Es war dunkel. Zu dunkel. Er hörte seinen eigenen Atem und das Rascheln hinter ihm in den Büschen. Sein Herz begann erneut schneller zu schlagen.
Er wusste nicht wie lange er schon rannte. Waren es Minuten? Stunden?
In dieser einsamen Dunkelheit kamen einem die Stunden wie Tage vor.In dieser Dunkelheit, aus der es kein Entkommen gibt...
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Montagmorgen. Miriam hasste Montagmorgende. Das Wochenende war vorbei, was bedeutete, dass sie früher aufstehen musste und zudem die ganzen Schwachköpfe aus ihrer Klasse wiedersehen musste.
Diane würde ihr bestimmt keine Entschuldigung schreiben, nur weil sie keine Lust hatte.Diane... Jene junge, wunderschöne Frau, die sie vor einigen Jahren bei sich aufgenommen hat und schon immer eine viel bessere Mutter für Miriam gewesen war, als es ihre eigene je hätte sein können.
Ihre Mutter... Miriam hatte sich selbst verboten sich zu viele Gedanken über sie zu machen. Sie hatte sich nie wirklich um sie gekümmert und würde es wahrscheinlich auch nie tun.
Sie hatte Miriam verachtet für das, was sie war. Eine Missgeburt hatte sie sie genannt, wegen dem, was Diane eine Gabe nannte. Eine Gabe, wegen der sie in der Lage war das zu sehen, was kaum jemand noch sehen konnte. Die Geschöpfe der Nacht!
Aber es sind keinesfalls nur grauenhafte, mordlustige Kreaturen, wie so mancher behauptet. Sie können wunderschön sein, und besser als so mancher menschliche Freund.Aber gerade wegen dieser Gabe hat ihre Mutter sie gehasst. Sie hasste es, wenn Miriam mit ihnen sprach, aber noch mehr hasste sie es, wenn Miriam ihnen den Eintritt in ihre Welt gewährte. Sich über Paralleluniversen hinweg mit ihnen zu unterhalten war eine Sache, aber dass Miriam sie mit in ihr Universum nahm konnte ihre Mutter garnicht leiden.
Denn egal wie schön jene Wesen auch sein konnten, für ihre Mutter waren es abscheuliche und wiederliche Ungeheuer, die sie nicht bei sich im Haus haben wollte.
Deshalb sperrte sie ihre Tochter in ihrem Zimmer ein, sobald sie ihre Freunde in ihre Welt brachte. Sie wollte verhindern, dass diese Kreaturen mit ihrer missratenen Tochter zusammen im Haus rumliefen.
So viel es ihr auch nicht auf, wenn Miriam ab und zu verschwand um ihre Freunde in ihrer Welt zu besuchen.Insgeheim hatte sie die Hoffnung, dort etwas über ihren Vater rauszufinden. Er war vor Jahren spurlos verschwunden. Abgehauen, wie ihre Mutter behauptete. Aber Miriam glaubte ihr nicht. Sie war sich sicher, dass er noch irgendwo da draußen war um auf seine kleine Tochter zu warten. Sie war der Festen Überzeugung, dass er die gleiche Gabe hatte und in der von ihr genannten "Schattenwelt" auf sie wartete.
Mittlerweile war Miriam 16 Jahre alt und von ihrem Vater hatte sie immernoch nichts gehört. Sie ist vor zwei Jahren von zu Hause weggelaufen, um ihrer Mutter zu entkommen. Wahrscheinlich vermisste diese ihre Tochter nicht mal mehr und war sogar froh, dass sie sie endlich los war.
Aber in Diane hatte Miriam sehr schnell ihre Mutter gesehen. Schon seit dem Tag, an dem Diane sie weinend und frierend an der Bushaltestelle gefunden, und ihr von da an ein zu Hause geboten hat.
Nun lebte sie schon seit zwei Jahren in dem großen Haus. Zusammen mit Diane, dem Kater Mino, den sie wegen seinem getiegerten Fell so gerne "kleiner Tiger" nannte, und natürlich mit ihren Freunden aus der Schattenweld, die hin und wieder zu Besuch kamen.
Aber leider konnte keiner von ihnen Miriam vor der Schule retten.
Seufzend stand sie auf und wünschte sich sofort in ihr warmes, kuscheliges Bett zurück. Es war kurz vor Weihnachten und sie hatte gestern Abend vergessen ihr Fenster zu schließen. Zitternd tappste sie barfuß zum Kleiderschrank, um sich warme Klamotten rauszusuchen und sie schnell anzuziehen.
Als sie die Treppe nach unten hinabtrottete hörte sie schon Diane, die in der Küche stand und Rührei machte. Miriam fragte sich immer wieder, wie die 31-jährige es schaffte um 6:00 Uhr morgens schon so gut drauf zu sein.Miriam nuschelte ein "Guten Morgen" und trottete zum Schrank um sich die Sachen für ihren Kakao rauszusuchen.
