Weil sie alle gleich sind, verschwimmen sie zu einer grauen Masse, die für diejenigen, die noch nicht blind sind, mehr als nur abstoßend wirkt. Und die, deren Augen noch sehen können, werden für ihre Abgeschiedenheit mit Einsamkeit und Schmerz beschenkt.
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Ich sah auf die schwarze Uhr an meinem Handgelenk. Es war 20 vor Acht und eigentlich fing in fünf Minuten der Unterricht an, aber ich wollte die Klasse noch nicht betreten. Der Lehrer war noch nicht da und ich wollte nicht mehr Zeit als unbedingt nötig in diesem Raum verbringen. In diesen verfluchten vier Wänden in diesem verfluchten Gebäude.
Ich hasste es, zur Schule zu gehen. Mir war klar, dass das kindisch war und es nichts an der Tatsache, dass ich hingehen musste, ändern würde, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Emotionen waren Emotionen und nicht einfach auslöschbar, selbst wenn sie unerwünscht waren.
Ich wartete noch genau zwei Minuten, sah dann aber ein, dass ich wohl oder übel den Klassenraum betreten musste und öffnete die Tür.
Im nächsten Moment wünschte ich, ich hätte es nicht getan, auch wenn ich wusste, dass ich es musste.Ohrenbetäubender Lärm, den ich vor der Tür auch schon gehört hatte, empfing mich und verursachte mir direkt Kopfschmerzen. Aus den Augenwinkeln sah ich einen Fußball auf mich zufliegen und konnte noch gerade rechtzeitig einen halben Schritt nach Hinten machen, sodass der Ball an mir vorbei flog und gegen die Wand prallte, von dort aus dann auf dem Boden landete und noch ein oder zwei Meter rollte.
Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, richtete meinen Blick starr auf meinen Platz und versuchte mich niemandem auf weniger als einen Meter zu nähern. Ich versuchte damit Kommentare und ähnliche Bemerkungen zu vermeiden, was jedoch nur teilweise Erfolg brachte. Jari zum Beispiel, der in der Reihe vor mir saß, drehte sich gerade zu mir um und grinste überheblich.
"Schiss vor Bällen, oder was?"
Ich sah ihm nicht einmal ins Gesicht, fixierte bloß weiter meinen Platz und setzte mich hin, packte meine Sachen aus und sah nach links, in Richtung Fenster. Draußen war es noch dunkel, aber schon bald würde die Sonne die Schatten vertreiben und es würde wärmer werden. Zumindest hoffte ich das, denn ich hatte bloß ein T-Shirt und eine lange Hose an, nichts warmes also.
Es dauerte noch ca. ein bis zwei Minuten, ehe der Lehrer mit Schwung die Tür öffnete und mit in etwa genau so viel Schwung wieder zufallen ließ. Für einen kurzen Moment wurde es Still in der Klasse. Diese zwei Sekunden genoss ich, versuchte die Ruhe festzuhalten, mit der Gewissheit, dass es nicht möglich war.
Mit schweren Schritten ging Herr Heimahr nach vorne zum Pult und ließ seinen genervten Blick über die Klasse schweifen. Er war ein ziemlicher Morgenmuffel und versäumte es auch nicht, seine Schüler dies spüren zu lassen.
Herr Heimahr unterrichtete Deutsch und eigentlich mochte ich das Fach, doch seit der siebten Klasse hatten wir nun Herrn Heimahr in diesem Fach und mit ihm...machte es einfach keinen Spaß mehr. Wir bekamen keine kreativen Aufgaben mehr, mussten nur strickt auswendig lernen, wie man eine Analyse nach der anderen schrieb und dies dann in die Tat umsetzen.
Natürlich könnte man jetzt meinen, dass man selbst bei Analysen kreativ werden konnte und eigentlich würde ich demjenigen zustimmen, aber bei Herrn Heimahr war das nicht ganz so leicht. Gefühle waren ja sowieso nicht in Analysen zulässig, aber genausowenig durften wir interpretieren oder deuten. Natürlich war das normalerweise nicht in Analysen verboten, aber Herr Heimahr sah es nun mal nicht gerne, es sei denn, man hatte einen komplett logischen und emotionsfreien Grund für seine Deutung.
Die Stunde fing an, zog endlos lange an mir vorbei. Ich bekam kaum etwas mit, sah durch sie alle hindurch und richtete meinen Blick irgendwo in Richtung Tafel, damit ich wenigstens ansatzweise aufmerksam wirkte.Die anderen Schüler interessierten sich nicht für mich, solange ich nichts tat. Oder, doch, eigentlich schon. Ich hörte die Mädchen in der rechten Reihe vor mir tratschen.
