Die Menge tobte. Das Schallen von dem Geklatsche hallte durch den ganzen Saal, während die Musik so laut dröhnte, dass es einem fast in den Ohren wehtat. Es wurde gepfiffen, gejubelt. Und währenddessen klang in seinem Hörgerät die Stimme des Regisseurs, die ihm Anweisungen gab. Geräusche, die jenen Menschen eine Gänsehaut gab, die dem Rausch der Aufmerksamkeit ausgesetzt waren. Jener Menschen, die es schafften, andere das schönste Gefühl der Welt zu geben und dabei einfach das verrückte etwas sein konnte, das man sein wollte und wahrscheinlich auch ist. Das Herzrasen vor dem Auftritt, die Beziehung, die man mit dem Publikum aufbaut und das Glücksgefühl, wenn der Vorhang fällt. Harry liebte diese Emotionen, die seine Auftritte auslösten. Auch wenn er Sorge hatte, all seine Männlichkeit zu verlieren, wenn er es offen zugäbe. Für ihn war das sogar besser als Sex. Besser als jeder Abend, den er mit seiner Ehefrau verbrachte, Hand in Hand, gemeinsam auf einer ihrer Firmenfeiern. Harry fühlte, wie ein unangenehmer Schauer über seinen Rücken lief. Ein Schauer, der die Frechheit besaß, das Glücksgefühl, welches er gerade noch hatte, einzufangen und wegzusperren. Alleine nur dafür, um Platz für die Erinnerungen zu schaffen, in denen er nicht mehr Harry East sondern „Ach Sie sind der Mann von Mrs. East?" war. Eine Namensänderung, die den Publikum gefiel, als er sich über die erste Feier lustig machte, zu der seine damals noch frischgebackene Ehefrau ihn hin zerrte. Es war nicht so, dass er nicht alles für sie täte – sei es auch sich in einen feinen Sakko zu werfen und einen Abend lang keine merkwürdigen Bewegungen zu machen- doch wo sollte er die Grenze ziehen?Er hatte schon lange aufgehört darüber nachzudenken, wo genau seine Liebe zu ihr aufhörte. Lange genug, um zu vergessen und mit der Wunde zu leben, die er sich an diesen Abend zufügen würde. Lange genug um zu wissen, dass diese Wunde ein Opfer war für all das, auf was er niemals verzichten könne. Ein Leben mit ihr und dem Kind, dass sie unterm Herzen trug. „Meine Frau und ich waren neulich bei einem Motivationstrainer", erklärte er, als der Applaus abgeklungen war, „Bessergesagt. Meine Frau war bei ihm. Ich stand nur daneben, um gut auszusehen... Und um alles aufzunehmen. Natürlich alles für Studienzwecke"Er zwinkerte, worauf das Publikum vereinzelnd kicherte. „Aber hey, er hat gute Ideen gehabt. Ich fühlte mich schon beim Zusehen motiviert genug den Raum zu verlassen, in die große weite Welt zu gehen und alles zu tun was ich mir vorgenommen habe, nur um nie wieder dort hin zu müssen"Erneut lachten die Menschen im Saal. Erneut fühlte er dieses Gefühl, dass ihn so berauschen ließ. Und erneut kamen die Gedanken an seine Zukunft, die das Glücksgefühl einfingen und zu den anderen kläglichen Versuchen sperrte, nur im hier und jetzt zu sein. Eigentlich hatte er diese Firmenabende immer schnell vergessen. Oder verdrängt. Man konnte es nennen wie man wollte. Die Hauptsache für ihn war immer, dass diese Abende vorbei gingen und seine Frau immer einen Weg fand, sich für diese Unannehmlichkeit zu entschuldigen. Doch wieso mussten diese Erinnerungen ausgerechnet heute aus dem hintersten Ecken seines Gehirnes vorkommen? War es so schwer sie dort hinzukehren, wo sie hingehörten?Auf seinem Gesicht wollte sich der Ausdruck von Entsetzen breit machen, als er sein Leben nach diesem Abend weiter spann. Immer wieder tauchten vereinzelnde Erinnerungen an diese Feste auf, deren Langeweile sich fast auf seine Stimmung festsetzte. Und gleichzeitig hatte er immer das Gesicht seiner Mutter im Kopf. Dieses blasse, zerfallene Gesicht, deren faltiger, rotgefärbter und mit dunklerer Farbe umrannter Mund ein Lächeln zeigt, während unter den Falten ihrer Augenlieder die Seele eines Dämons heraus sah. Dieses selbstgefällige Grinsen, welches sie immer dann aufsetzte, wenn er am Ende doch das tat, was sie wollte. Es gab 100 Gründe aus Neuseeland wegzuziehen. Sie war mindestens 1 000 von diesen. Verzweifelt versuchte er weiter zu Lächeln und sah auf seine Uhr. So offensichtlich während des Gelächter des Publikums, als täte er es, weil er darauf warten würde, dass sie endlich mit dem lachen aufhören. In Wahrheit sah er nach, wie viel Zeit ihm noch blieb, bis er mit dem Geständnis rausrücken musste, dass all seine Fans erschüttern würde. Und ihn wahrscheinlich mit. Ist es das alles wert?
![](https://img.wattpad.com/cover/243242411-288-k815587.jpg)
DU LIEST GERADE
Der Klang des Lachens
HumorHarry ist, oder besser gesagt war, ein Comedian. Er liebte es die Menschen zum Lachen zu bringen, und sein Publikum liebte ihn dafür, dass er sie zum Lachen brachte. Doch 17 Jahre nach seinem letzten Auftritt, schien die Öffentlichkeit ihn vergessen...