Kapitel 13 - Der Besuch

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Es war etliche Stunden später, als Andreas mit einem zugegebenermaßen ekelhaften Kaffee und einer Zeitung in der Krankenhaus Cafeteria saß, dass sein Handy erneut zu klingeln begann. 

Gedankenverloren, ging er ran. "Ja?" 

"Andi, alles klar bei dir?" wollte Max, der Tour Manager wissen. "Wie geht es ihm?" 

Andreas stieß einen langen Seufzer aus und legte die Zeitung beiseite. 

"Er ist operiert worden. Oberschenkelhalsbruch. Der Doktor spricht von einem langwierigen Heilungsprozess", begann Andreas. Er zögerte für einen Moment, unsicher ob er Max die schlechten Neuigkeiten mitteilen, oder besser damit warten sollte. Doch dann entschied er sich dafür, die Wahrheit zu sagen. Es würde nichts bringen, ihren eigenen Manager anzulügen. "Es werden vermutlich Schäden zurück bleiben." 

Stille. 

Am anderen Ende schien es Max den Atem verschlagen zu haben. 

"Was für Schäden?" 

Andreas schloss die Augen. 

Er presste die Lippen aufeinander. 

"Er wird Physiotherapie brauchen," sagte Andreas nur. Er brachte es einfach nicht fertig, zu sagen, dass Chris vielleicht nie wieder normal gehen können würde. Dass er womöglich nicht mehr auf der Bühne stehen können würde, oder in ihrer Werkstatt in Bünde. "Intensive Therapie. Das heißt keine Shows mehr bis zum Ende des Jahres, vielleicht sogar darüber hinaus." 

"Andi..." 

"Da gibt es nichts zu machen," sagte Andreas.

"Wir haben erst März Andi", beschwerte sich Max. "Bis zum Ende des Jahres sind es noch 58 Shows. Wir sprechen von hunderten tausenden verkauften Tickets. Vielleicht kannst du ja einen Ersatz für Chris finden. Jemanden der für ihn einspringt, nur so lange bis es ihm besser geht."

"Das kommt nicht in Frage", sagte Andreas ohne auch nur eine Sekunde lang darüber nachzudenken. Er und sein Bruder hatten sich diesen Erfolg gemeinsam aufgebaut, sie hatten sich gemeinsam einen Namen gemacht. Es ging Andreas nicht um das Geld, es ging ihm noch nicht einmal um die Fans. Das hier war eine Prinzip Sache. Chris war sein Bruder. Er war genauso ein wichtiger Bestandteil der Show wie Andreas. Ohne ihn an Andreas' Seite, war das ganze einfach undenkbar. "Wir machen die Show entweder gemeinsam oder gar nicht." 

"Ja schon klar, aber wir sprechen hier von--" 

"Max", unterbrach ihn Andreas scharf. "Da gibt es nichts zu diskutieren." 

"Andi--" 

"Sag mal checkst du es nicht?!" platzte es aus Andreas heraus. Seine Stimme donnerte durch die Luft, laut und aggressiv genug um einige der anderen Gäste empört aufblicken zu lassen. Andreas' Finger festigten sich um das Handy. Er konnte förmlich fühlen wie die Wut in ihm pulsierte, die Wut und die Hilflosigkeit und die Frustration über alles das, was passiert war. "Ich hätte ihn heute fast verloren, Max! Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie sich das anfühlt?"

"Andreas--" 

"Er ist mein kleiner Bruder." 

"Das weiß ich doch", stimmte Max am anderen Ende der Leitung sanft zu. 

Andreas wusste, dass Max keine Schuld daran hatte, was passiert war. Er wusste auch, dass Arbeitsstellen und Gehälter mit der Tour verbunden waren. Dass es um die Existenz ihrer Crew ging, um tausende enttäuschte Fans, die sich bereits monatelang auf die heiß-ersehnte Tour gefreut hatten. Um die mediale Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil werden würde, sobald die News über Chris' Unfall erstmal öffentlich breitgetreten werden würde. Aber all das bedeutete nichts für Andreas, im Vergleich dazu, dass er Chris heute verlieren hätte können. 

"Wenn er anders gefallen wäre. Ich meine, wenn er nur einen verdammten Schritt weiter zur Seite gestürzt wäre", Andreas schluckte als er daran dachte wo Chris aufgeprallt war, nur wenige Schritte von den Verstärkern entfernt. "Dann wäre er jetzt..."

"So darfst du nicht denken", gab Max betroffen zurück.

"Um ein Haar hätte ich ihn für immer verloren", biss Andreas hervor. "Also erzähl mir nichts von Ersatzpartnern und verkauften Tickets. Ich will einfach nur, dass es ihm besser geht, hörst du?"

"Na schön," gab Max schließlich zurück. "Ich werde die Shows bis Ende des Jahres absagen. Judith bereitet sich einstweilen auf den Shitstorm auf Facebook und Twitter vor. Du brauchst dich vorerst um nichts zu kümmern, okay? Ich schick dir jemanden vorbei, der dir die Pressegeier vom Hals hängt. Mach einfach keine öffentlichen Aussagen zu dem Unfall oder zu dem was passiert ist, Andreas. Sollen wir dir eine Hotel irgendwo in der Stadt buchen?" 

"Nein, ich bleibe im Krankenhaus", sagte Andreas. 

"Du bist sicher fertig, Andi", beharrte Max. "Eine Dusche und eine Runde Schlaf würde dir sicher guttun. Ich lass dir ein Zimmer buchen, für den Fall, dass du es dir anders überlegst, okay?" 

Andreas hatte keine Absichten, das Krankenhaus zu verlassen, aber er gab trotzdem klein bei, in dem Wissen, dass Max ihm sonst keine Ruhe geben würde. "Ja, ist gut. Danke." 

"Kein Ding", sagte Max. "Ich schick dir gleich die Buchungsbestätigung durch. Julia ist am Weg zum Krankenhaus, um dir und Chris ein paar frische Klamotten aus dem Tour Bus zu bringen. Sie hat Chris' Handy und ein paar seiner Sachen dabei."

Daran hatte Andreas bisher noch gar nicht gedacht. "Okay, klasse." 

"Du meinst wohl eher 'Hammer'", versuchte Max ihn aufzuheitern, doch der Witz, der sonst immer funktioniert hatte, schien diesmal nicht zu wirken. "Lass den Kopf nicht hängen, okay? Chris ist nicht unter zu kriegen. Der steht bestimmt in ein paar Monaten wieder auf der Bühne und bricht allen Ladies das Herz." 

Das brachte Andreas dann doch ein wenig zum Schmunzeln.

"Danke für alles, Max", sagte er und legte auf. 

Gerade wollte er sich umdrehen und zurück zu Chris' Krankenzimmer gehen, als sein Herz in seiner Brust zum Stillstand kam. 

Da, am Ende des Wartezimmers, standen Steffi und seine Mutter.

Anders Als Man DenktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt