Kapitel 11 - Das Erwachen

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Chris' Augenlider zuckten und öffneten sich langsam.

Verwirrt blinzelte er Andreas an, dann rollten er die Pupillen ganz träge von Seite zu Seite um den Raum zu begutachten, in dem sie sich befanden.

„Hey, da bist du ja wieder", lächelte Andreas. Er lehnte sich nach vorne und drückte Chris' Hand um die Aufmerksamkeit seines Bruders' auf sich zu lenken. „Hätte ja nie gedacht, dass ich das mal sage, aber scheiße, tut das gut dir in die Augen zu sehen, Bruder."

„—ndreas?" Chris' Zunge schien an seinem Gaumen zu kleben.

Andreas lachte durch seine Tränen hindurch und hielt Chris einen Becher mit Wasser, der auf seinem Nachtkästchen stand, an die Lippen. Chris nahm einen Schluck und fing an zu husten.

„Hey, nicht gleich alles auf einmal", sagte Andreas und tätschelte ihm die Brust, woraufhin Chris schmerzerfüllt das Gesicht verzog.

„Wo- wo bin ich?" Chris' Stimme war ganz heiser, so als hätte er Sandpapier verschluckt. Er blinzelte und kniff die Augen zusammen, als er sich erneut im Krankenzimmer umsah.

Sein Atem wurde deutlich schneller, als er versuchte sich zu bewegen und damit an der Eisenstange rüttelte, die sein linkes Bein in der Luft hielt. „Wa—"

„Hey, immer mit der Ruhe, Kleiner." Andreas legte eine Hand auf Chris' Brust. „Wir sind im Krankenhaus. Du bist gerade erst operiert worden."

„Operiert?" Unter seinen Fingern konnte Andreas fühlen wie Chris' Herz zu rasen begann.

„Oberschenkel", gab Andreas zurück und nickte auf das Ende des Bettes zu, wo Chris' Gips in der Schlaufe hing. „Kannst du dich denn an nichts mehr erinnern?"

Chris schüttelte den Kopf. „Nur dass wir uns gestritten haben. Und dann—"

„Und dann bist du ohne Sicherung auf die Bühne rauf und der Airburst ist losgegangen".

So sehr er sich auch bemühte, Andreas konnte den Frust und den Ärger über Chris' Leichtsinnigkeit nicht länger zurückhalten. Er hatte immer noch das Bild vor sich, von Chris, wie er da regungslos auf dem Boden lag, die Arme ganz seltsam abgewinkelt und den Kopf so unnatürlich zur Seite gedreht. Für einen Moment lang hatte er geglaubt, dass Chris...

„Du hättest sterben können." Andreas stand aus dem Sessel auf und wandte seinen Blick von seinem Bruder ab. Er nahm die Hand von Chris' Brust und fuhr sich damit durch seine dunklen Locken, als er mit seinen eigenen Emotionen rang. „Ist dir das eigentlich bewusst?"

Chris sah ihn mit großen Augen an.

„Es tut mir leid, Andi", flüsterte Chris und griff nach Andreas' Hand, so wie Papa nach ihm gegriffen hatte, um ihm das Versprechen abzuverlangen, immer für einander da zu sein.

Für eine Weile stand Andreas einfach schweigend neben dem Bett, mit Chris' kalten Fingern um sein Handgelenk geklammert. Mit anderen Menschen wäre ihm das unangenehm gewesen, aber mit Chris fühlte sich alles Natürlich an, selbst wenn es mal keine passenden Worte gab.

„Ich wollte mich nützlich machen", gab Chris schließlich leise zu als ihm das Blut in die blassen Wangen schoss. Beschämt, blickte er nach unten in seinen Schoß. „Ich wollte beweisen, dass ich die Show durchziehen kann und dass—" er stockte und sog scharf Luft ein als Tränen seine Augen füllten. „Dass du mir vertrauen kannst."

Andreas schloss die Augen als sein Herz ihm einen Tritt in seiner Brust verpasste. Er nahm einen tiefen Atemzug und sank wieder in den Stuhl neben dem Krankenbett.

Ohne den Kontakt zwischen ihnen zu brechen, umschloss er Chris' Finger mit den eigenen und fädelte ihre beiden Hände zusammen.

„Okay, jetzt hör mir mal zu," sagte er in einem ernsten Tonfall und lächelte seinen kleinen Bruder durch seine eigenen Tränen hindurch an. „Ich hab das doch nur gesagt, weil du krank warst und weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Denkst du ich würde mich Tag für Tag mit dir unter eine Todessäge legen, wenn ich dir nicht richtig trauen würde?"

Das brachte Chris zum Schmunzeln. „Vermutlich nicht, nein."

„Na siehst du." Andreas grinste zurück und drückte Chris' Hand. Er konnte sehen, wie sehr ihr Gespräch Chris verausgabt hatte und dass seine Augenlider bereits ganz schwer geworden waren. Vorsichtig ließ er von Chris' Hand ab und lehnte sich zurück in den Stuhl. „Versuch erst mal ein wenig zu schlafen, ja?"

„Bleibst du hier?", fragte Chris und erneut liefen seine Wangen an, so als würde er sich dafür schämen, seinen Bruder in seiner Nähe haben zu wollen.

„Klar, bleib ich hier". Andreas stieß ein kleines Schnauben aus. „Denkst du ich lass dich hier alleine, oder was?" Er lächelte und schüttelte leicht den Kopf. Ehe er sich versah, hatte er die Hand durch Chris' Haare gestrichen um die widerspenstigen Strähnen seines Bruders aus seiner Stirn zu streichen. Es war eine liebevolle Geste. Etwas, das er normalerweise bei seinen Kindern machte. Und unter normalen Umständen hätte Chris seine Hand wahrscheinlich abgeschüttelt oder aus seinem Gesicht geschlagen. Diesmal, lehnte er sich lediglich in die Berührung und ließ seine Augen langsam zufallen. 

Andreas seufzte und lehnte sich zurück in den Plastikstuhl ohne seine Hand von Chris' Stirn zu nehmen. „Entspann dich, Bruder. Ich geh nirgendwo hin, okay?" 

Anders Als Man DenktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt