Totenstill, stand ich draußen vor dem großen, hoch aufragenden Eisentor. Keine Menschenseele war zu sehen. Kein Geräusch drang aus dem massiven Burghof. Mein schneller Blick verfolgte langsam die harten rauen Kanten der hohen Mauern. Keine Wachen! Der Stein, der am Tag ein helles einladendes Grau war, wirkte Nachts umso mehr wie ein bedrohlicher Kasten ohne Wiederkehr. Obwohl es stockfinster war, konnten meine katzenähnlichen dunkelbraunen Augen jeden Meter glasklar erkennen. Ich wusste genau, wohin mich meine Füße heute tragen wollten. Ich wusste ganz genau, wonach mir heute der Kopf stand. Ein böses Lächeln flog leicht über meine vollen Lippen. Alleine bei dem Gedanken meines Vorhabens lief mir ein heißer Schauer über den Rücken. Heute Nacht würde ich sicherlich meinen Spaß haben.
Meine vor Aufregung aufflackernden Augen schauten sich zuerst genüsslich vor dem Tor um. Mein Handeln verlangte nach einer guten und gründlichen Planung. Fast hätte ich belustigt laut auflachen können, doch dafür würde es später noch reichlich Zeit geben. Ich erkannte einige große Büsche, die sich fest an die Mauern drängten, beinahe verborgen in der Nacht. Vielleicht, dachte ich böse, würde ich hier meinen Plan umsetzen. Die Büsche hätten vielleicht einige Dornen, perfekte Vorstellung. Doch wäre es hier zu gefährlich, entdeckt zu werden. Ich würde mir auf jeden Fall den richtigen Ort aussuchen, da war ich mir vollkommen sicher. Mir blieben mehrere Möglichkeiten, als nur dieses lächerliche Gestrüpp.
Endlich begann sich mein Körper, wie im Rausch, schleichend voran zu bewegen. Ich stellte fest, dass ich meine Kleidung sehr gut ausgewählt hatte. Meine komplett schwarze Kleidung passte sich hervorragend an die dunkle Nacht an. Noch trug ich einen schweren, schwarzen und warmen Mantel, doch das würde sich auch bald ändern und die Freude in mir stieg um einiges an. Es war mir ein Leichtes, in meiner Kleidung praktisch zu verschwinden. Unsichtbar und doch so gefährlich. Auch meine hohen Stiefel stellten kein Hindernis auf dem weichen Boden dar. Ich hatte in vergangener Zeit genügend Möglichkeiten gehabt, mich darin zu üben. Auch diese Erinnerung ließ ein böses Grinsen erscheinen, was ich schnell wieder verbarg.
Als ich schließlich den riesigen Burghof betrat, ging von ihm, wie immer, wieder eine beherrschende Macht aus. Ich liebte diesen Ort mit all seinen Geheimnissen und verwinkelten Plätzen, aber hier waren, egal zu welcher Tageszeit, immer zu viele Menschen. Ein echtes Problem, wenn man es so sehen wollte. Ich seufzte leise. Irgendwann, schwor ich mir.
In Sekundenschnelle verschaffte ich mir einen groben Überblick. Innerhalb der hohen Mauern war es nicht so leise, wie es draußen den Anschein hatte. Einige Wachen des Burgherren versammelten sich bereits in der Taverne und lachten und sangen laut. Noch aus vielen Metern Entfernung konnte ich bereits den Biergeruch wahrnehmen. Ich legte meine Stirn in falten. Hoffentlich erreichte ich heute mein Ziel. Nicht dass mir ein Alkoholrausch meine Laune trübte.
Mit hoch erhobenem Kinn straffte ich meine Schultern und lief mit festem Schritt auf die Taverne zu. Die Geräusche vor mir wurden immer lauter. Ich verdrehte genervt meine Augen. Männer Nur am Saufen oder Blödsinn machen. Zu nichts weiter waren diese Gestalten zu gebrauchen. Selbst bei ihrer Arbeit leisteten sie nur geringe Erträge. Ich selbst hätte es viel besser machen können als diese kleinen erbärmlichen Schweine.
Gerade, als ich mich der kleinen Holztür nähern wollte, wurde sie schwungvoll, fast krachend, aufgerissen. Vor lauter Schreck drückte ich meinen Körper im Schutz des Schattens rasch an die hölzerne Wand des Hauses. Sofort wurde ich sauer. Passend zur meiner brennenden Stimmung, fegte eine Windböe quer über den Hof und strich meine braunen wallenden Locken aus mein Gesicht. Nun konnte man meine glühenden Züge in Vollendung sehen. Aus der Tür heraus trat, oder besser gesagt fiel, ein junger Mann gestützt von einer zierlichen Frau. Neugierig betrachtete ich das seltsame Paar. Die kleine Frau schien eindeutig große Mühe zu haben. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihr helfen sollte.
Genau, als ich mich abwenden wollte, fing der betrunkene an zu brüllen: Weib, beweg Dich! Zuerst dachte ich, dass ich mich verhört hätte, blieb abrupt stehen und drehte mich zu den Unbekannten hin. Die Frau entdeckte mich mit zitternden Armen. Für mich war genau in diesem Moment alles entschieden. Mein böses Lächeln kam wieder hervor und zielstrebig lief ich der Frau zur Hilfe.
Unter der Last des Mannes, glitzerten Schweißperlen auf ihrer Stirn. Ich sollte sie besser erst einmal entlasten, schoss es mir schnell in den Kopf. Rasend schnell schnappte ich mir den Hals des Fremden und packte kräftig zu. Erst, als meine Knöchel weiß hervorragten, lockerte ich meinen harten Griff minimal. Die Frau neben mir schrie erschreckt auf, blieb jedoch an Ort und Stelle. Mitsamt des Mannes in meiner Hand schritt ich, wohlgemerkt in meinen High Heels, Richtung Mauer. Entschlossen, diesem kleinen Schwein eine gehörige Lektion zu verpassen, stieß ich ihn mit dem Kopf ruckartig gegen die Wand. Mein Lächeln wurde strahlend breiter. Der Fremde schien seine Sinne gerade erst neu sortieren zu wollen, doch ich trat ihn mit Wucht in seine Eier. Der Schmerz von ihm vibrierte schlagartig durch seinen gesamten Körper bis hin zu meiner Hand. Er versuchte sich verzweifelt zu wehren, doch war er nach wie vor viel zu betrunken. Ich trat ihm bedrohlich näher entgegen. Du kleine männliche Schlampe! Spricht man so mit seiner Frau?, zischte ich ihm wild entgegen. Der Mann zeigte keine Regung, bis ich ihn mit voller Kraft auf den Boden warf. Erst jetzt kam ihm die Erleuchtung. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Trotz seines Zustandes wusste er, was los war. Mein Lächeln entblößte meine schneeweißen geraden Zähne. Ein kurzes Leuchten der Erkenntnis flammte erneut in seinem betrunkenen Gesicht auf. Er wusste, wer ich war - sehr gut.
Wie ein Blitz änderte sich die Stimmung des armseligen Mannes. Er schien Angst zu bekommen. Keine Worte konnten nennen wie sehr mir diese Macht gefiel, die nun mal wieder in mir zu wachsen schien. E es tut m mir leid., stotterte und lallte der Feigling kleinlaut am Boden liegend. Nicht viele kannten meinen Ruf, doch wenn dieser Mann es wusste, erklärte es mir so einiges über ihn. Mit einer minimalen Bewegung in seine Richtung schreckte er bereits auf. Auf dem Boden kriechend, bewegte er sich hektisch zu seiner Frau. Sie schien mich nicht zu kennen, doch wirkte sie erleichtert. Ich wusste, dass der Respekt nun wieder hergestellt war. Nach wie vor mit meinem Grinsen, blickte ich von der Frau zu dem, fast weinenden, Mann. Vor Schreck schaute er mich nicht einmal mehr an. Nun konnte ich nicht anders, als in einem schallenden Gelächter auszubrechen. Die Frau vor mir zog ihre Stirn in Falten, doch ließ nach einer kurzen Zeit wieder los. Mir schien, als ob sie mich etwas fragen wollte. Diese Frage würde ich jedoch nie zu hören bekommen. Sie wand sich von mir ab und blickte skeptisch zu ihrem Mann am Boden. Jetzt bist du wenigstens da, wo du hingehörst., piepste sie unsicher. Irgendetwas in mir wusste, dass diese Begegnung nicht die letzte sein würde.
Schließlich verlor ich das Interesse an dem seltsamen Paar und drehte mich wieder in Richtung Taverne. Ein erneuter Windstoß ließ mich gen Himmel blicken. Die Luft roch nach einem anstehenden Unwetter. Fast wie gerufen hörte ich in der Ferne den ersten Donner erklingen.