Dem Ziel nahe

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Das Taxi setzt sich monoton brummend in Bewegung. Die Erregung des Mordes ebbt dieses Mal deutlich eher ab, als sonst. Liegt wohl an  meiner Enttäuschung. Hatte gehofft ein wenig mehr Widerstand von dieser Saskia zu bekommen. Stütze meinen Kopf auf die rechte, noch vom Schweiß angefeuchteten, zur Faust geballten Hand. Schaue abwesend auf die Gebäude und Menschen, die am fahrenden Taxi vorbeiziehen. Doch auch, wenn der Mord von eben äußerst langweilig für mich von statten gegangen ist, mischt sich belebende Vorfreude in meinen Geist. Schließlich bekomme ich nun endlich den Seeker zu Gesicht und setze einen gewaltigen Schritt in Richtung meines endgültigen Ziels. Er muss einfach wiederkommen. Die eine Person, die ich nie habe töten können. Bin ihm nie gewachsen gewesen. Doch das war einmal. Dieses Mal läuft es anders. Meine Macht hat ihr volles Potential erreicht. Das wird er spüren. Ohne, dass ich es groß mitbekommen habe, hat sich mein Mund zu einem breiten Grinsen verzogen. Der Gedanke, ihm endlich wieder gegenübertreten zu können vertreibt vollends die vorherige Enttäuschung.
„Darf ich fragen, was der Seeker für Sie tun kann?“, unterbricht die sanfte Stimme Kaleidos meine berauschenden Gedanken. Richte einen Seitenblick auf meinen freundlich lächelnden Begleiter, welcher vorsichtig seinen Anzug glattstreicht.
„Benötige lediglich einen bestimmten Gegenstand. Mehr musst du nicht wissen“, gebe ich so neutral, wie ich kann zurück. Wahrscheinlich klingt das grob. Wenn dem so ist, lässt sich dieser Kaleido absolut nichts anmerken.
„Schade. Vielleicht kann ich Ihnen bei Ihrem Vorhaben behilflich sein“
Schüttel wortlos den Kopf, egal wie vertrauenswürdig er für mich in diesem Moment wirken mag.

Klammere mich an das Gefühl der Vorfreude, welche sekündlich in mir stärker zu werden scheint. Nach einem Jahr der Vorbereitung.
Angefangen nachdem ich damals diesen widerlich starken Reborn Sin erledigt habe. Und die Kugel des Worse an den Pseudomessias zurückgegeben habe. Für eine kurze Zeit ist er wieder auf diesem Planeten gewesen. Meine Nemesis. Den Einen, den ich niemals habe töten können. Worse. Es muss sein. Will gegen ihn kämpfen. Seine Existenz beenden. Dazu brauche ich das Buch, von dem ich weiß, dass der Seeker es besitzt. Das Grimoire. Ein uraltes Buch, das laut Erzählungen in der Lage sein soll, die Welt mit einzelnen Riten aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Erinnere mich an einen besonders resignierten Abend in eine der neueren Bars meines neuen Jagdgebietes. Einige Wochen nach meinem finalen Kampf gegen Reborn Sin. In der hintersten Ecke, eine Bloody Mary schlürfend und meinen Gedanken nachhängend. So ist mir entgangen, wie jemand an mich herangetreten ist.

11 Monate früher

„Darf ich mich setzen?“, fragt eine mir entfernt bekannte, weibliche Stimme freundlich. Ohne eine Antwort abzuwarten, nimmt die Dame auf dem Stuhl gegenüber platz. Sie besitzt einen lasziven Unterton, als würde sie mich nach einem Fick fragen wollen. Schrecke etwas hoch. Derart in Gedanken versunken und den Blick auf mein Glas gerichtet, dass ich alles um mich herum ausgeblendet zu haben scheine. Mustere die Person vor mir. Äußerst knapp bemessendes, dunkles Kleid, welches nicht allzu viel von der überaus üppigen Oberweite des Neuankömmlings verdeckt. Dunkle, lockige Haare umspielen ästhetisch ihr hellhäutiges, beinahe blasses, mondförmiges Gesicht. Tiefblaue Augen blicken mir fest in meine Verschiedenfarbigen, ohne dass ich ihren Blick zu deuten vermag. Kann mich nicht erinnern, sie schon mal gesehen zu haben. Dennoch kommt mir irgendetwas an ihr gewaltig bekannt vor. Spanne mich an. 
„Wer bist du?“, stoße ich mit Abscheu hervor.
„Ihr Männer seid alle gleich. So schnell vergesst ihr eine Lady“, erwidert sie und ihre vollen, roten Lippen formen für kurze Zeit ein leichtes Lächeln. Gemächlich, als würde sie meinen Körper für eine Nacht abchecken, wandern die stechenden Augen an mir herunter und wieder zurück. Hebe eine meiner Augenbrauen. Sie redet, als würde sie mich kennen. Bin mir jedoch ziemlich sicher, ihr noch nie im Leben begegnet zu sein.
„Wiederhole mich nur ungern. Wer bist du? Oder soll ich dir die Worte aus deiner scheiß Kehle schneiden!?“ Jetzt ist sie es, die ihre sauber zurechtgestutzten Augenbrauen erhebt. Kurz legt sie ihren Kopf schief.
„Du hast mich wirklich vergessen? Okay? Na gut. Du darfst mich gerne „Honey“ nennen. Ich leite eine, nun, autonome Gruppe des Syndikats“, erklärt sie sich etwas irritiert. Mustere sie. Diese Frau? Die sieht eher aus wie eine dieser Instagram-Nutten von früher. Das Syndikat also. Dann ist es wahrscheinlich, dass Honey Einauge gekannt hat. Ein Stich im Inneren. Einauge. Die Erinnerung an meinen verstorbenen Partner schmerzt. Fasse mich rasch wieder.
„Okay und weiter?“, murre ich, an meinem Drink nippend. Sie lächelt wieder. Lehnt sich etwas zurück und zupft an ihrem Ausschnitt, als müsste sie etwas wieder geradestecken.

Sleepless Genesis (Staffel IV)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt