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Ich hebe langsam meinen Kopf und sehe, Esmeralda hektisch auf uns zu eilen. Ihr steht die Sorge ins Gesicht geschrieben und als auch ihr kleiner Bruder den Kopf hebt und sie sein verwundetes Gesicht sieht, schlägt sie sich schockiert die Hände vor den Mund.

Ihr schlanker Körper steckt in einer schwarzen Jeans und einem gestreiften Shirt, über dem sie einen olivgrünen Parka trägt. Das lange dunkle Haar hat sie zu einem lockeren Dutt gebunden, aus dem einigen widerspenstige Locken herausgefallen sind, die nun ihr hübsches Gesicht rahmen.

Sie geht vor Nelu in die Hocke und drückt sein Kinn leicht hoch um sein Gesicht genauer zu begutachten. Ihre grünen Augen füllen sich mit Tränen und sie fragt mit zitternder Stimme: "Nelu, was ist passiert? Wer war das?"

Der Junge senkt wieder seinen Blick und schweigt. In seinem Gesicht liegen Scham und Reue und er spielt nervös mit seinen Fingern.

"Nelu, sag mir die Wahrheit!", fährt sie ihn an, doch er sagt noch immer kein Wort.

Dann dreht sie sich zu mir herum, will gerade etwas sagen, doch als sie in mein Gesicht blickt, stockt sie für den Bruchteil einer Sekunde und ich bilde mir ein, ein sanftes Aufleuchten ihrer Augen zu erkennen.

"Herr Klingenthal?", fragt sie überrascht. Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen. Ich mag es, wie sie meinen Namen ausspricht. Sofort schlägt mein Herz ein kleines bisschen schneller und ich räuspere mich kurz, um wieder zur Vernunft zu kommen.

"Ja, Esmeralda, guten Abend", antworte ich freundlich.

"Was ist denn passiert?", fragt sie besorgt. "Die Jungen sind in eine Auseinandersetzung geraten, die ziemlich aus dem Ruder gelaufen ist. Nelu hat es am schlimmsten erwischt, der Krankenwagen..", beginne ich, als im selben Moment zwei Sanitäter in neonoranger Arbeitskleidung an uns heran treten. Einer der jungen Männer beginnt wortlos damit Nelus Gesicht zu reinigen und die Platzwunde über seiner linken Augenbraue kritisch zu untersuchen.

"Der Krankenwagen ist schon da", beende ich meinen Satz. Esmeralda entfährt ein heiseres Lachen. Die Info hätte ich mir sparen können.

Sie steht auf und bedeutet mir mit einem flehenden Blick ihr zu folgen. Sie läuft ein paar Meter abseits, bis sie außer Hörweite ihres Bruder stehen bleibt. "Wie schlimm ist es?", fragt sie mich aufgelöst und kämpft wieder mit den Tränen.

Es tut mir weh sie schon wieder so hilflos und verletzt zu sehen und ich lege ihr behutsam meine große Hand auf ihren schmalen Oberarm. "Es sieht schlimmer aus, als es ist. Die flicken ihn schon wieder zusammen, keine Sorge", beruhige ich sie und zwinkere ihr kurz zu, was ihr ein weiteres verhaltenes Lachen entlockt.

Ich wünschte, sie würde immer so lachen. Ihre einnehmende Ausstrahlung und das Strahlen ihrer Augen machen süchtig, wohingegen es mir ungewöhnlich nahe geht, wenn sie leidet. Ich bin von Natur aus ein überdurchschnittlich empathischer Mensch aber in diesem Ausmaß ist mir das zuvor noch nie passiert.

"Sie sagten gerade "die Jungen", wen meinten sie damit?", fragt sie und ihr Gesicht verdunkelt sich wieder.

"Nelu und Adonis", antworte ich ehrlich. "Adonis?", wiederholt sie fassungslos. Dann schüttelt sie den Kopf und schnaubt verächtlich. "Da hätte ich auch selbst drauf kommen können."

Sie schaut sich suchend um und ich folge ihrem Blick. Als sie Adonis entdeckt, legt sich ein Schleier aus Wut über ihr zartes Gesicht.

Sie fixiert ihn einen Moment lang zornig, wendet sich dann jedoch wieder von ihm ab und schaut mich an. "Es tut mir leid, dass Nelu so einen Ärger macht. Er ist ein guter Junge, wissen sie, aber Adonis zieht ihn immer wieder mit in die Scheiße", erklärt sie deutlich ruhiger.

Esmeralda - Smaragdgrüne Augen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt