Kapitel 38

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Der Schlaf, der dieses Mal etwas ruhiger war, hatte ihn schnell wieder eingeholt. Dennoch blieb Riku liegen, als die Sonne einen neuen Tag ankündigte. Er hatte einfach keine Energie, irgendetwas zu tun, was ihn ohnehin von nichts ablenkte. Also konnte er auch hier liegen bleiben.
Rikus Blick war dem Dachfenster zu gewandt. Wie oft sie früher, absichtlich früh zu Bett gingen, um sich noch den Sternenhimmel anzusehen, bevor sie einschliefen. Jetzt tropften die ersten Regentropfen darauf und hinterliessen dieses angenehm gemütliche Geräusch, bei dem man gut, ganze Sonntage im Bett verbringen konnte. Was Samu und Riku auch taten. Lange hielt dieses Gefühl nicht mehr an. 'The Voice' hatte verheerende Folgen, die jedoch nicht plötzlich, sondern schleichend kamen. Deshalb waren sie auch so vernichtend. Wie eine tötlich, tückische Krankheit, die in einem schläft und plötzlich, unverhofft ausbricht und um sich schlägt. Samu alleine in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen, war diese Krankheit. Riku wusste, dass man nicht bloss der Plattenfirma oder gar Mikko die Schuld dafür in die Schuhe schieben durfte. Es waren Verwicklungen von allem. Der Wunsch oder vielleicht irgendwann auch die Gier nach mehr, wenn man einmal davon gekostet hatte. Riku konnte ja irgendwie auch nachvollziehen, dass man irgendwann mehr will, als 'nur' Musik zu machen. Vor allem, wenn man schon einmal diese Luft geschnuppert hatte. Samu war ja auch der geborene Mensch für das Rampenlicht und den Mittelpunkt. Abstreiten, würde Riku dies auch niemals. Er hatte sich damals auch unglaublich mit ihm mit gefreut, als Samu ganz euphorisch war, nach der ersten Staffel 'The Voice' und dem ganzen Zirkus.
Es war auch keine Eifersucht, von Rikus Seite. Um kein Geld der Welt, möchte er Samus Platz einnehmen. Er blieb lieber im Hintergrund. Auf der Bühne, wie auch im Privaten. Unterstützte und stützte Samu. Doch genau dort, fing das Problem irgendwann an. Samu schien dies alles nicht mehr zu brauchen. Riku war nur noch das Anhängsel. Irgendwann nicht einmal mehr das, da er ja Vivi hatte, die ihn für das Image, an irgendwelche öffentlichen Veranstaltungen begleitete. Half Samu, das Image des Frauenschwarms, was erstunken und erlogen war, beizubehalten. Gleichzeitig war es für Vivi ein Sprungbrett, in ihrer Modelkarriere. Diese Zeit war die, die am meisten an Riku nagte. Immer noch. Weil Samu sich, sein wahres Ich und vor allem sie beide, verleugnete. Endgültig zur Marionette wurde. Das alles nur für ein bisschen Erfolg. Damit er besser ankam. So in diesem Sog, bekam Samu nicht mit, wie es den Leuten um ihn herum ging. Er mutierte von diesem besorgten, liebevollen Menschen, zu einem richtigen Egoisten.

Riku liess alles was geschah, noch einmal Revue passieren. Sein Leben. Die Beziehung zu Samu. Ihre gemeinsame Beziehung. Ihre Liebe. Die schönen und die weniger schönen Dinge, die es in jeder Beziehung gab. Ihre gemeinsame Zeit mit Sunrise Avenue. Mit den Jungs auf der Bühne.
Sehnsucht, einer anderen Art, schlich sich dadurch durch Rikus Körper. Die selbe, die er verspürte, als er seine Jungs auf der Bühne stehen sah. Die Sehnsucht, die schier unerträglich wurde, als Riku neben Samu auf der Bühne stand. Wie gut es sich anfühlte. Diese Gemeinschaft. Samus Nähe. Die Gitarre unter seinen Fingern. Das Publikum vor ihm.
Gefühlt tausend unterschiedlicher Gefühle, schwirrten durch Riku hindurch. Wie er jemals wieder Vertrauen in Samu aufbauen sollte, hatte er dabei, immer noch nicht wirklich herausgefunden. Vielleicht würde er es nie mehr können. Zu oft, hatte Samu dieses missbraucht und mit Füssen getreten. Riku liebte Samu. Dies war er sich sicher. Mehr als das. Er wusste es nicht nur, er fühlte es. Nie war dieses Gefühl weg. Es wurde nur durch all die negativen Gefühle überdeckt. Dieser Abend in Berlin, das Konzert, hatten diese wieder an die Oberfläche geholt. Samu hatte sie wieder hervor geholt. Mit allem, was er sagte. Mit jedem einzelnen Lied. Am meisten mit seiner unglaublich verrückten, aber um so süsseren Liebeserklärung. Mit der, traf Samu Riku mitten ins Herz. So gewaltig, dass es schmerzte. Immer noch.
Doch ob die Liebe tatsächlich ausreichte, um alles andere unter 'vergeben und vergessen' abzulegen, wusste Riku nicht. Ausserdem, was geschah, wenn Sunrise Avenue tatsächlich heute, ohne Vertrag und nichts da standen? War sich Samu immer noch mit allem so sicher? Dies war Rikus grösste Angst überhaupt. Was geschah dann? Würde Samu ihn vielleicht sogar hassen? Rikus Herz, zog sich bei dem Gedanken, schmerzlich zusammen. Das würde er nicht ertragen.

Riku sprang aus dem Bett und rannte runter in die Küche. Vielleicht hatte Samu ihm ja noch geschrieben, wann sie heim kamen. Oder sonst irgendwas, was ihn etwas positiver werden liess.
<<Es ist vorbei, Rik...>>, war jedoch alles, was er auf dem Display aufleuchten sah. Rikus Herz zog sich schmerzlich zusammen, bevor es anfing zu rasen. Schnell und fest, schlug es gegen seine Brust. Samu musste es kurz nach dem Riku ihn gefragt hatte, wann er denn wieder heim kam, geschrieben haben.
Doch was meinte er damit? Was war vorbei. Das mit ihnen? War es wohl Samus Antwort auf Rikus Frage? Panik schlich sich durch Rikus Körper. Er fing an zu zittern. Einen klaren Gedanken fassen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Der kleine Hoffnungsschimmer, endlich aus diesem schwarzen Loch zu kommen, war mit einem Schlag weg. '
<<Es tut mir leid, Samu! Ich...es tut mir so leid! Bitte verzeih mir!>> Nichts. Die Häckchen wurden nicht blau. Was sollte er jetzt tun?
Riku drückte den grünen Hörer auf seinem Handy. Elend lang, liess er klingeln. Wieder nichts. Verzweifelt landeten Rikus Hände in seinen Haaren. Locken konnte man das, was er auf seinem Kopf hatte, schon lange nicht mehr nenen. Er musste raus hier.
Wieder im Schlafzimmer, riss Riku den Schrank auf. Griff nach der erst besten Jogginghose und einem Pulli. Es war einer von Samu. Fest vergrub Riku sein Gesicht darin. Während die Tränen, ungehalten aus seinen Augen schossen, liess Riku sich am Schrank entlang hinunter gleiten. Das war doch alles ein reiner Albtraum. Müde zog sich Riku die Kleider über. Der Drang nach draussen zu gehen, war verflogen.
Das Handy zeigte immer noch keine Nachricht an. <<Samu, bitte schreib mir! Ich bin ein Arsch, dass ich das alles von dir verlangt und dich damit allein gelassen habe. Aber bitte hass mich jetzt nicht. Bitte, sag mir wie es dir geht.>> Wieder wurde die Nachricht nicht übermittelt. Was war in Berlin bloss los? Riku wollte doch nur sicher sein, dass es Samu einigermassen gut ging. Und er keinen Blödsinn machte. Was wenn er wirklich...Riku schüttelte den Kopf. Daran, durfte er gar nicht denken.
<<Was ist los bei euch? Sag mir bitte, dass Samu gerade keinen Mist macht und es ihm einigermassen gut geht.>>, schrieb Riku Sami. Irgendeiner musste ihm doch zurück schreiben.
Wie hypnotisiert, starrte Riku das Handy in seiner Hand an. Bis es klingelte und ihm beinahe runter fiel. „Keine Sorge, ich passe schon auf ihn auf, Riku. Aber warum fragst du ihn nicht selber?“ Liess Sami Riku gar nicht erst zu Wort kommen. „Weil er weder auf meine Nachrichten, noch auf meinen Anruf reagiert. Er hat mir heute Nacht eine Nachricht geschickt, dass es aus ist.“ Sami konnte ganz deutlich die Verzweiflung und Angst in Rikus Stimme hören. „Wenn ich nicht langsam aber ganz sicher in Panik ausbrechen würde, hätte ich dir nicht geschrieben.“ - „Damit meinte er bestimmt nicht dich. Mit der Plattenfirma ist es aus. Also im weitesten Sinn, mit Sunrise Avenue...“ - „Sami, es...scheisse, es tut mir leid!“ Riku seufzte. „Riku, es ist nicht allein deine Schuld. Es war ganz allein Samus Entscheidung, dies durchzuziehen.“ - „Nicht allein meine Schuld, also.“ Sami schnaubte am anderen Ende. So lieb er die Zwei hatte, so langsam aber sicher, wurde es anstrengend. „Samu ist ziemlich am Arsch. Spricht, seit gestern Nachmittag mit keinem von uns. Hat geschlafen, seit er von seinen Terminen zurück kam. Und das sein Gemütszustand, nicht bloss an dem gestrigen Entscheid liegt, weisst du ganz genau.“ - „Ich weiss...“ Gab Riku kleinlaut zu. „Wann kommt ihr denn nachhause?“ - „Heute. Mikko hat extra den Termin bei The Voice auch noch auf gestern verlegt, damit wir Samu, so schnell wie möglich heim bringen können.“ Samis Worte, liessen Rikus Herz schwer werden. „Riku, er braucht dich.“ Als wüsste Riku das nicht. „Wann werdet ihr landen in Helsinki?“ - „Gegen Zwölf. So viel ich weiss. Ich kann es dir noch genauer schreiben.“ - „Ist Samu mit seinem Auto gefahren?“ - „Nein, Liina hat uns gefahren.“ - „Ok, danke. Gute Heimreise und pass mir auf Samu auf. Wenn ich schon versagt habe.“ - „Immer, das weisst du. Rikscha, was hast du vor?“ - „Wirst du dann sehen.“ Legte Riku auf. Riku wollte den kleinen Hoffnungsschimmer weiter leuchten lassen.

I am living in the AfterglowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt