

Ich fischte mein Handy aus der Hosentasche und wollte eigentlich nur die Uhrzeit ablesen, aber ich wurde von dem aufblinkenden Briefumschlag auf meinem Display abgelenkt. Scheinbar hatte ich neue Nachrichten und zahlreiche verpasste Anrufe. Welcher Verrückte hatte mich denn in den vergangenen vier Stunden über zehn Mal versucht anzurufen und mich dann mit Nachrichten zugekleistert?

„Alles in Ordnung?", fragte Susan irritiert.

„Ähm... ich weiß nicht genau", murmelte ich und versuchte meine Unsicherheit zu verbergen. Wieso in Gottes Namen hatte Dean Winchester, von dem ich seit fast einem Jahr nichts mehr gehört hatte, so oft versucht, mich zu erreichen? War womöglich etwas passiert? Steckten die Brüder vielleicht in Schwierigkeiten und brauchten Hilfe? Hilfe von mir?

Schnell schüttelte ich den Gedanken wieder ab. Wieso sollten sie mich um Hilfe bitten? Dean wollte mich nicht Mal meinen Werwolf Job in Montana fertig ausführen lassen. Na schön, ja, ich wurde vom Werwolf gekidnappt und beinahe getötet, aber das hätte jedem Jäger passieren können und dieser Umstand bestätigt auf keinen Fall seine Aussage, dass ich nicht erfahren genug dafür sei!

„Nikita? Geht es dir wirklich gut?" Susan musterte mich besorgt.

„Es würde mir wesentlich besser gehen, wenn du mich nicht immer Nikita nennen würdest", murmelte ich und ließ das Handy wieder in meine Hosentasche verschwinden. Ich entschied mich dazu, ihn später zurückzurufen.

Für meine schroffe Art erntete ich einen strengen Blick von Susan und bereute meine Worte sofort. Eigentlich war es ja recht süß von ihr, dass sie mich mit meinen Geburtsnamen ansprach und sich weigerte, mich Nicky zu nennen.

„Ich wollte dich nicht so anfahren, es tut mir leid. Ich muss jetzt aber wirklich los! Vielen Dank nochmal für alles und du sollst wissen, dass ich ohne dich nicht so weit gekommen wäre. Ich danke dir!", sprach ich mit zittriger Stimme. Ich wollte auf keinen Fall weinen, aber ich konnte es nicht verhindern.

„Ach, Liebes. Das ist ja kein Abschied für immer! Du kommst mich einfach wieder besuchen, wenn du deinen Job abgeschlossen hast", tröstete sie mich und fuhr mir über die Wangen.

Nachdem sie meine Tränen liebevoll weggewischt hatte, zog sie mich in eine wohlige Umarmung. Ihre Worte schmerzen. Es würde ihr das Herz brechen, wenn ich ihr die Details zu meinem Selbstmordkommando erzählen würde.

„Du könntest auch noch ein Weilchen bei mir bleiben, wenn du willst. Ich zeig dir noch einige hilfreiche Zauber und Tricks gegen Dämonen. Ist bestimmt nützlich, wenn du mal in Schwierigkeiten stecken solltest", schlug sie vor und legte den Kopf leicht zur Seite.

Ihr Vorschlag klang wirklich verlockend, aber ich lehnte dankend ab. Es war sehr lieb von Susan, dass sie mir noch einige Zaubertricks beibringen wollte, aber ich war keine Hexe. Ich war eine Jägerin und es wurde allerhöchste Zeit, sich wieder wie eine zu verhalten!

Nicky Jones und die Jagd nach Rache ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt