Kapitel 20

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Dean

„Kann ich alleine mit ihr sprechen?", fragte James, der Vater von Nicky, und wandte sich an Crowley, welcher neben ihm an der Tür lehnte.

Crowley nickte kurz desinteressiert und schnipste mit den Fingern. Von einem Moment auf den anderen befanden Sam und ich uns nicht mehr im Motelzimmer, sondern standen zusammen mit Crowley im Flur.

„Nächstes Mal hätte ich gerne eine kleine Vorwarnung", murmelte ich und schüttelte mich leicht. Ich hasste diese Art zu reisen. Moment mal. Hatte ich gerade gesprochen? Meine Stimme war wieder da! Auch Sam schien bemerkt zu haben, dass seine Stimme zurückgekehrt war, denn er fing an zu grinsen und murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin. Vermutlich wollte er einfach nur testen, ob er auch wieder sprechen konnte.

„Verzeih mir, mein Schatz", säuselte der Dämon und warf mir einen süßlichen Blick zu. Beinahe zeitgleich verdrehten Sam und ich die Augen. Man merkte manchmal doch, dass wir Brüder waren.
Crowley ging vor uns auf und ab. Er wirkte leicht nervös. Immer wieder blieb er stehen und verharrte für einige Sekunden, ehe er wieder unruhig umher stapfte.

„Hörst du eigentlich, was sie reden?", fragte Sam neugierig und wandte sich dem König der Hölle zu.

„Ich bin Crowley", antwortete er schlicht und zuckte mit den Schultern, während er immer noch im Flur auf und ab ging.

„Und das bedeutet?", hakte ich angespannt nach. Ich hasste es, wenn man ihm alles aus der Nase ziehen musste. Er war manchmal, oder eigentlich immer, ein sehr anstrengender Gesprächspartner.

„Ich würde wesentlich mehr hören, wenn mir nicht immer einer von euch Quasseltanten dazwischenfunken würde!", schimpfte uns der Dämon und warf uns einen drohenden Blick zu.

„Wenn dich unser Gerede so stört, dann mute uns halt wieder", schlug ich ihm trocken vor und bekam dafür einen Schlag mit dem Ellenbogen von Sam. „Au!", fluchte ich und rieb mir schmollend den Oberarm.

„Wieso kannst du nicht einmal die Klappe halten?", stieß Sam genervt aus und sah mich flehend an. Ich wollte gerade etwas erwidern, als ein lauter Knall zu hören war.

„Was zum Teufel war das?", fragte ich erschrocken und mein Blick fiel auf unsere Zimmertür. Der Krach kam eindeutig aus dem Zimmer.

„Ganz ruhig, Tiger. Das war nur ein Tisch, der gegen die Wand gestoßen ist", klärte uns Crowley auf und wirkte, als wäre ihm das ganze völlig egal.

„Das war aber ein gewaltiger Stoß", bemerkte Sam trocken und schüttelte dabei den Kopf. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen und ich öffnete kurz den Mund, um etwas zu sagen, doch ich stoppte mich selbst, ehe ich einen Ton herausbrachte. Obwohl es mir auf der Zunge brannte, verkniff ich mir einen schmutzigen Witz. Die Situation war wohl nicht für meine Scherze geschaffen.

„Wer ist das denn?", fragte Sam skeptisch und deutete auf einen schmierigen Kerl, der schnurstracks auf das Zimmer zuging, in dem Nicky und ihr Vater gerade miteinander sprachen.

„Beachtet ihn nicht weiter. Das ist nur einer meiner Lakaien", antwortete Crowley ruhig und klopfte sich etwas Staub vom Mantel.

Obwohl er sagte, dass wir ihn nicht weiter beachten sollten, konnte ich nicht anders, als es doch zu tun. Interessiert scannte ich ihn von oben bis unten ab. Viel gab es da zwar nicht zu sehen, aber das, was ich sah, ließ mich erschaudern. Ich erinnerte mich daran, dass Nicky von dem ekligen Empfangstypen gesprochen hatte, der sie als Nutte beleidigt hatte. Das müsste der Kerl doch sein, oder? Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder beunruhigt über diesen verdächtigten Fakt sein sollte. Als uns der Lakai bemerkte, versuchte er zu lächeln und verbeugte sich sogar kurz vor uns dreien. Naja, eigentlich verbeugte er sich vor Crowley.

Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet. Nicky stolperte heraus und krachte gegen dieses Ekelpaket, das sie gleich wieder in das Zimmer zurückschob, aus dem sie gerade fliehen wollte.

