57 | Tears are words the heart can't say.

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Lennox' Lippen formten meinen Namen, aber seine Stimme drang nicht zu mir durch. Die Unbekannte schaffte es, dass ich mich endlich bewegte und mit ihr gemeinsam aus dem Raum lief, selbst wenn ich im Nachhinein der Überzeugung war, nicht viel zu den Schritten beigetragen zu haben.

„Kommen Sie, setzen Sie sich." Die Frau führte mich zu der Marmortreppe, deren Schönheit ich bei meiner Ankunft noch bewundert hatte. Nun hatte ich kein Auge mehr für die verspielten Details übrig, einzig für die unfassbare Kälte, die von den Steinen auf meinen Körper überging.

Meine Aufpasserin ging vor mir in die Knie, umfasste meine zitternden Hände und versuchte vergebens, meinen Blick aufzufangen.

Unaufhaltsam rollten Tränen über meine Wangen, denen ich kraftlos den Weg freiräumte. Wochenlang hatte ich es geschafft, nicht mehr in Tränen auszubrechen und die Emotionen für mich zu halten, weil ich wirklich glücklich gewesen war. Jetzt fühlte ich mich, als wäre ich wieder ganz am Anfang angelangt. In dem Moment, in dem man mir gesagt hatte, dass meine Mutter nicht mehr am Leben war.

Wie ein gebrochener Damm ließen meine Augen das salzige Wasser auf meine Wangen sickern.

„Paul, such ihren Vater, lass ihn herbringen und ruf ihnen ein Taxi." Die Worte der Ehefrau überschlugen sich in ihrem Mund, doch sie blieb vollkommen ruhig. Vielleicht war es auch nur mein Kopf, der mit ihren Worten nicht zurechtkam und sie nicht verarbeiten konnte.

Von dem Angesprochenen erkannte ich nichts, außer die dunkle Farbe seines Anzuges und dass er sich langsam aus meinem Sichtfeld entfernte und mir bald nicht mal grobe Umrisse blieb.

Die Frau, die nach einem Blumenmeer roch, hatte alle Mühe damit, meine Wangen von Tränen zu befreien und mir währenddessen leise zuzusprechen. „Mein Mann und ich werden Sie und Ihren Vater nach Hause bringen. Wir werden dafür sorgen, dass Sie von diesem Ort wegkommen, versprochen."

Wäre mein Körper nicht mit unendlicher Trauer beschäftigt gewesen, wäre ich ihr vermutlich vor Dankbarkeit um den Hals gefallen. Es ehrte sie, dass sie als einzige eingegriffen und nun so besorgt um mich war. Während alle anderen scheinbar genauso geschockt wie ich gewesen waren, hatte sie mich nach draußen geschleift und dafür gesorgt, dass ich meinen Frust nicht vor den Augen aller ausließ.

„Er hat mich angelogen. Er hat mich ausgenutzt, um dafür zu sorgen, dass er sich besser fühlt. Ich hasse ihn." Eisern schüttelte ich den Kopf und senkte meinen Blick auf ein Taschentuch, das sie mir aus ihrer Handtasche reichte. Ich zerknüllte es zwischen meinen Händen, ohne zu wissen, für was ich es gebrauchen könnte, dabei brannten meine Augen wie Feuer.

Blonde Locken wippten auf und ab, als sie den Kopf neigte und mir schwach zustimmte. „Es ist in Ordnung, dass Sie wütend auf ihn sind, Kleines. Sie haben jedes Recht dazu. Dennoch glaube ich, dass Sie sich selbst einen Gefallen tun, wenn sie Ihre Wut nicht hier, sondern zuhause rauslassen." Ihre warmen Finger legten sich an meine Wangen, bevor sie mich in eine Umarmung zog. Ich hatte diese nicht erwartet, aber ich wehrte mich auch nicht gegen sie. Vielleicht konnte sie mir helfen, die gebrochenen Teile meines Herzens beisammen zu halten.

Es war vollkommen absurd, dass ich in den Armen einer fremden Frau lag, aber verhindern konnte ich es nicht. Mein Kopf war zu sehr damit beschäftigt, zu verstehen, was geschehen war, während mein Körper schon längst wusste, wie schwer das Video mich getroffen hatte.

Gehetzte Schritte in der Umgebungen ließen mich den Kopf heben und erkennen, wie mein Vater in Begleitung eines Mannes in die Eingangshalle stürmte.

Heftiges Schluchzen brach aus mir heraus und sorgte dafür, dass mir die Schultern noch schwerer wurden. Der Schmerz hatte in seinen Augen ein neues Zuhause gefunden, hatte sie trüb werden lassen und dafür gesorgt, dass die Freude, die an diesem Abend durch ihn geströmt war, verblasst war.

Paralyzed | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt