Das ganze Krankenzimmer war in heller Aufruhr, als Andreas sich verspätet zu seiner Familie gesellte. Der Arzt machte gerade Visite und war mit Chris in ein Gespräch vertieft, während Mama und Steffi besorgt aus dem Fenster auf die Masse von Paparazzi starrten und hitzige Worte austauschten.
"Auch schon hier?" fragte Chris mit einem müden Schmunzeln und ließ eine Augenbraue bis zum Haaransatz wandern. "Was war los? Hast du noch 'n paar Interviews gegeben, Bruder?"
Es war mehr als Scherz gemeint, doch irgendwie konnte Andreas den Hauch eines Vorwurfs in der Stimme seines Bruders hören. So als hatte er ernsthafte Zweifel darüber, was Andreas wohl vor der Presse über seinen Zustand ausplaudern könnte. Das machte ihn irgendwie sauer. Natürlich hatte Andreas sich in Talk Shows und bei Interviews oft über Chris lustig gemacht, ihn veräppelt oder getriezt, aber das hier war anders. Es war die bittere Realität.
"Ich hab ihnen gesagt, du hast dich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen", witzelte er trocken. "Und dass du ab sofort Christina genannt werden willst."
Für einen Moment weiteten sich Chris' Augen, doch ebenso schnell fing er an zu lachen. Er stieß seinen Ellenbogen in Andreas' Seite und schüttelte amüsiert den Kopf. "Du bist ein Idiot."
"Du bist der Idiot", korrigierte ihn Andreas. "Natürlich hab ich ihnen nichts gesagt. Was denkst du denn von mir? Die erfahren schon noch früh genug was passiert ist, und dann nimmst du am Besten einfach selbst Stellung."
Chris nickte ihm dankbar zu und mit einem Mal wurde Andreas wieder ernst. Er wartete noch einen Moment bis der Arzt und die Krankenschwester damit fertig waren, Chris' Verband zu wechseln und seine Befunde zu prüfen. Dann verschwanden die beiden und Andreas ließ sich mit einem Seufzen in den Stuhl sinken, der ihm in den vergangenen Tagen so vertraut geworden war. "Die Kids denken du hast Krebs."
"Die Kids denken was?!" Chris' Stimme wurde laut. Mit einem Mal setzte er sich gerade im Bett auf, die Augen entsetzt auf Andreas gerichtet. Auch Steffi und Mama wurden plötzlich hell-hörig.
"Oh, nein", flüsterte Steffi und sah Andreas beinahe flehend an. "Die Jungs?"
Andreas wischte sich mit beiden Händen über das müde Gesicht und nickte. "Sie haben es wohl irgendwo im Internet aufgefasst. Facebook oder so. Was weiß denn ich. Sylvia hat's mir erzählt."
"Facebook?" fragte Chris schockiert und womöglich waren es die Schmerzmittel, aber er schien die Connection nicht in seinem Kopf machen zu können. "Aber wir haben doch gar nicht--"
"Du weißt ja wie sowas heutzutage läuft", sagte Andreas einfach nur. "Jeder ist doch nur geil auf irgendeine Story. Vielleicht hat das ja die Bild gepostet, oder irgendjemand von den Fans... jedenfalls kursiert das Gerücht jetzt im Internet und die Kids haben es gesehen."
"Scheiße," fluchte Chris wütend und begann an seinem Fingernagel zu kauen. Sein Blick war nachdenklich auf die Bettdecke gerichtet, als er die Info zu verarbeiten versuchte.
"Scheiße?" Steffi schien das Gesagte nicht ganz so kalt zu lassen. Sie kannte die Monster besser als jeder andere hier im Raum und sie wusste genau, was die Kids gerade durchmachen mussten. "Ich muss sie sofort anrufen und ihnen sagen, dass das völliger Quatsch ist."
Sie fischte ihr Handy aus ihrer Handtasche und machte ein paar hastige Schritte auf die Tür zu, doch Andreas stellte sich ihr in den Weg. "Andreas, die Kinder--"
"--die werden dir das genauso wenig abkaufen wie Sylvia", versuchte er sie zu beruhigen und umschloss ihre Oberarme mit seinen Händen um sie zurückzuhalten.
Doch Steffi war eine Löwenmama. "Sag mal, hast du sie noch alle? Andreas, die sind bestimmt am durchdrehen vor Sorge! Ich muss sofort--"
"Steffi, warte", rief Chris ihr vom Bett aus zu. Andreas hätte seinen Bruder vor Dankbarkeit um den Hals fallen können. Sowohl er als auch Steffi drehten sich um. "Ich ruf die Kinder an. Lass mich mit ihnen reden. Ist sowieso längst an der Zeit, dass ich mich bei den Würmern melde." Er versuchte ihnen zuversichtlich zuzulächeln, aber Andreas konnte das Glitzern in seinen Augen sehen. All das war bestimmt nicht leicht für ihn. Die Unsicherheit wie es wohl für ihnen weitergehen würde, welche Schäden er davontragen würde. Ob er jemals wieder auf der Bühne stehen können würde. Und nun auch noch das! Chris hielt die Hand aus und bedeutete Steffi näher zu kommen. "Ist schließlich sowieso alles meine Schuld. Wenn ich nicht entschlossen hätte mit Fieber auf die Traverse zu klettern, würden die gar nicht erst auf die Idee kommen, sowas im Internet zu googeln."
Andreas wollte widersprechen, aber da war Steffi auch schon an das Bett getreten und hatte Chris ihr Handy in die Hand gedrückt. Sie schien sich wieder unter Kontrolle zu haben.
"Du bist ihnen so wichtig, Chris", sagte sie bedrückt und strich ihm mit der Hand über die Wange. "Ich wusste gar nicht was ich ihnen sagen sollte, nachdem Andreas angerufen hat. Ich wollte es irgendwie verpacken, aber... aber sie haben es uns einfach angesehen, weißt du? Das etwas ganz Schlimmes mit ihrem Onkel passiert ist."
Chris nickte nur, sichtlich berührt und ein wenig schuldbewusst, nun da ihm bewusst wurde, wie sehr seine ganze Familie unter dem Unfall litt und nicht nur er selbst. "Schon gut, ich ruf sie an und klär das auf. Könnt ihr mich vielleicht kurz allein lassen?"
Steffi nickte und sie und Mama verließen den Raum.
Andreas lächelte Chris traurig zu. Dann folgte er ihnen und schloss die Tür.
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Anders Als Man Denkt
ActionEs ist der letzte Auftritt der Tour und Chris hat sich eine Grippe eingefangen. Geschwächt vom Fieber und emotional aufgewühlt nach einem Streit mit Andreas passiert das Undenkbare: Chris hat einen Unfall auf der Bühne und wird schwer verletzt. Wir...