Andreas hatte jegliches Zeitgefühl verloren als er im Wartezimmer des Krankenhauses saß.
Er hatte ein Klemmbrett mit Dokumenten zum Ausfüllen bekommen, auf dem er Angaben zu Chris machen musste. Größe, Gewicht. Alter. Allergien. Krankheitsfälle in der Familie. Andreas zitterte. Er füllte die Fragen mit unleserlicher Handschrift aus, während die Uhr an der blass-grünen Wand des Warteraums unaufhaltsam vor sich hin tickte.
Er händigte das ausgefüllte Protokoll der Schwester an der Rezeption und setzte sich dann wieder in den unbequemen Plastikstuhl im Wartezimmer bis schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, ein Doktor mit wallendem Kittel auf ihn zukam.
„Herr Reinelt?" erkundigte sich der Doktor und Andreas sprang so schnell aus dem Stuhl aus, dass ihm fast schwindelig wurde.
„Wie geht es ihm? Kann ich zu ihm?"
„Ihr Bruder hat die Operation an seinem Oberschenkel ohne große Komplikationen überstanden," erklärte der Arzt mit ruhiger Bestimmtheit. Er blickte kurz in die Patientenakte und sah dann Andreas über den Rand seiner Brille hinweg an, so als müsste er sich davon überzeugen, dass Andreas in der mentalen Verfassung war, mehr über den Zustand seines Bruders zu erfahren. "Grundsätzlich ist alles gut verlaufen. Aber die Blutzufuhr ihres Bruders war durch die Beschaffung des Bruches so lange unterbunden, dass seine Mobilität eventuell dauerhaft eingeschränkt sein könnte."
Andreas fühlte wie ihm das Blut aus den Adern. „Soll das heißen—"
„Das soll heißen, ihr Bruder kann von Glück reden, dass er nicht gelähmt ist. Für alles Weitere ist es wohl noch zu früh um bestimmte Prognosen abzugeben. Aber die Operation war erfolgreich und mit der richtigen Physiotherapie könnte es sein, dass die volle Beweglichkeit des Beins wiederhergestellt werden kann. Wie wahrscheinlich das ist, werden uns die kommenden Wochen zeigen. Eine Garantie dafür haben wir leider nicht."
Andreas nickte. In erster Linie war er einfach nur erleichtert, dass Chris am Leben war und dass er wieder gehen können würde. Die letzten Stunden über, hatte er es kaum gewagt auch nur daran zu denken, was gewesen wäre, wenn Chris tatsächlich querschnittsgelähmt aus dem Unfall herausgekommen wäre. Das hätte er psychisch niemals verkraftet. Soviel war sicher.
„Die Verbrennungen an seiner Hand werden wohl Narben hinterlassen. Wir haben ihm etwas für die Schmerzen und gegen das Fieber gegeben. Jegliche Berührungen mit den verbrannten Stellen sollten in den nächsten Monaten vermieden werden um den Heilungsprozess zu fördern. Er wird wohl noch ein paar Nächte zur Beobachtung hier bleiben müssen."
Andreas nickte einfach nur, zu glücklich darüber, dass Chris trotz aller Verletzungen okay zu sein schien, als sich über etwas wie ‚Narbenbildung' den Kopf zu zerbrechen. „Kann ich zu ihm?"
„Er ist noch im Aufwachzimmer. Es wird wohl noch ein wenig dauern, bis er wieder völlig zu sich kommt. In der Zeit dürfen Patienten nicht besucht werden. Aber die Schwester wird sie informieren, wenn er soweit ist."
„Vielen Dank, Doktor," bedankte sich Andreas und lies sich wieder in den Stuhl sacken.
Er hatte sich gerade erst zurückgelehnt und die Augen geschlossen, als sein Telefon zu klingeln begann.
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Anders Als Man Denkt
AçãoEs ist der letzte Auftritt der Tour und Chris hat sich eine Grippe eingefangen. Geschwächt vom Fieber und emotional aufgewühlt nach einem Streit mit Andreas passiert das Undenkbare: Chris hat einen Unfall auf der Bühne und wird schwer verletzt. Wir...