Nachdenklich legte ich den Kopf zur Seite und fixierte die Zimmertür. Diese Situation gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht! Ich konnte es noch nie leiden, wenn ich nicht aktiv bei einem Geschehen dabei sein konnte, sondern warten musste. Ich hasste es, zu warten. Scheinbar fand Crowley die Warterei auch scheiße, denn er verzog auf einmal wütend das Gesicht und drängte sich an uns vorbei zum Zimmer. Mit einem kräftigen Ruck stieß er die Tür auf und schritt hinein.

„Was ist denn hier los? Eine Schlägerei und keiner lädt mich ein? Das find ich ja gar nicht nett", jammerte Crowley mit sarkastischem Unterton und deutete uns, dass wir warten sollten.

Was war da los? Eine Schlägerei? Was war mit Nicky? Ging es ihr gut? Dutzende Fragen schwirrten in meinem Kopf herum und ich hatte Mühe, mich zu konzentrieren. Sam bemerkte wohl meine Unruhe, legte mir seine Hand auf die Schulter und lächelte mich aufmunternd an. Ich erwiderte das Lächeln zögernd, obwohl mir gar nicht danach zumute war. Auf einmal ertönte ein Pfiff. Wer pfiff denn da? Das war bestimmt Crowley. Genervt verdrehte ich die Augen.

„Ich bin kein Hund", zischte ich und stapfte widerwillig in das Motelzimmer hinein. Sam folgte mir.

Als wir das Zimmer betraten, griff ich automatisch nach meiner Waffe. James, der Vater von Nicky, und dieser andere Kerl standen sich gegenüber und lieferten sich gerade ein Duell im böse anstarren. Ich hoffte, dass es auch nur beim Starren bleiben würde und sah mich weiter um. Mein Blick fiel auf Nicky. Sie kniete am Boden, dicht neben der Wand, und schien ziemlich fertig zu sein. Ihre Haut war so blass, dass man sie fast mit der Wand verwechseln konnte. Der Schrecken stand ihr ins Gesicht geschrieben.

„Nicky!", schrie ich aufgebracht und rannte zu ihr. Vorsichtig half ich ihr hoch. Da sie noch recht wackelig auf den Beinen war, musste ich sie stützen. Was war passiert?

„Geht's dir gut?", fragte Sam und mustere die junge Jägerin besorgt. Scheinbar wollte sie uns nicht erzählen, was passiert war, denn sie nickte nur und schaute uns dann entsetzt an.

„Ihr müsst hier raus, sofort!", flüsterte sie mir zu und im nächsten Moment wurde ich in Richtung Tür geschubst.

Ich wollte sie fragen, was das Ganze sollte und was sie vorhatte, doch sie warf mir einen Blick zu und ich hatte das Gefühl, dass ich keine andere Wahl hatte, als ihr zu folgen.

„Ihr geht nirgendwo hin!", rief der Lakai von Crowley und schleuderte Sam, Nicky und mich gegen die Wand.

„Mistkerl!", knurrte ich und versuchte, gegen den Druck anzukämpfen. Diese verdammten Dämonen gingen mir so auf den Sack!

Ich schwenkte meinen Blick zu Sam, der auch mit aller Kraft versuchte, den Druck zu lösen, doch auch er musste sich nach einigen Fehlversuchen eingestehen, dass es zwecklos war. Niedergeschlagen ließ ich meinen Kopf gegen die Wand sacken und beobachtete das Schauspiel vor mir.

„Was soll das denn werden, wenn's fertig ist?", fragte Crowley schroff und deutete auf uns.

„Das ist unsere Chance, Sir! Wir haben die Winchesters und nun können wir sie endlich töten!", verkündete dieser Schleimbeutel mit Hornbrille stolz.

Irritiert schaute ich zu Sam. Auch er sah nicht gerade so aus, als würde er diese Situation wirklich verstehen, denn er verzog ratlos das Gesicht. Was hatten wir denn nun schon wieder angestellt, dass uns Dämonen, oder besser gesagt dieser eine Dämon, töten wollte? Na ja, gut... wir hatten hin und wieder einige seiner Artgenossen exorziert, mit Weihwasser gefoltert und getötet. Aber das war doch kein Grund, uns ebenfalls den Tod zu wünschen. Oder?

Crowley sah zwischen uns dreien und dem Dämon vor ihm hin und her. Nach einigen Sekunden, in denen er vermutlich die Vor- und Nachteile unseres Todes abgewogen hatte, seufze er schwer und verdrehte genervt die Augen.

„Ich hasse Dämonen", murmelte er und hob seine Hand.

