Kapitel 22 - Der Abbruch

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Gegen halb zehn kam Steffi in die Werkstatt. 

Andreas war nicht nach Hause gekommen. Er hatte auch nicht angerufen, wie er es sonst immer tat, wenn er wusste, dass er es nicht fürs Abendessen nach Hause schaffen würde. Stattdessen, hatte er sich in die Arbeit vertieft, um sich von seinen Gedanken abzulenken und dabei die Uhr aus den Augen verloren. 

"Es tut mir leid", sagte er, als er den enttäuschten Gesichtsausdruck seiner Frau sah. Er stellte sich innerlich auf ihre Standpauke ein und war dann umso überraschter, als sie ihm einfach nur ihr Handy vor die Nase hielt. 

"Kannst du mir erklären, was das ist?" fragte sie.

Es war eine kurze Nachricht von Chris. Darüber, dass er wohl für ein paar Wochen bei einem Kumpel unterkommen würde und sich vorerst mal länger nicht blicken lassen könnte. Darüber, dass sie sich keine Sorgen machen sollten, falls er länger als sonst nichts von sich hören ließe. 

Andreas schluckte und versuchte seine Schuldgefühle zu verbergen. Ihm wurde schlecht, beim Gedanken, dass Chris bei irgendwelchen Freunden saß wie ein Häufchen Elend und sich still und heimlich davonstahl um seine Tränen rauszulassen.

Und alles das war seine Schuld. 

Andreas zuckte mit den Achseln. "Er will halt raus, braucht Abwechslung. Kannst du's ihm verübeln nach Wochen im Krankenhaus?" 

"Ach, und du hast also überhaupt nichts damit zu tun, oder wie?"

Andreas schloss die Augen und sagte nichts. 

"Andi, lass den Unsinn. Max hat mich angerufen und mir gesagt, dass ihr aufhören wollt."

Na toll. 'Schönen dank auch, Max!' 

Andreas biss sich auf die Zunge. Er nahm einen tiefen Atemzug und versuchte sich zu erklären. "Wir haben mehr Geld gemacht, als wir uns jemals erträumt hätten. Davon alleine können wir alle gut leben. Ganz zu schweigen von den Tantiemen und--"

"Worum geht es hier wirklich?", unterbrach Steffi ihn.

Andreas schüttelte den Kopf. Da war es wieder, dieses fiese Brennen in seinen Augen. Die Kehle, die sich immer schmerzhafte zuschnürte. "Ich kann ihn nicht nochmal verlieren."

"Das musst du nicht", sagte Steffi und legte ihre Arme um seinen Nacken. Er schmiegte sich an ihren Bauch und sie legte schützend die Hände um seinen Kopf, so als wäre er eines ihrer Kinder. "Es war ein Unfall, Andi. Unfälle passieren jeden Tag. Er könnte jetzt gerade am Weg zu seinen Kumpels mit dem Auto ins Schleudern geraten. Wir alle können jederzeit sterben. So ist das einfach. Deshalb müsst ihr doch nicht euren Traum aufgeben." 

Andreas vergrub das Gesicht in ihrer Mitte und umklammerte Steffi's Rücken. "Ich kann nicht vergessen was passiert ist. Jedes Mal wenn ich ihn anschaue, seh ich..."

"Und du denkst das Bild geht dir aus dem Kopf wenn ihr euch nicht mehr seht oder was?"

Andreas drückte sie fester an sich. 

Er hatte keine gut Antwort darauf und Steffi seufzte. 

"Na schön, jetzt hör mir mal zu..." sagte sie. "Selbst wenn du aussteigst, wird Chris seinen Weg gehen, hörst du? Am Ende steht er vielleicht mit jemand anderen auf der Bühne. Jemanden, dem er nicht so sehr trauen kann, wie dir. Und was wenn dann etwas passiert, hmm?"

Andreas hasste es wenn Steffi Recht hatte. 

Er zog die Augenbrauen zusammen und löste sich mit einem wässrigen Schnauben von seiner Frau. "Dann bring ich den Bastard, der mit ihm auf der Bühne gestanden hat eigenhändig um."

Steffi schüttelte grinsend den Kopf, doch die beiden wurden rasch wieder ernst.

"Was wenn ich es nicht kann?", fragte Andreas. "Was wenn ich die Nerven wegschmeiße?" 

"Na dann probt ihr so lange, bis du dich wieder daran gewöhnt hast, ihn da oben stehen zu sehen. Niemand hat gesagt, dass ihr morgen schon wieder Stadien füllen müsst."

Andreas nickte. "Du meinst wir sollen es langsam angehen?" 

Steffi strich ihm liebevoll durch die Haare und lehnte sich nach unten um ihm einen Kuss auf die Schläfe zu drücken. "Ja... ja das denke ich", sagte sie und drückte Andreas das Handy entgegen. "Jetzt ruf ihn an und entschuldige dich."

"Und wenn er nicht mit mir sprechen will?"

"Dann probierst du es morgen nochmal." Sie zuckte mit den Achseln. "Er ist zwar stur, aber so stur dann auch wieder nicht. Schon gar nicht was seinen großen Bruder angeht." 

Mit einem Lächeln kehrte sie ihm den Rücken zu.

Anders Als Man DenktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt