Kapitel 1.2 - Flussabwärts

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03. Jir'Lore, 2145 n.n.O.

Vorsichtig sah ich zu Zac herüber, der ein Stück weiter still im Wasser schwebte. Er sah aus, als würde er auf etwas lauschen, aber ich wusste es besser: Er jagte. Fisch, was sonst? Seit drei Tagen. Jeden Tag. Roh. Ich konnte nicht anders, als angeekelt den Mund zu verziehen. Es war widerlich, aber mein Hunger hatte mich schnell pragmatisch werden lassen. Trotzdem hoffte ich, dass das Jagen ihn genug ablenkte.

Wieder schob ich mich unauffällig ein Stück weg und meine Haare waberten wie Algen um mich herum, grüne Algen. Denn das Rot meiner Haare war verschwunden und einem matten Grün gewichen, sobald mich Zac nur ein paar Meter tiefer unter die Oberfläche gezogen hatte. Das lag daran, dass das Wasser die Farben aus dem Licht herausfilterte oder so. Zac hatte es mir erklärt, aber ich hatte nicht weiter zugehört.

Zac. Wieder huschte mein Blick zu seiner reglosen Gestalt und abermals schob ich mich ein unauffälliges Stück weiter weg. Die Idee zu diesem Fluchtversuch war mir erst vor wenigen Minuten ganz spontan gekommen. Ich wusste nicht einmal genau, wohin – aber umso weiter ich von dieser Kröte weg kam, desto besser.

Besagte Kröte war noch immer still wie eine Statue. Nur seine dunklen Haare bewegten sich gemächlich in der Flussströmung. Mittlerweile hatte sich durch seine Unbeweglichkeit das Wasser um ihn beruhigt und floss nahezu ungestört. Langsam fühlten sich die kleinen, scheuen Fische sicherer und kamen aus ihren Verstecken. Aber es waren nicht die kleinen Fische auf die Zac wartete und so verharrte er weiterhin regungslos. Wieder schwamm ich vorsichtig ein paar Meter weiter. Er reagierte noch immer nicht. Ganz vage hatte ich die Idee, ans Ufer zu schwimmen, Sonne zu sehen, den Wind auf meiner Haut zu spüren... Das erste Mal, seit einer gefühlten Ewigkeit.

Einen kurzen Moment lang dachte ich an den Tag des Erstbadens zurück, doch dann verdrängte ich die Erinnerung rasch. Ich wollte nicht daran denken. Es tat weh und weckte nur wieder das Bedürfnis zu Schreien. Also schob ich jeden Gedanken an Zuhause beiseite und konzentrierte mich stattdessen auf meine nächsten Schwimmzüge. Das war schwer, denn mein Rock hatte sich zwischen meinen Beinen verheddert. Mal wieder. Genervt schlug ich den Stoff auseinander, um besser schwimmen zu können. Vielleicht sollte ich ihn ausziehen, um schneller voran zu kommen? Abermals linste ich in Zacs Richtung. Er hatte auf sämtliche Kleidung verzichtet, seit wir im Wasser waren. Doch da er aus einem fast menschlichen Oberkörper und hüftabwärts aus einem einzigen Fischschwanz bestand, störte es mich kaum. Aber der Gedanke, es ihm gleich zu tun... Nein, das würde ich ganz sicher nicht. Also schwamm ich weiter.

Mittlerweile war ich soweit weg, dass ich den Flussmenschen im trüben Wasser kaum noch sehen konnte. Ob es ihm auch so ging? Sollte ich dann weiterhin langsam sein, um nicht durch schnelle Bewegungen auf mich aufmerksam zu machen? Oder sollte ich versuchen, möglichst schnell wegzukommen? Kurz zögerte ich, doch dann entschied ich mich. Schnell weg. Ich ließ mich tiefer auf den Flussgrund sinken bis ich mit angewinkelten Beinen in einer kauernden Hockstellung verharrte. Dann stieß ich mich mit aller Kraft vom Boden ab und schoss in die Höhe. Die funkelnde Helligkeit der Oberfläche sprang mir geradezu entgegen.

Zum ersten Mal regte sich so etwas wie Hoffnung in mir, während das Wasser an mir vorbeiströmte und mir in den Ohren rauschte, als wollte es gegen meinen Fluchtversuch protestieren. Aber das war falsch. Ich gehörte nicht hierher. Ich gehörte an Land.

Als der Schub nachließ, begann ich, so schnell wie ich konnte, zu schwimmen, um den Schwung noch möglichst lange mitzunehmen, immer weiter nach oben. Das glitzernde Licht der Oberfläche war hypnotisierend. Noch ein paar Schwimmzüge weiter. Nur noch ein kleines Stückchen. Dann durchbrach mein Kopf das Wasser und das erste Mal seit Tagen spürte ich wieder Wind auf meinem Gesicht.

Des Wassermanns Weib II - berührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt