Kapitel 20

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„Darf ich?“ Setzte sich Mike neben Riku. Der sass, wie fast jeden Tag, wenn das Wetter es so wollte, am See. „Du doch immer.“ Lächelte Riku. Es war wieder etwas ehrlicher. Erreichte noch nicht ganz seine Augen. Sah jedoch nicht mehr so gequält aus. „Wie geht es dir, Riku?“ Riku atmete tief durch. Gute Frage. Wie ging es ihm? „Besser als an dem Tag, als ich angekommen bin.“ – „Das sieht man.“ Strich Mike ihm leicht über sie Schulter. „Unter Hildes Fürsorge, ist das auch kein Wunder.“ – „Ja, meine Frau hat den Hang zum bemuttern.“ Grinste Mike. „Genau das habe ich wohl gebraucht. Sie ist ein Engel. Ihr beide.“ Umarmte Riku Mike.
„Ich hatte das Gefühl, keinen Boden mehr unter meinen Füssen zu haben, als ich her kam. Eigentlich schon davor. Seit der Trennung von Samu.“ Fing Riku an zu reden. Davor, ging er diesen Unterhaltungen, eher aus dem Weg. Mike wollte ihn reden lassen, ohne Fragen dazwischen zu stellen. Er wusste, dass die beste Art war, Riku zum Reden zu bewegen. Einfach abwarten. „Samu war schon immer der feste Boden unter meinen Füssen. Der Erfolg, hat diesen Boden ins Wanken gebracht, bis ich ihn mir selber komplett weg gezogen habe. Seit dem...fühle ich mich, wie im freien Fall. Ohne wirkliche Aussicht, am Boden anzukommen.“ – „Hast du dich deshalb mit Mia eingelassen? Oder steckte mehr dahinter?“ Nahm es Mike nun doch Wunder. „Liebe nicht. Musste ich mir, nach einem Gespräch mit ihr und Samus Post auf Instagram, eingestehen. Vielleicht war es auch wegen Kränkung. Am meisten wohl einfach, weil Mia mir ein bisschen Sicherheit unter den Füssen gab. Doch wollte ich sie niemals ausnutzen.“ – „Das weiss Mia bestimmt.“ Riku nickte. „Sie wollte einfach eine gute Freundin für mich sein. Doch ihr Herz hing etwas zu fest an mir.“ Riku hatte immer noch ein schlechtes Gewissen. „Du solltest dein schlechtes Gewissen sein lassen. Mia ist halt genug, dass sie wusste, auf was sie sich da einlässt.“ – „Ich weiss. Aber ich wusste, dass sie mich schon lange davor, etwas mehr in ihr Herz geschlossen hat, als andere.“ – „Ihr habt euch, von allem Anfang an, in ungünstigen Lebenssituationen kennen gelernt. So ging es weiter. Beide von Sehnsüchten geplagt, die nicht gestillt wurden, bis ihr euch wieder gefunden habt. Dadurch konnte keiner von euch beiden einen klaren Gedanken fassen. Da kann man keinem einen Vorwurf machen. Ihr habt euch an etwas geklammert, was ihr gebraucht habt. Was aber nie wirklich da war.“ Mike hatte natürlich Recht. Riku hatte sich dies schon eingestanden. Dennoch. Er war nun mal einfach ein Mensch, der sich um alle sorgte.
„Ich habe das Gefühl zu Grunde zu gehen, wenn ich das nicht mehr bekomme.“ – „Du brauchst es, wie die Luft zum Atmen.“ Riku nickte. „Du wirst es wieder bekommen.“ – „Von wem?“ Mikes Augenbraue hob sich in die Stirn. „Diese Frage war jetzt nicht ernsthaft gemeint, oder doch?" Riku nickte leicht. „Du weisst genau von wem. Samu würde dich mit alle dem überschütten. Wahrscheinlich am liebsten schon gestern, statt erst morgen.“ Das wusste Riku. Und so sehr sich sein Herz und sein Kopf sich gegenseitig bekämpften, so sehr sehnte er sich danach. Nach Samus Liebe, in die sich Riku immer so gerne fallen liess. So gerne, würde er es wieder tun. „Ich kann ihm einfach nicht mehr vertrauen. Wie soll ich mich denn so, wieder auf Samu einlassen?“ – „Woher willst du das wissen, wenn du es nicht versuchst?“ Mike sah Riku fragend an. „Ich habe eine scheiss Angst.“ – „Wovor?“
Riku sah über den See. Die Sonne spiegelte sich darin. „Davor, dass sich wieder alles wiederholt, wenn ich jetzt heim gehe und wir dort weiter fahren, wo unsere Wege sich trennten. Samu hätte sein Ziel erreicht und mich wieder. Weshalb sollte er dann weiter kämpfen und den letzten Schritt gehen? Ich hasse mich dafür, dass ich so über ihn denke.“ Raufte sich Riku durch die Haare. „Denkst du wirklich, Samus Bemühungen, wenn es auch nur zwei Posts waren, sind nur darauf aus?“ – „Woher soll ich das wissen. Es ist schon eine Weile her, dass ich wusste, was in Samu vorgeht.“ Da war, in den letzten Jahren, viel von ihrer perfekten Beziehung in die Brüche gegangen, ging es Mike durch den Kopf. „Bevor ich Samu wieder eine Chance gebe und mein Herz öffne, welches ihn immer noch so verdammt liebt, muss er den entscheidenden Schritt gehen. Auch wenn es egoistisch klingen mag. Ich muss jetzt einfach an mich denken. Noch eine solche Verletzung, stehe ich nicht durch.“ Riku atmete tief durch und strich sich übers Gesicht.
Mike betrachtete Riku genauer. Der Betrug an seinem Herzen, reichte tief. Tiefer, als man es von aussen sehen konnte. So tief, dass Samu sich verdammt viel Mühe geben musste, dass Riku ihm wieder voll und ganz vertraute. Das verstand Mike jetzt. „Und wenn er das tut? Was machst du dann? Wirst du ihm eine Chance geben? Kannst du danach einfach dort anknüpfen, wo ihr aufgehört habt?“ All diese Fragen, hatte sich Riku in den letzten Wochen, in denen er hier war, auch gestellt. Ohne sich selber eine wirkliche Antwort darauf geben zu können. Bis auf eine. „Dort anknüpfen, wo alles aus den Fugen geriet, werden wir niemals mehr können.“ Ein trauriges Seufzen entwich Riku. „Alles was wir versuchen können, ist eine neue Basis zu schaffen. Uns eine neue Beziehung aufbauen.“ – „Dann würdest du Samu noch eine Chance geben? Die Letzte?“ Riku drehte einen Stein, der die Form eines Herzens hatte, zwischen seinen Fingern herum. „Ich denke schon, ja. Doch wenn, dann ohne etwas zu überstürzen. Dafür einen Schritt nach dem anderen machen. Auch wenn es Monate dauerte. Wir sind heute...auf den Tag genau, ein Jahr getrennt...“ Riku atmete tief durch. Er sah diesen Tag noch so klar vor sich, als wäre es gestern gewesen. „Da müssten wir uns erst einmal wieder kennen lernen. Auch wenn es dumm klingt.“ Ein fragender Blick zu Mike. „Tut es nicht. Das müsstet ihr tatsächlich. Ein Jahr ist eine lange Zeit. Alles in euch hat an den Umständen, die dazu führten, gelitten. Was euch, in der Tiefe, zu anderen Menschen gemacht hat. Vertrauen baut man nicht von einem Tag auf den anderen auf.“ Manchmal schon, ging es Riku durch den Kopf. Samu beherrschte dies einmal, ohne es zu wissen. Denn Riku vertraute ihm vom ersten Augenblick an. „Oder in deinem Fall. Braucht Samu viel Geduld, um dein Vertrauen wieder her zu stellen und für sich zu gewinnen.“ Riku nickte. „Er wird weiter kämpfen müssen. Jeden einzelnen Tag.“
Riku hatte keine Ahnung, ob Samu sich dies bewusst war, bei seinem Vorhaben, um ihn zu kämpfen. „Ob er das noch will, wenn ihm das bewusst wird, ist fraglich.“ Mike runzelte die Stirn. „Wenn Samu dich wirklich liebt und nichts anderes will, als dich wieder zurück haben, dann wird er kämpfen, bis zum Umfallen. Bis er dich wieder hat. Und das nicht nur an seiner Seite, sondern voll und ganz in seinem Herz. Bis er wieder in deinem Herz ist. Ohne wenn und aber. So wie es einmal war.“
Riku war die Hoffnung darauf, schon lange abhanden kommen. Samus Post, war nur wie dieses kleine Loch am Wolkenbedeckten Himmel, durch das für den Bruchteil einer Sekunde, die Sonne hindurch scheint, bevor es wieder ganz zu machte. „Wie gerne würde ich daran glauben. Doch alles was ich sehe, ist ein schwarzes Nichts, welches sich immer bedrohlicher auf mich zu bewegt.“ Wie konnte ein Mensch nur so hoffnungslos sein, wie Riku gerade. Mike hatte keine Ahnung, wie er ihm diesen grauen Schatten von seiner Seele und seinem Herz nehmen konnte. Dies würde wohl nur Samu schaffen. So hoffte es Mike zumindest. „Lass die Hoffnung nicht verblassen, Riku.“ Legte Mike einen Arm Rikus Schulter und zog ihn an sich. „Dein Schmerz, die Hoffnungslosigkeit und deine Ängste, sind ein guter Anfang und Schritt in die richtige Richtung. Statt dich davor zu verkriechen und nichts an dich heran zu lassen. Lass es weiter zu und sprich darüber. Schreib einen Song...keine Ahnung. Aber lass es zu. Genau so wie die Liebe, die du immer noch für Samu verspürst.“ Dieses kleine Häufchen Elend, welches aus Riku geworden ist, tat ihm so unglaublich leid. So sehr, dass er am liebsten höchst persönlich dafür gesorgt hätte, dass die beiden wieder zusammen kommen und eine reelle Zukunft hatten. „Öffne dein Herz noch etwas mehr und lass es zu dir sprechen. Lass rein, was rein will und dort auch hin gehört. Behalte es, wenn es dir gut tut.“ Sprach Mike leise mit Riku, der sich einmal mehr seinen Emotionen hin gab und sich die Augen aus dem Kopf weinte. Dabei strich er ihm beruhigend über den Rücken.
Ob sich Samu bewusst war, wie sehr Riku, unter der ganzen Situationen, litt? Wie sehr es ihn, innerlich in zwei Teile zerriss. Die eine Seite, die sich nichts mehr wünschte, als zurück in Samus Armen zu sein. Die sich schmerzlich nach ihm verzehrte. Gegen die Seite, die zutiefst verletzt war und sich vor weiteren Verletzungen und Enttäuschungen schützte. Die, die sichere Mauer mit aller Macht, gegen die Liebe in Riku, verteidigte. Man konnte den Kampf förmlich spüren und mit Händen danach fassen. Er war nicht mehr dieser optimistische Mann, mit diesem strahlenden Lächeln, welches Eisberge zum schmelzen brachte. Mike sah es schon bei der letzten Tour. Doch jetzt schien Riku den Tiefpunkt erreicht zu haben.
Fester schlang Mike seine Arme um Riku, dessen Körper ein einziges Beben war. Riku würde viel Hilfe, Liebe und starke Arme und Hände die ihn fest hielten, brauchen, um aus dieser Tiefe wieder heraus zu kommen.

I am living in the AfterglowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt