16~Be brave when you are scared~

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Alle schwätzten zufrieden und ich saß dabei und versank in meinen Gedanken. Vielmehr wurde ich von ihnen ertränkt.
Das Lied von vorhin, 'Perfect', spielte sich in Dauerschleife in meinem Kopf ab, wobei ich mich selbst dabei beobachten konnte, wie ich es sang.
Wie ich danach hinauslief und Samu dazukam.
Erinnerungen spielten sich wieder vor meinem geistigen Auge ab und es fiel mir schwer, sie nicht zu ignorieren.
Wieso hatten sie mich verlassen?

Um mich etwas abzulenken legte ich mein linkes Bein über das andere und wippte etwas mit dem Fuß.
"Ailina?"
Das sanfte Lächeln meiner Mutter kam mir in den Sinn und sofort spürte ich diese Wärme, die sie immer ausgestrahlt hatte.
"Ailina!"
... Hatte sie immer gesagt. Dann folgte
oft ein 'ich hab dich lieb, weißt du das?'.
"Ailina? Are you okay?" Ich zuckte zusammen und sah in vier verwirrte Augenpaare, als ich bemerkte, dass die seit geraumer Zeit versuchten, mit mir in Kontakt zu treten.
"Oh sorry, ich ...", begann ich und brach sofort entschuldigend ab.
"One more drink?", fragte mein Chef somit und überging meine Abwesenheit elegant.
"Klar, warum nicht", antwortete ich leicht trotzig und bedankte mich flüchtig, was von Hannu sofort übersetzt wurde.
Recht angespannt versuchte ich, die Erinnerungen vorerst zu vertreiben, da es dann doch unangenehm wurde, wenn alle so starrten.
Wirklich Stimmung war aber auch nicht mehr vorhanden. Entweder lag es an der Gesamtsituation oder an meinem plötzlichen Stimmungswandel.
Vermutlich eher an letzterem.
Ich schlürfte an meinem Getränk und wippte leicht mit dem Fuß, mit dem ich dann ausversehen Samu anstupste.
Entschuldigend hielt ich still und sah, wie er mich schelmisch angrinste.
Ohne mir etwas anmerken zu lassen, beteiligte ich mich wieder an der Unterhaltung.
Währenddessen spürte ich, wie Samus Fuß an meinem streifte, da er sich gerade ein wenig bewegte.
Füßeln will der Herr also!

Unauffällig stupste ich zurück und lehnte mich in den Stuhl. Innerlich bekam ich das Grinsen kaum von mir, aber äußerlich ließ ich mir nichts anmerken.
"I'll go home now", entschied ich irgendwann, auch wenn ich die Füßelei mit Samu nur zu gerne weitergeführt hätte.
"Me too", entschied dieser sich zu meiner Überraschung und stand ebenso auf.
"Osmo?"
Osmo sah zu und hoch und grinste schelmisch: "It's okay, I'll take a Taxi."
Wir verabschiedeten und bedanken uns schnell nochmal. Der Chef zwinkerte mir nur zu und nickte anerkennend, als wir gingen. Was auch immer das zu bedeuten hatte.
"Are you working tomorrow?", fing Samu an, während wir durch den Frühstückssaal zurück gingen.
"Jap, aber nur bis drei Uhr", antwortete ich und schnappte mir meine Gitarre, die noch in einem kleinen Abstellraum stand.
Samu brummte kurz zustimmend und sah mich nachdenklich an.
Ich lächelte unwohl und wand meinen Blick von ihm ab, da wir nach draußen gingen.
"Ailina?", begann er dann und wuschelte sich verlegen durch die Haare.
"Hmm?"
Er schien seine Gedanken zu sortieren, bevor er sprach: "Ehm ... How can I say it ... You know, ich mache etwas Arbeit mit Musik, joo?"
Ich nickte stumpf: "Du bist Musiker, ich weiß."
Verdutzt sah er mich an: "Oh really? Yes ok you know ... Ich habe gehört deine ... Music and it was pretty good. So I would like you to come in studio and make some music. Machst du ehm you know ... own songs?"
"Ja ja, ich schreib auch eigene, aber Samu ..." Ich liebte Musik machen zwar aber im Angesicht, dass Samu sowas wie berühmt war, wurde mir unwohl. Das ging mir etwas zu schnell und besonders wollte ich diese Chance nicht nur bekommen, weil ich Samu irgendwie kannte.

"Ich halte das für keine gute Idee", seufzte ich und sah ihm tief in die blauen glänzenden Augen, die immer trüber wurden, "Tut mir leid."
Samu atmete laut aus und verzog das Gesicht: "You can think about it okay? Please."
Ich ließ mich überreden und stimmte zu; darüber nachdenken konnte man ja mal.
Zusammen verließen wir das Hotel, vor dem mein und auch Samus Auto standen.
"So und wenn du nachgedacht hast, wir können maybe einen Kaffee trinken tomorrow?", fragte er noch.
Er stopfte die Hände in die Hosentaschen und lächelte leicht.
Ich nickte langsam: "Ja, bis zwei hab ich Zeit."
Wir verabredeten und also für elf Uhr und umarmten uns noch kurz, bevor ich mich in mein Auto plumpsen ließ.
Ich ließ mir den Abend bei der Fahrt nochmal durch den Kopf gehen und war sichtlich zufrieden. Selbst dieser Gefühlsausbruch störte mich nicht mehr; sollten die alle doch denken was sie wollten.

Die Nacht war wohl nicht die Erholsamste, die ich hatte. Ich wachte immer wieder auf, hatte sogar Albträume und lag einige Stunden wach.
So kam es, dass ich einem Herzinfakt nicht gerade weit entfernt war, als ich morgens in den Spiegel sah.
Meine Haut sah schäbig aus und war geprägt von dunkle Augenringen.
Die dunklen Haare waren garnicht mehr allzu dunkel und bald wäre nachfärben angesagt. Sie hingen nur lasch über meine Schultern, also sprang ich kurzer Hand unter die Dusche, um die Müdigkeit abzuwaschen.
Ein wenig schien es zu helfen, denn danach war ich dem Ebenbild einer Leiche doch nicht mehr ganz so nah.
Den Rest überschminkte ich ganz leicht.
Zufrieden band ich meine Haare zu einem Zopf und sah auf die Uhr. Ein paar Minuten hatte ich noch.

Man kam ja bekanntlich lieber zu früh, als zu spät, also machte ich mich sehr bald auf zu dem Café, das Samu vorgeschlagen hatte. Es lag etwas abseits der Stadt und war beschaulich; klein und süß. Viele Gäste waren scheinbar nicht da, also ging ich durch die Tür und sah mich um.
In einer Ecke entdeckte ich den blonden Wuschelkopf.
Samu trug eine Sonnenbrille, die ihm Ähnlichkeit mit Puck die Stubenfliege verlieh.
Etwas wackelig ging ich zu ihm, der mittlerweile aufgestanden war.
"Hyvää huomenta (Guten Morgen)", begrüßte Samu mich mit einer glücklichen Umarmung.
"Hei", grinste ich zurück.
Wir setzten uns wieder und ich versuchte einen Blickkontakt herzustellen, was seine Sonnenbrille aber zu verhindern wusste.
"Eine Sonnenbrille?", fragte ich verwirrt, worauf Samu nur schmunzelnd die Schultern zuckte.
Eine weitere Reaktion gab es nicht, also lehnte ich mich über den Tisch und griff nach der Brille: "Komm, zieh die mal aus."
Ohne Widerworte ließ er sich die große Brille abnehmen und schon bereute ich die Handlung. Seine Augen waren einfach zu durchdringend. Ich wusste nicht was es an ihnen war, aber so von der Nähe ließen sie mich schon stocken.
"Parempi (Besser)?" Samu zog die Augenbraue hoch und stützte seine Ellebogen auf dem Tisch ab.
Ich nickte nur stumm und versuchte den Blick von seinen Augen zu nehmen, die mich so anstrahlten. Aber es erwies sich als schwer. Na das war doch unmöglich!

"Kahvi (Kaffee)?"
"Cappuccino", antwortete ich dankend, worauf Samu bestellte.

"Hast du ... gedacht über diese Musik-Dings?"
"Vähän (ein bisschen)", murmelte ich und überlegte kurz, "Ich glaube, das geht etwas zu schnell. Aber danke für das Angebot."
Ja, so konnte man es sagen. Ich freute mich zwar, dass ich in Finnland so schnell Anschluss fand, aber ich wollte mich doch lieber erst mal einleben.
Samu seufzte enttäuscht auf und trank etwas von seinem Kaffee: "Okay ... Mutta kerro minulle, kun muutat mielipiteesi (Aber sag mir, wenn du deine Meinung änderst)."
Ich stimmte zu und zum Glück wechselten wir dann endlich das Thema.
Es wurde entspannter und unglaublich lustig. Samu hatte soviele Storys drauf und so viele Sachen erlebt; er könnte vermutlich Jahre erzählen und würde sich nie wiederholen.

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Einblick in Teil 17:
"Ailina, ich ... Kann ich ... wir ?", stammelte er unsicher.

'cause my life belongs to the other sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt