Kapitel 6: Ashamed

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Wir flüchteten schnell nach drinnen, wo wir uns auf die Suche nach Harry Styles und meinem Dad machten. Es war ungewöhnlich ruhig, weil Mom heute Thayer beim Lacrosse - Training zusah. Grayson, der für seine Verhältnisse sehr schweigsam war, räusperte sich, um die peinliche Stille zu füllen, "Schönes Haus." sagte er mit einem Blick auf die Familienbilder, die an der Wand hingen. Sie waren so merkwürdig. Vertraut und gleichzeitig fremd. Die Menschen, die sie portätierten war ein Leben lang Teil meiner Welt, doch wenn man nicht wüsste, dass wir tatsächlich alle blutsverwandt sind, hätte man es nicht erkannt. Wir waren so verschieden. Dad mit seinen südländischen Zügen, Mom die typische Engländerin und selbst Thayer und Ich, die wir ja eigentlich Zwillinge waren, hätten als solche nicht verschiedener sein können.

Es polterte erneut und ich hörte, wie etwas auf dem Boden zerbarst. "Hoffentlich, ist es nicht Moms chinesische Vase." zog ich die Luft ein und warf Grayson einen vielsagenden Blick zu. "Er ist ziemlich neben der Spur wegen Laurie." hörte ich ihn über Mr. Styles sagen, doch sein Blick wich meinem aus. War es ihm wirklich so peinlich, was gerade eben fast passiert war? Ich fand mich nicht hässlich. Okay, vielleicht war ich nicht unbedingt jedermanns Typ und hätte schon gar nicht Laurie Styles das Wasser reichen können. Aber ich hatte schon das ein oder andere Mal, Kerle über mich reden hören und war selber auch relativ zufrieden mit meinem Aussehen. Ausnahmen gab es natürlich, aber die würde ich jetzt nicht aufzählen. "Wie geht es dir? Standet ihr zwei euch nahe?" wollte ich wissen und erhaschte im Vorbeigehen einen Blick auf mein Spiegelbild. Rote Nase, verwuscheltes Haar, aber hey...meine Augen strahlten. Grayson blieb plötzlich stehen und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Ein Zeichen seines Unbehagens. "Es geht. Aber es nimmt mich trotzdem ziemlich mit." gab er zu und nun sah er mir auch wieder in die Augen. "Weißt du, es war kein Zufall, dass ich meinen Schal verloren habe." Mein Atem hielt für eine Sekunde an, was wollte er damit sagen? Wollte er mir gerade den Mord an Laurie gestehen? "Wie meinst du das?" Graysons Blick wurde noch unbehaglicher, "Bitte Madison, zieh keine voreiligen Schlüsse." bat er mich und ich nickte, weil mir auch gar nichts anderes übrig blieb. Ich platzte fast vor Spannung. "Jemand hat mich aufgetragen das zu tun." Er schwieg eine Weile und suchte in meinem Blick, nach einem Anzeichen dafür, was ich gerade dachte. "Ich weiß nicht, wer es war. Aber ich dachte es sei ein blöder Scherz, als ich die SMS bekam. Eine Prüfung oder so, also bin ich nach dem Gottesdienst rausgegangen und hab dich und Thayer dazu gebracht mir zu folgen. Mandy war bloß zufällig da." Ich schwieg, um die Informationen zu verdauen. Grayson hatte also eine SMS gekriegt, in der stand, er solle mich und Thayer hinter die Kirche locken...und er tat es auch noch. Wo blieb da der Sinn? "Weißt du wer dir die SMS geschrieben hat?" erkundigte ich mich neugierig. Grayson verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf, "Nein, natürlich nicht, sonst hätte ich es dir ja erzählt.", "Denkst du es ist jemand, den wir kennen?" Ich hob fragend eine Augenbraue. Grayson zögerte erneut, "Ich weiß es nicht. Es könnte jeder gewesen sein. Die Nummer war unterdrückt." Etwas an seiner Stimme verriet mir, dass er sehr wohl eine Vermutung hatte. "Wer denkst du ist es?" sprach ich ihn direkt an. "Ma-", er kam nicht dazu den Namen auszusprechen, denn er wurde von der lauten Stimme meines Vaters unterbrochen. "Madison? Madison, wo bleibt ihr?" hörte ich ihn aus dem Wohnzimmer rufen. Doch obwohl er den Namen nicht zuende gesagt hatte, wusste ich wen er meinte, Mason Carter.

"Mason Carter." flüsterte Grayson mir wie zur Bestätigung zu, während ich einen kalten Lappen und ein Glas Wasser für Mr Styles zusammensuchte. Seine karamellbraunen Augen sahen mich fragend an, Was hälst du von dem Verdacht? Ich hielt inne und ließ das kalte Tuch einen Moment von einer Hand in die andere gleiten. Dieser Blick, der nach Bestätigung suchte, irritierte mich. Vor einer Woche hätte er mich nicht einmal gegrüßt und jetzt stand er in meiner Küche, erzählte mir von anonymen SMS und wollte meinen Rat haben. Ich gab zu, dass ich Grayson schon immer heiß fand. Es kam selten vor, dass jemand blonde Haare und braune Augen hatte und ich persönlich fand, das ziemlich attraktiv. Aber die Art wie er mich gerade ansah und meinen Rat wollte, brachte mich total aus dem Konzept. Es schmeichelte mir, dass Grayson Horan sich mir anvertraute. Die leichte Röte, die mir ins Gesicht stieg, ließ sich nicht verhindern. "Grayson...Ich weiß nicht." stotterte ich und ließ den Lappen beinahe zurück in die Spüle fallen, Mein Gott, reiß dich zusammen, Maddie! "Ich mein ja nur." erklärte Grayson, der anscheinend nichts von meiner Verlegenheit bemerkte, "Seit er aufgetaucht ist passieren diese Dinge. Ich glaube nicht an Zufälle, Madison." Besorgt sah er mich an. Ich war kalkweiß geworden und klammerte mich wie verrückt an das Wasserglas und den Lappen. Was er sagte, stimmte. Er hatte recht. Es war komisch. Mason Carter war komisch. Aber es schien mir zu offensichtlich, dass er es gewesen war. Ich glaubte nicht an Zufall, genauso wenig wie er. Aber dieser Fall schien zu kompliziert, als dass die Lösung so einfach sein konnte. Ihr seid die Nächsten. Die Drohung. Womöglich war das gar kein leeres Versprechen, sondern eine ernstgemeinte Drohung. "Lass uns die Sachen zu, Mr Styles bringen." wechselte uch das Thema und ließ mir von Grayson das Glas aus der Hand nehmen. Er nickte und ich schlenderte wie ferngesteuert hinter ihm her ins Wohnzimmer, wo Mr Styles es sich auf unserem braunen Familiensofa bequem gemacht hatte.

Mein Dad saß auf der türkisfarbenen Couch neben ihm und beugte sich zu seinem Nachbarn vor, wobei er irgendetwas leise auf ihn einredete. Harry Styles schüttelte vehement den Kopf, "Nein, Zayn. Ich bin mir sicher, dass er es war." lallte er und hielt sich dann den Kopf als bereute er es sich so schnell bewegt zu haben. "Ouuuh...man. Das macht er um sich an uns zu rächen." Mein Dad sah nachdenklich auf ihn herab, die Stirn gerunzelt, strich sich mit einer Hand übers Kinn. Grayson räusperte sich, bevor ich ihn davon abhalten konnte. Idiot! Bis zu dem Zeitpunkt, hatten mein Vater und Harry Styles uns nicht bemerkt. Wer weiß, worüber sie gesprochen hatten. Es hatte jedenfalls ziemlich wichtig und hörenswert geklungen, und wenn Grayson nicht gewesen wäre, wüssten wir jetzt vielleicht, wen die Beiden in Verdacht hatten. War er denn gar nicht neugierig? Ich warf ihm einen vorworfsvollen Blick zu, den er unschuldig erwiderte, Was denn? Es ist nicht richtig Leute zu belauschen. Ich verdrehte die Augen und sah, dann meinem Dad an. Er musterte mich prüfend, "Bist du okay, Madison?" Ich nickte, wobei ich es vermied Grayson anzusehen. Die Erinnerung an den Beinahe-Kuss stieg in mir hoch. Mein Dad nickte ebenfalls und ließ sich erleichtert  zurückfallen. "Wollen Sie ein bisschen Wasser, Mr Styles?" fragte Mr-Nice-Guy neben mir höchstpersönlich und machte ein paar Schritte auf das braune Sofa zu, wobei er dezent die Nase rümpfte als er den Alkoholgeruch bemerkte. Ich folgte ihm ebenfalls und reichte Mr Styles den nassen Lappen, den er dankbar entgegennahm. "Einen Kater bekämpft man am besten mit noch mehr Alkohol." nuschelte er mit einem Blick auf Grayson und schielte dann fragend zu meinem Dad. "Zayn?" Mein Vater runzelte missbilligend die Stirn, "Du hast genug getrunken, Harry." Harry Styles lachte bitter, "So wie damals?" Das Gesicht meines Vaters verhärtete sich und unwillkürlich fragte ich mich, worauf er anspielte. Wie lange kannten sich Harry Styles und er? Konnte es sein, dass sie sich viel länger kannten, als ich geglaubt hatte? Dass ihre Verbindung tiefer ging als gedacht? Für mich war Harry Styles einfach immer nur ein Nachbar gewesen. Lauries Vater. Doch so wie er zu meinem Vater sprach, wie sie sich gegenseitig feindselig musterten und sich mit demselben britischen Akzent unterhielten, hatte es den Anschein, dass sie sich schon viel länger kannten. "Wie fühlt es sich an zu wissen, dass ich von meiner Vergangenheit eingeholt worden bin?" rief Harry mit plötzlich aufkommender Wut, "Freust du dich, dass meine Tochter tot ist, während deine Familie lebt? Denkst du ich habe das verdient? Als Rache dafür, dass ich deine Frau geküsst habe?" Deine Frau geküsst...

Was hatte das zu bedeuten? "Oder hast du etwa Angst? Du warst mal unser Anführer, Zayn." Er wurde jäh unterbrochen, von meinem Vater der aufsprang und ohne auf die beiden Jugendlichen im Raum zu achten, auf ihn zuschritt, sodass Grayson und ich wohl oder übel ausweichen mussten. "Halt die Klappe, Harry! Du bist betrunken." murmelte er und rüttelte den Mann auf dem Sofa. Harry Styles Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, doch in seinen grünen Augen lag unverhohlener Hass. Es hatte etwas psychopathisches, als er mit ruhiger Stimme weitersprach, "Ihr habt mich alle allein gelassen. Aber ich bin euch gefolgt und hab zugesehen wie ihr euch auseinander gelebt habt. Mary und Du, Liam...Niall." Bei der Erwähnung seines Vaters zuckte Grayson neben mir kaum merklich zusammen. Ich sah ihn misstrauisch an. Bisher hatte er kein Wort gesagt. Neben mir gestanden und geschwiegen. Doch während sich gerade in meinem Kopf ein Puzzle zusammensetzte, schien er sonderlich gefasst zu sein. Als wüsste er das alles bereits. Mr Styles sprang auf und kam zu mir rübergelaufen, war mit zwei großen Schritten bei mir und umschloss mit seinen langen Fingern mein Kinn, wobei ich seinen nach Alkohol stinkenden Atem in meinem Gesicht spürte, "Hat Daddy dir je etwas von mir erzählt?" flüsterte er, doch statt zu antworten, riss ich mich los und stand mit einer schnellen Bewegung hinter ihm. Es gefiel mir nicht, dass er mich anpackte und mit mir sprach als sei ich ein kleines Kind. Ob ich Mitleid mit ihm hatte hin oder her. Trotzdem war seine Frage gerechtfertigt. Hatte mein Dad ihn je erwähnt? Nein, dass hatte er nicht. Und auch Graysons Dad nicht oder diesen Liam. Meine Eltern sprachen selten von ihrer Vergangenheit. So selten, dass ich nicht einmal meine Großeltern kannte. Thayer und ich wussten lediglich, dass wir einen Onkel in Seattle hatten.

Harry Styles konnte offenbar Gedanken lesen, "Findest du nicht, es ist Zeit für Antworten?"

Ich sah meinen Dad fragend an. Seine schwarzen Augenbrauen waren dicht zusammengezogen. Er sah wütend an mir vorbei zu Harry, "Vergiss es!"

-Stratford Badboy-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt