Fluchend pfefferte ich meinen Notizblock durch das Wohnzimmer und stand von der Couch auf, um mir durch die ohnehin schon zerwühlten Haare zu fahren. Ich hatte mit viel Mühe irgendwelche Worte aneinandergereiht und daraus ein Lied geformt, dass so unfassbar scheiße war, dass ich Stück für Stück einfach immer weiter in dieses Tief zurück rutschte, aus dem ich geglaubt hatte, bereits hervorgekrochen zu sein. Aber dem war wohl nicht so. Noch immer wusste ich nicht, worüber ich wirklich schreiben sollte und alles an das ich denken konnte, wurde von der Erinnerung an die Deadline zermalmt, die bald schon ablaufen würde. Der Perfektionismus hing mir am Hals und der unabschüttelbare Gedanke daran, dass ich bald wohl oder übel meinen Job verlor, wenn das so weiterging. Die Blockade war nun vollends zurück und der einzige Lichtblick, den ich erhoffte, war einfach nicht da.
Ich war nach nebenan gegangen, in der Hoffnung, dass Mirae Lust auf einen spontanen Ausflug hatte, aber sie war nicht da gewesen. Weil ich allerdings endlich meinem neuen Gefängnis temporär entflohen war, entschied ich mich, ins Dorfinnere zu gehen und mich von der Ruhe und Leere einhüllen zu lassen, bis ich nicht einmal mehr dieses Nichts in mir spürte, das meine Kreativität heimsuchte.Am heutigen Tag war das Dorf aber nicht so leer und ruhig, wie gewohnt, denn auf dem Marktplatz hatten sich Leute auf Decken gesammelt, aufgereiht mit jeweils einem Gayageum auf dem Schoß. An der Spitze der kleinen Menschenansammlung, die gleichermaßen aus Kindern und Erwachsenen zusammengesetzt war, saß die Musiklehrerin Cho Yejin, in eines ihrer festlichen Hanboks gehüllt, das sie auch bei einem ihrer Auftritte auf dem Frühlingsfest des Dorfes getragen hatte. Sie hatte ihr schwarzes Haar sorgfältig in einen Zopf zusammengefasst und spielte der Menge mit leicht geneigtem Kopf, etwas auf ihrem Gayageum vor.
Eine unfassbare Erleichterung überkam mich, als ich den Klängen immer näher kam und die Friedlichkeit der Musiklehrerin und der kleinen Gruppe aus Kindern und vermutlich ihren Eltern auf mich überschwappte. Ich war froh, dass ich nicht der sonstigen Ruhe ausgesetzt war, obwohl ich sie mir zuvor noch gewünscht hatte. Als Cho Yejin das Spiel an die Eltern und Kinder abgab, verlor sich ein wenig die Melodie, aber die einvernehmliche Konzentration und das Gefühl der Menschen mit eigenen Händen die Musik zu erschaffen, die sie zuvor noch gehört hatten, war genauso entspannend, wie dem perfekten Spiel der Musiklehrerin zu lauschen.Ihr Blick fiel zufällig auf mich, als sie ihn über ihre Musikgruppe schweifen lies und mit einer kurzen Entschuldigung legte sie vorsichtig ihr Gayageum zur Seite, stand auf und strich ihre Röcke glatt, bevor sie auf mich zukam.
"Hat dich unsere kleine Probesession hergelockt? Wenn du möchtest, kannst du mitmachen. Ich zeige den Eltern gerade, wie ich mit ihren Kindern vorgehe, wenn sie das Instrument lernen. Sie mit einzubeziehen hilft immer, ihnen vor Augen zu führen, was für eine Meisterleistung ihre Kinder in jeder einzelnen Übungsstunde ablegen."
Die Musiklehrerin warf einen Blick zurück auf die Kinder, die nun dazu übergegangen waren, ihren Eltern Tipps zu geben, wie sie das Instrument einfacher spielten. In Cho Yejins Stimme schwang so viel Stolz mit und das Lächeln, das sie lächelte, brachte mich ganz aus dem Konzept, während ich ihr Profil betrachtete.
Obwohl ihre Augen von Eyeliner umrandet und mit einem rosafarbenem Lidschatten hervorgehoben wurden, erkannte ich eindeutig die Lachfältchen an ihren Enden. Es waren die selben Lachfältchen, die ich auch schon bei Mirae gesehen hatte, nur dieses Mal verschwanden sie unter einer Maske aus Makeup und befanden sich im Gesicht einer anderen Person. Mir war dieses Gesichtsmerkmal gerade so vertraut, aber es passte einfach nicht ins Bild.
"Alles in Ordnung, Namjoon?", fragte die Musiklehrerin und sah mich mit einem zarten, besorgten Lächeln an.
Wie hatte sie Mirae gerade so ähnlich sehen können, während sie jetzt wieder ganz anders aussah, eben wie sie selbst? Konnte man wirklich so besessen von einer Frau sein, dass man sie schon in einer anderen, vielleicht in jeder anderen Person erkannte, weil man sich wünschte, sie wäre gerade da? Wenn ja, musste ich mir wohl allmählig ernsthafte Sorgen machen."Tut mir leid, ich habe noch etwas wichtiges zu erledigen. Eigentlich wollte ich auch nur Luft schnappen. Ich ... ich gehe dann mal." Seltsam steif und mit einem Räuspern drehte ich mich um. Ich konnte Cho Yejins verwirrten Blick noch in meinem Rücken spüren, ehe ich hinter einem Haus abbog und damit genau in die entgegengesetzte Richtung zu meinem lief. Ich musste wohl oder übel wieder umkehren, aber das würde alles nur noch seltsamer machen, als meinen völlig kopflosen Abgang. Was war nur mit mir los? War Mirae nun schon wirklich so sehr in meinem Kopf verwurzelt? Eine andere, abwegigere Erklärung kam mir in den Sinn, aber diese schüttelte ich wieder ab. Das wäre unmöglich. Und dennoch ...
Als ich glaubte, dass die Luft rein war, eilte ich schnell zurück zu meinem Haus und schloss die Tür hinter mir. Hatte ich gerade wirklich für eine Sekund geglaubt, dass Mirae Cho Yejin war oder Cho Yejin Mirae? Wie auch immer.
Wieder raufte ich mir das Haar und wollte Taehyung anschreiben, um ihm zu berichten, dass ich wohl kurz vor dem Durchdrehen war, als ich sah, dass er mir bereits geschrieben hatte.
"Wie weit bist du mit dem Song? Ich will dich nicht stressen, ich wollte nur nachfragen, ob du voran kommst?"
Seine nett gemeinte Nachricht, so ehrlich die versteckte Besorgnis um mich darin auch war, ließ mich wieder zurück in das Loch fallen, aus dem ich für ein paar Minuten geflohen war und alles wurde nebensächlich. Nur noch der Song zählte, der mir eiskalt im Nacken saß und mir ins Ohr flüsterte, dass er meine einzige Möglichkeit war, meinen Job zu behalten. Danach wäre es vorbei. Ich würde den Job verlieren, für den ich hart und mit allem was ich hatte gekämpft hatte.
"Er ist in Arbeit. Ich sollte ihn noch pünktlich fertig bekommen", lautete meine monotone Textnachricht an Taehyung und ich ließ mich kraftlos auf dem Sofa sinken, zog ein Blatt und einen Stift zu mir ran und starrte die leeren Zeilen einfach nur an.
Ich sank immer tiefer und irgendwann verschwammen die einzelnen Linien vor meinen Augen und wurden zu einer unerkennbaren Masse aus weiß und etwas grau. Als sich mein Blick wieder klärte, war das Papier durchweicht und die Nachmittagssonne schien nicht mehr in mein Haus hinein, sondern war bereits weitergewandert.Das Klopfen an der Tür erweckte schließlich meine letzten Hoffnungen.
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the most painful things || kim namjoon
Fanfiction♫ Die schmerzhaftesten Dinge sind nicht die, die für jede Menschseele offen sichtbar sind, sondern die, die man unter der Oberfläche mit sich herumträgt. ♫ Als der von einer Blockade geplagte Musikproduzent Kim Namjoon in die ländlichste Gegend zieh...