13. Anruf

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"Hi Mai!"

"Hi Milo. Alles gut bei dir?"

"Ja, sorry, dass ich so lange gebraucht habe, um ans Telefon zu gehen. Ich musste erst noch meine Hände abtrocknen. Ich bade nämlich gerade."

"Ich dachte das wäre so ein Mädchending. Außerdem sind heute fast dreißig Grad."

"Keine Ahnung, ich hatte einfach Lust."

"Tja, leider wirst du gleich mehr als nur deine Hände abtrocknen müssen."

"Was meinst du?"

"Jemand erwartet dich."

"Bitte?"

"Schau mal vor deine Haustür."

"Warum- was? Stehst du etwa vor meiner Wohnung? Nein, das kann nicht sein. Woher solltest du denn meine Adresse kennen?"

"So viele Studentenwohnheime in der Nähe der einzigen Uni der Stadt, an der man Physik studieren kann, gibt es nicht. Und deinen Nachnamen herauszufinden, wenn du der Sohn eines Besitzers von einem von zwei Theatern der Stadt bist, ist auch nicht schwer."

"Das ist krank."

"Ich warte."

"Weißt du noch, was du bei unserem ersten Telefonat erzählt hast? Das mit dem Mörder, der der Frau die Kehle durchgeschnitten hat?"

"Wie könnte ich das vergessen?"

"Vielleicht bist du ja wirklich der Mörder."

"Klar. Statt einfach wieder irgendwo einzubrechen, verbringe ich jeden Samstag und seit zwei Wochen sogar mehrere Tage der Woche damit, mit meinem nächsten Opfer stundenlang zu telefonieren, statt ihn einfach direkt umzubringen."

"Gut, ich komme ja schon."

"Lass dir Zeit. Ich warte ja erst seit fünf Minuten."

"Warum sagst du nicht auch vorher Bescheid?"

"Warum sollte ich? So ist es doch viel lustiger."

"Du bist scheiße."

"Warum jetzt schon wieder?"

"Da ist niemand vor der Wohnungstür."

"Wie sollte da auch jemand sein? Der müsste dann ja den Hausschlüssel haben."

"Ohh! Stimmt. Wie solltest du auch ins Treppenhaus kommen?"

"Also, kommst du jetzt runter? Wir könnten ein bisschen spazieren gehen."

"Ja, nur muss ich mir dafür richtige Kleidung anziehen. Ich trage gerade nur ein Handtuch."

"Ach, das macht doch nichts!"

"Zwei Minuten. Ich beeile mich."

"Wie kann es eigentlich sein, dass du immer Zeit hast mit mir zu reden, wenn ich anrufe?"

"Du hast da jedes Mal ziemlich Glück. Letztens war ich mit Freunden unterwegs und gerade nachdem ich mich von ihnen verabschiedet hatte, hast du angerufen. Und oft rufst du abends an, da mache ich sowieso meistens nichts mehr."

"Außer zu baden."

"Beziehungsweise unterbrochen zu werden."

"Warum brauchst du so lange? Weißt du nicht, was du anziehen sollst?"

"Ha ha. Ich bin gleich bei dir."

"Uhh, ich höre wie du die Treppen herunterläufst. Noch drei, zwei-"

"Wo bist du?"

"Wie meinst du das?"

"Hier ist niemand."

"Warte, gibt es etwa zwei Milos in Studentenwohnheimen?"

"Versuchst du gerade ein Lachen zu unterdrücken?"

"Oder habe ich dich gerade einfach auf den Arm genommen?"

"Hast du nicht."

"Du kannst jetzt wieder zurück in die Badewanne steigen. Ich stehe nicht vor deiner Tür. Ich habe nämlich nicht die geringste Ahnung, wo du wohnst oder wie ich das herausfinden könnte."

"Du...!

"Ich was?"

"Du Blödmann!"

"Und, lädst du mich jetzt auf einen Cocktail ein?"

"Nein. Ich lasse es immer noch unglaublich gerne über mich ergehen, wenn du mich ärgerst."

"Das kaufe ich dir nicht ab."

"Du bist so unberechenbar. Das hasse ich an dir – und gleichzeitig mag ich es."

"Wer badet bitte an einem Sommertag in seiner Badewanne statt in einem See? Ich konnte einfach nicht anders, als dich davon abzuhalten."

"Hattest du das schon die ganze Zeit geplant?"

"Dass ich dich verarsche? Ja. Aber dass du sogar gerade baden warst, konnte ich nicht wissen. Das macht es so viel besser!"

"Das Badewasser ist jetzt fast kalt. Und jetzt habe ich auch gar keine Lust mehr, dir von den guten Neuigkeiten zu erzählen."

"Doooch, bitte!"

"Nö."

"Du kannst es sowieso nicht lange für dich behalten."

"Na gut. Meine Eltern haben dem Radiosender eine Mail geschrieben, in der sie erzählt haben, wie gerne und lange sie den Sender schon hören und dass sie Besitzer des Theaters sind, was bald schließt und zum Abschied den Poetry Slam veranstaltet."

"Oh, ich habe ganz vergessen, meine Mutter zu bitten, mal nachzufragen."

"Macht nichts. Meine Eltern wollten sich eh lieber selbst darum kümmern. Das kommt denke ich auch besser herüber."

"Und, habt ihr schon eine Antwort erhalten?"

"Ja, der Sender wird am Tag darauf ihre besten Fünf der Poetry Slams im Radio übertragen und dabei für die Spenden werben. Und im Gegenzug werben sie beim Poetry Slam."

"Wie cool, dass sie mitmachen! Wie kannst du dich nur so neutral verhalten? Als würdest du dich gar nicht freuen."

"Ach, ich habe immer noch meine Zweifel. Es sind nur noch zwei Wochen. Ich hoffe einfach, dass alles gut geht. Das haben meine Eltern verdient."

"Alles wird gut, Milo. Okay?"

"Wenn nicht, erkläre ich dich für schuldig. Schließlich war es deine Idee."

"Ich nehme alles zurück, was ich gesagt habe. Ich hoffe der Abend wird beschissen."

"Das geht jetzt wirklich zu weit!"

"Wie gut, dass Wünsche nicht in Erfüllung gehen, die man laut ausspricht, richtig?"

"Richtig. Irgendwie hätte ich dich gerne gesehen, heute."

"Ich hätte gerne dein Gesicht gesehen, das du gemacht hast, als niemand vor der Haustür stand!"

"Hey, sei leise!"

"Wenn du mich dazu bringst."

"Das hättest du wohl gern."

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