Kapitel 5 - Vivian

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Vivians PoV:
Wir saßen gemeinsam am Tisch und aßen die Pfannkuchen - sie waren göttlich. Ich hatte schon mehrmals probiert aus Karo das Rezept raus zu kitzeln, aber sie verriet es mir dennoch nicht. Heute gab es aber eine andere Frage neben dem Rezept.
„Wo warst du so früh heute Morgen und warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du gehst?", fragte ich sie vorwurfsvoll.
„Ich hatte einen Termin.", antwortete sie mir verklemmt und ich spürte, dass sie es mir nicht sagen wollte, doch ich wollte eine Erklärung von ihr hören.
„Was für einen Termin?", hakte ich nach.
„Ähm, das ist kompliziert.", druckste sie rum.
„Versuche es mir zu erklären, vielleicht verstehe ich es ja.", bat ich sie mit einem Gesicht, wie Lucie, wenn sie nach Leckerlis bettelte. Leider gelang mir so ein Gesichtsausdruck nie wirklich, aber ich hoffte das mein Blick trotzdem etwas bringen würde.
„Hör mal, für manche Dinge bist du einfach noch zu jung, um sie zu verstehen", probierte sie sich sichtlich angestrengt raus zu reden.
„Es geht um unsere Eltern, nicht wahr?", fragte ich besorgt nach, da ich für alles, was mit meinen Eltern zu tun hatte "zu jung" war.
Karos Blick verriet mir, dass ich Recht hatte und sie schien nicht gerade glücklich darüber zu sein. „Bitte sag mir was los ist, ich möchte endlich wissen was der Grund dafür ist, dass ich bei dir leben muss", flehte ich sie an.
„Es ist nicht so leicht zu erklären, wie du denkst."
Sie flehte förmlich danach, dass ich aufhörte zu fragen, doch ich wollte es endlich wissen.
„Bitte!", verlangte ich ruhig.
„Nein Vivi, ich kann das nicht." Mit diesen Worten verließ sie den Raum und ging in ihr Zimmer.
Ihren Teller mit dem halb gegessenen Pfannkuchen ließ sie einfach stehen. Appetit hatte ich nun auch keinen mehr. Ich ließ mein Teller ebenso, wie den von Karo stehen, da die Pfannkuchen sowieso nicht so schnell schlecht werden und ich meinen nacher noch hätte aufessen können, und ging in mein Zimmer. Lucie folgte mir dorthin.

Ich setzte mich in mein Bett und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hatte es so satt im Unwissen leben zu müssen. Ich wollte meine Geschichte kennen. Ich wollte wissen was meine Eltern getan hatten. Ich wollte wissen was Karo mir verschwieg. Ich wollte wissen was ich mit alledem zu tun hatte. Ich wollte wissen, wo Karo heute war.

Ich starrte mein Spiegelbild an, in der komplett verspiegelten Tür meines Kleiderschrankes. Mir kam mein Spiegelbild so fremd vor. Wie ein Mensch, den ich vom Wesen her kannte, aber seine Geschichte nicht. Ich wusste, wie dieser Mensch tickt, was er gerne mochte, aber nicht warum er in dieser Wohnung bei ihrer Schwester leben musste. Ich wusste nichts Genaueres darüber, warum meine Schwester diesen Menschen bei sich aufgenommen hatte. Ich wusste nicht warum die Eltern dieses Menschen im Spiegel ins Gefängnis mussten.
Übermeine Vergangenheit, über meine ersten drei Jahre meines Lebens hing für mich ein Riesen großes Fragezeichen, doch niemand half mir dabei es verschwinden zu lassen.

Lucie sprang auf mein Bett, was sie eigentlich nicht durfte, und legte sich neben mich. Ich nahm sie ganz fest in den Arm und streichelte sie. Es beruhigte mich, sie an meiner Seite zu haben. Sie gab mir den Halt, den ich gerade brauchte. Sie konnte mir keine Fragen stellen und mir auch keine beantworten - sie war einfach für mich da.

Es klopfte an der Tür. Karo wollte anscheinend mit mir reden. Ich antwortete nicht. Wenn sie wirklich mit mir reden wollte, würde sie so oder so reinkommen, egal ob ich sie hineinbat, oder nicht.

Ich hatte recht. Die Tür ging auf und Karo kam in mein Zimmer. Sie setzte sich auf meinen Stuhl vor dem Schreibtisch, der gegenüber der Tür stand.
„Ich weiß, dass es für dich schwer ist nicht zu wissen, was damals vor elf Jahren passiert ist, aber es ist zu deiner eigenen Sicherheit. Ich will nicht, dass man dich mit den Taten unserer Eltern in Verbindung bringt", erklärte sie mit schwerer Stimme.

Es schien sie zu belasten und ich dachte, dass sie vermutlich in einer Zwickmühle steckte. Einerseits wollte sie es mir nicht sagen, aber andererseits auch doch, damit ich nicht weiter in diesem Unwissen leben musste.
„Ich weiß, dass du es dir mit fünf Jahren fest vorgenommen hattest, heraus zu finden, was deine Eltern getan haben, aber versprich mir, dass du niemals versuchen wirst es heraus zu finden."
Es war klar, dass mit „sie" unsere Eltern gemeint waren. Karo guckte mich so flehend an, dass es kaum zu ertragen war.
„Nur wenn du mir auch etwas versprichst", entgegnete ich. „Du wirst mir irgendwann erzählen."
„Das werde ich auch noch, nur ist jetzt noch nicht sie Zeit dazu. Also, versprochen"
Es viel ihr sichtlich schwer dieses Versprechen zu halten, aber damit hatte sie die Gewissheit, dass ich nicht, in ihren Augen zu früh, herausfinden werde, was meine Eltern getan hatten. „Versprochen", erwiderte ich.

Ich fühlte mich, als wäre eine große Last von mir gefallen, auch wenn nicht wusste, dass es noch lange dauern würde, bis Karo es mir erzählen wird, doch hatte die Gewissheit, dass sie es tun wird. Ich stand auf und nahm sie in den Arm.

The Girl in my headWo Geschichten leben. Entdecke jetzt