Es ging darum, wann sie das letzte mal Shoppen waren, wessen Freund wen letztens auf ein Date ins Kino eingeladen hatte und natürlich die Opfer der Stufe. Mich eingeschlossen.
"Hast du ihr Oberteil gesehen?"
"Das ist doch noch nicht das schlimmste!"
"Genau! Hast du schon mal jemanden mit so einer Hose rumlaufen sehen?"
"Das ihr das gar nicht peinlich ist! Und kombinieren kann die auch nicht!"
"Stimmt! Schwarz mit Schwarz ist ja mal sowas von...unsexy!"Und so weiter und so fort.
Ich musste mich mit Gewalt dazu zwingen, den Mädchen nicht mehr zuzuhören sondern an irgendetwas anderes zu denken. In meiner Verzweiflung begann ich sogar, dem Unterricht zu folgen. Alles war besser, als mir das weiter anhören zu müssen. Dachten die, ich könnte sie nicht hören? Ihre abwertenden Blicke nicht sehen?
Nein...Es war ihnen egal. Dann hörte ich es eben. Dann sah ich eben die Blicke. Ich konnte eh nichts tun. Die Lehrer würden nichts tun, meine Eltern nicht, meine Klassenkameraden nicht und ich am allerwenigsten. Sollte ich auch nur einen Finger gegen sie erheben, würde ich ihnen damit nur noch mehr Gründe geben, mich fertig zu machen.
Es war wie wenn du Kampfhunden oder so gegenüber standest. Senke den Blick und mache keine Anstalten, dich zu wehren, und sie werden dich wenn überhaupt bloß gelegentlich angreiffen. Sieh ihnen in die Augen und sie werden nicht aufhören dich zu attakieren. Provoziere sie und sie werden so lange zuschnappen, bis du es nicht mehr kannst. Einfaches Prinzip.
Mein Blick wanderte zur Uhr. Es war Zehn nach Acht. Ich hatte demnach noch 20 Minuten vor mir, ehe die fünf Minuten Pause anfing. Aber eigentlich war es ja egal, wann die Stunde endete. Wir hatten eh eine Doppelstunde und alles, was sich veränderte, würden die Lehrer und das Fach sein. Nicht meine Klassenkameraden, nicht meine verschissene Lage und schon gar nicht ich selber. Leider.
Herr Heimahr ordnete an, die Bücher auf Seite 184 zu öffnen und den Infokasten in unser Heft abzuzeichnen. Wenigstens eine Aufgabe, die weder besonderer Intelligenz noch anstrengung bedurfte.
Ich schlug das Buch auf der vorgegebenen Seite auf, danach das Heft und begann mit Bleistift die Grafik in mein Heft zu übertragen. Für eine Weile war es Still im Klassenraum, nur hin und wieder quatschte die ein oder andere Gruppe.
Als die Ersten fertig wurden und ich selber auch nicht mehr viel zeichnen musste, wurde es wieder unruhig. Diejenigen, die bereits fertig waren, redeten mit anderen, egal ob bereits fertig oder nicht und störten damit alljene, die noch am arbeiten waren. Nicht, dass es sie interessieren würde.
Paul, welcher neben Jari saß, drehte sich zu mir um und warf einen Blick auf mein Heft. Naja, er versuchte es, aber das Buch versperrte ihm die Sicht und generell konnte man von seiner Position aus wohl kaum etwas auf meinem Heft erkennen. Dies schien ihn aber nicht sonderlich zu stören, da er selbstgefällig grinste und mit erhobener Stimme etwas durch die Klasse rief.
"Keine My Little Pony's zeichnen, Lizz!"
Wütend funkelte ich ihn an, bis er die Augen verdrehte und sich zu Jari wandte, dem er irgendetwas zuflüsterte.
Ich spürte, wie sich Verzweiflung in mir breit machte, ich den Kopf erneut senkte und mein Blatt anstarrte.
Wieso? Wieso waren Menschen nur solch wiederliche Wesen?
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Just a thing called love
RomanceSeit die 15-Jährige Lizz in die 5.Klasse gekommen ist, ist jeder Tag in der Schule zur Hölle geworden. In der Grundschule kam sie mit den anderen gut klar, aber als es auf dem Gymnasium dann nur noch 'Jungs hier, Klamotten da' hieß, kam sie nicht me...