Meine Aufmerksamkeit wurde gestört, als dieser Typ mit einem lauten Schrei den Mund aufriss und schwarzer Rauch aus ihm herausquoll. Oh verdammt! Dieser Mistkerl wollte abhauen! Keine Sekunde später knallten wir unsanft auf den Boden. Die Kraft von diesem Dämon war verschwunden, denn er war nur in einer Hülle fähig, seine Kräfte zu nutzen. Mein Blick glitt nach links, zu Nicky. Sie stand regungslos da und starrte auf den Boden.

„Alles klar, Kleines?", fragte ich leise und berührte sie an der Schulter. Sie riss den Kopf hoch und schaute mich schief grinsend an. Ihre Augen waren schwarz. Ach du heilige Scheiße! Dieser Mistkerl hatte sich ihren Köper als Hülle unter den Nagel gerissen.

„Drew! Was soll diese Scheiße?!", mischte sich nun endlich James ein. Er war die vergangenen Minuten teilnahmslos danebengestanden und hatte sich das ganze Spektakel aus der Ferne angesehen. Drew? So hieß also dieses Arschloch.

„Crowley! Unternimm doch was!", forderte Sam den König der Hölle auf.

„Was soll ich denn tun? Ich darf sie nicht verletzten, schon vergessen?", blaffte er uns an und hob abwehrend die Hände nach oben, als Nicky anfing wie eine Verrückte zu lachen.

Sie machte mir Angst. Sie drehte sich zu mir um und leckte sich über die Lippen, als sie ihre Hand ausstreckte und Sam quer durch den Raum schleuderte.

„Sammy!", rief ich entsetzt.

Mein Herz setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus, als ich mitansehen musste, wie mein kleiner Bruder geräuschvoll gegen die Wand krachte. Wenige Millisekunden später knallte er fluchend auf den harten Boden auf. Immerhin fluchte er noch, denn somit war er noch am Leben.

„Und jetzt zu dir", flüsterte sie verführerisch und kam langsam auf mich zu. Ehe ich reagieren konnte, zog sie mich an sich und küsste mich leidenschaftlich.

Wow. Damit hatte ich nun aber wirklich nicht gerechnet. Obwohl ich wusste, wie krank diese Situation eigentlich war, hatte ich mir schon seit Montana vorgestellt, wie es wohl sein würde, sie zu küssen. Ich hatte mir dutzende verschiedene Szenarien ausgedacht, aber diese Variante war mir nie in den Sinn gekommen. Doch auch wenn ich es schon lange wollte, fühlte es sich falsch an.

Ich spürte ihre Hände an meiner Hüfte und konnte fühlen, wie sie sich zu meiner Hose vorkämpfte. Ich drückte sie bestimmend von mir weg, aber versuchte gleichzeitig, ihr nicht wehzutun. Sie lachte schelmisch und zog ihre Hand hinter meinem Rücken hervor. Dieses Miststück! Sie hatte mir meine Waffe aus der Hose gefummelt, während ich dachte, dass sie mich... naja... befummelt. Sie drehte den Colt in ihrer Hand herum und kicherte dabei wie ein kleines Kind.

„Ihr werdet mich jetzt gehen lassen", sagte sie kichernd und schaute jeden einzelnen von uns nachdrücklich an.
„Das kannst du dir abschminken!", stellte ich klar. Was dachte sich dieses Miststück, ich meine, dieser Mistkerl eigentlich?

„Entweder ihr lasst mich gehen, oder ich lass die Kleine hier gehen", sagte der Dämon in Nicky und hielt sich die Waffe an den Kopf. Ich hörte, wie James scharf die Luft einzog.

„Das kannst du doch nicht tun, Drew... ich dachte, wir wären Freunde", hauchte er entsetzt.

„Das waren wir auch! Das waren wir solange, bis du dich dazu entschlossen hast, lieber mit deiner Tochter die alten Zeiten zu betrauern, anstatt die Winchesters auszuschalten!", zischte sie und warf James mit einer wuchtigen Handbewegung gegen die gegenüberliegende Wand. So wie Sam einige Minuten zuvor, lag nun auch James regungslos am Boden.

„Dean", krächzte mein Bruder von der anderen Seite des Raumes. Verdammt. Ich hatte ihn ganz vergessen! Mit schnellen Schritten eilte ich zu ihm und half ihm auf die Beine.

„Sammy! Alles klar?", fragte ich besorgt. Er winkte ab und nickte einfach nur kurz. Es schien im gut zu gehen. Oder zumindest tat er so, als wäre er okay.

„Vielleicht kommst du nah genug an sie ran", murmelte Sam und ich spürte wieder eine Hand an meinen Hintern. Entsetzt starrte ich ihn an.