"Guten Morgen! Hast du gut geschlafen?" gab Diane gut gelaunt zurück. Miriam gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Für alles andere war sie noch zu müde. Sie hätte gestern Abend echt nicht so lange aufbleiben sollen um zu lesen. Aber in Bücher konnte man so wunderbar eintauchen und alles um sich herum vergessen.Gähnend suchte sie Teller und Besteck für sich und Diane raus, während diese das Rührei auf den Tisch stellte.
Währenddessen kam Mino in die Küche geschlichen und kuschelte sich an Miriams Bein.
"Guten Morgen kleiner Tiger." begrüßte sie den kleinen Kater, ehe sie ihm sein Futternapf füllte.Miriam und Diane setzten sich an den Tisch und begannen schweigend zu essen. Man hörte das Radio und das leise Schmatzen von Mino, der grnüsslich sein Futter fraß. Nach dem Frühstück machte Miriam sich für die Schule fertig.
Sie verabschiedete sich von Diane und ging los. Da die Schule nicht so weit entfernt war, konnte sie zu Fuß dorthin gehen.
Miriam war froh darüber. Sie könnte sich nicht vorstellen, dass es angenehm sein würde in einem Bus gequetscht mit vielen anderen Leuten zur Schule gefahren zu werden.
Dafür liebte sie es aber zu fuß den Weg durch den Park zur Schule zu nehmen. Hin und wieder sah sie ein paar Leute mit ihrem Hund vorbeilaufen. Sie sah auch einige Mütter, die ihre Kinder in den Kindergarten brachten. Alle anderen hielten sich bei diesem kalten Wetter eher nicht so gerne draußen auf.
Aber für Miriam gab es keine schönere Jahreszeit als den Winter.Der Schnee fiel leise, in dicken Flocken vom Himmel und Miriam vergrub ihre Hände in den Manteltaschen, während sie durch die weiße Glitzerwelt zur Schule ging.
In der Schule angekommen ging sie direkt zu ihrem Klassenraum und setzte sich auf ihren Platz.
Der Platz neben ihr war frei... Blieb es wahrscheinlich auch immer... Sie war die Außenseiterin, die Komische. Aber das war ihr egal. Wenn niemand mit ihr sprach hatte sie wenigstens ihre Ruhe.Sie packte ihre Sachen aus und schaute auf die Uhr. Noch 15 Minuten bis zum Unterrichtsbeginn. Genug Zeit um ein paar Seiten zu lesen. Sie holte ihren Lieblingsroman aus der Tasche und begann zu lesen. Sie versank für eine kurze Zeit in einer anderen Welt, bis ihr Lehrer den Klassenraum betrat und sie das Buch weglegen musste. Während sie gelesen hatte waren nach und nach die anderen Schüler gekommen.
Als sie aufsah bemerkte sie das zierliche Mädchen, das neben Herr Hade stand. Mit ihren blonden, schulterlangen Haaren und den himmelblauen Augen war sie das komplette Gegenteil von Miriam, die ihre pechschwarzen, langen Haare immer im Gesicht hängen ließ und somit ihre giftgrünen Augen versteckte.
Das Mädchen sah aus wie eine Disney-Prinzessin, die ihren Weg in die reale Welt gefunden hatte.
Sie hatte eine schlanke, zierliche Figur und ihre großen Augen fokussierten nervös auf den Boden, während Herr Hade anfing zu sprechen.
"Das ist Michelle. Sie ist neu an unserer Schule und geht ab heute in eure Klasse. Ich bitte euch nett zu ihr zu sein und ihr zu helfen sich hier zurechtzufinden."
Er bat Michelle, sich auf einen der freien Plätze zu setzen.Miriam konnte deutlich sehen, dass sie nicht die einzige war, die das Mädchen außerordentlich hübsch und interessant fand.
Fabian, der Klassenclown, zog erwartungsvoll den freien Stuhl neben sich zurück, während die hochnäsige Evelin aufgeregt auf den Stuhl neben sich klopfte.Aber zu Miriams Erstaunen kam Michelle direkt auf sie zu und setzte sich neben sie. Sie sah kurz auf und lächelte Miriam schüchtern an.
"Hi, ich bin Michelle." brachte sie leise heraus und hielt ihr die Hand hin. Miriam nahm zögerlich Michelles Hand. "Ich bin Miriam." gab sie zögernd zurück.
Irgendwas war komisch an diesem Mädchen.
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Kinder der Nacht
FantasyAlleine... Niemand ist jemals wirklich alleine. Selbst, wenn man sich einschließt, alle anderen von sich stößt und nur für sich stumm die Melodien summt, die alle anderen Gedanken für einen kurzen Moment ausschließen. Es gibt Wesen, die uns stumm be...