„Alter! Das ist mein Arsch!", presste ich zwischen den Zähnen hervor und sah ihn entgeistert an.

Sam verdrehte die Augen und packte grob meine Hand. Er führte sie zu meinem Hintern und ich spürte etwas Kaltes. Den Umrissen zu urteilen war es ein Messer. War das etwa das Dämonenmesser von Ruby? Wollte er etwa von mir, dass ich Nicky tötete? Für einige Sekunden sah ich meinen Bruder entsetzt an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Ich irrte mich, denn es war sein voller Ernst.

Da Drew, oder vielmehr Nicky, zu sehr mit James beschäftigt war, hatten sie es nicht mal bemerkt, dass ich mittlerweile bei Sam stand und dieser auch wieder auf den Beinen war. Crowley hingegen, hatte genau gesehen, was mir Sam zugesteckt hatte und nickte mir anerkennend zu. Ich verstand nicht ganz, was das zu bedeuten hatte, doch Crowley hatte mir ein Zeichen gegeben. Er trat auf die besessene Frau zu und hob ergebend die Hände.

„Was willst du dafür haben, damit du sie gehen lässt?", fragte er seinen Lakaien mit ruhiger Stimme. Er klang wie immer.

„Ich will...", fing sie an, doch sie stoppte. „Hör auf dich zu wehren, Kleines", sagte sie zu sich selbst und räkelte sich etwas. Sie ließ die Waffe sinken und streckte sich ausgiebig.

Das war unsere Chance! Sam und ich schlichen uns an sie heran und stürzen uns gleichzeig auf sie. Sam riss ihr die Waffe aus der Hand und schleuderte den Colt über den Boden, bis er schließlich in der Ecke liegen blieb. Mein Blick fiel auf Crowley. Dieser Mistkerl hatte sich seelenruhig eine Flasche Whisky gezaubert und saß nun auf einem der Stühle und beobachtete das Schauspiel. Er prostete mir beiläufig zu, da ich Nicky zu Boden geworfen und mit geschickten Bewegungen auf den Rücken gedreht hatte. Ihre Hände hielt ich über ihren Kopf zusammen und setzte mich auf ihre Hüfte. Wäre diese Situation eine andere gewesen, dann hätte ich diese Aktion vielleicht sogar genossen, aber leider war es nicht so.

„Lass sie gehen!", forderte ich und legte dem Dämon das Messer an den Hals.

„Was willst du mit dem Zahnstocher, Süßer? Willst du mich kitzeln?", kicherte sie.

„Das kannst du haben", murmelte ich und drückte die Klinge leicht in das Fleisch. Sie schrie und wandte sich unter den Schmerzen. Es verpasste mir einen Stich ins Herz, doch ich musste es tun. Ihr Leben hing davon ab.

„Lass sie gehen!", wiederholte ich meine Forderung. Nun sprach ich etwas strenger und drückte demonstrativ die Schneide noch etwas tiefer in ihren Hals. Das Blut floss über ihre Haut und durchnässte langsam ihr Oberteil. Ihr Körper fing an zu zucken und blieb dann doch wieder starr liegen.

„Dean", hauchte Nicky und Tränen flossen über ihr Gesicht.

„Das ist ein Trick!", warnte mich Sam. Er kniete sich hinter sie und hielt ihre Arme fest.

Ich glaubte nicht, dass das gespielt war. Ich glaubte wirklich, dass Nicky es geschafft hatte, sich gegen diesen Dämon zu wehren. Das war meine Kleine!

„Dean", wisperte sie erneut. Ihre Stimme war so gebrochen. Nicky war gebrochen. Was machte ich hier eigentlich? Ich quälte sie nur. Das war nicht richtig! Ich musste aufhören. Meine Hand zitterte, als ich das Messer langsam aus ihrer Wunde zog.

„Dean, töte mich", murmelte sie schwach und blickte mich mit traurigen, aber flehenden Augen an.

„Was? Nein! Ich werde dich nicht... nein... das mach ich nicht!", sagte ich entschlossen und zog das Messer nun komplett weg.

Das war mein Fehler. Mit einem unerwartet kraftvollen Schrei riss sie sich von Sam los und schleuderte mich von ihr herunter. Das blutbeschmierte Messer glitt aus meiner Hand und fiel mit einem klirrenden Geräusch auf den Boden. Bevor wir reagieren konnten, schnappte sie sich das Messer und hielt es sich an den Hals.

„Es tut mir so leid", flüsterte sie, ehe sie das Messer an ihren Hals drückte und durchzog.

Nicky Jones und die Jagd nach Rache ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt