Samantha brachte die Besprechung ohne weitere Zwischenfälle hinter sich, aber sie war froh, als es vorbei war, denn sie wurde das unbehagliche Gefühl nicht los, das der Anblick des blassen Mannes in Uniform und sein durchdringender Blick in ihr hervorgerufen hatten. Allerdings war es weniger sein Blick gewesen, der in ihr ein unbehagliches Gefühl hervorgerufen hatte, sondern viel mehr die Tatsache, dass sich außer ihr niemand über seine Gegenwart gewundert hatte, als hätte nur sie ihn überhaupt wahrgenommen.
Sie bekam jedoch keine Gelegenheit, sich weiter Gedanken darüber zu machen, denn als sich die Leute von der Tanzgruppe nach der Besprechung verabschiedeten, trat Robin auf Samantha zu und nahm sie zur Seite. Er war ein alter Freund, mit dem sie studiert hatte und während ihrer Zeit in der Tanzgruppe war er außerdem ihr Partner gewesen.
„Geht's dir gut, Samantha?", fragte er und strich sich eine zu lange rötliche Haarsträhne aus der Stirn. Er trug ein dunkles Shirt und ausgebeulte Jeans. Samantha stellte fest, dass er sich kein bisschen verändert hatte, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte.
„Sehr gut."
„Es ist nur -, du hast dich schon ewig nicht mehr gemeldet, Sam."
Samantha seufzte. „Ich weiß, tut mir leid. Ich hatte viel um die Ohren. Die Arbeit und so." Sie zögerte, aber er sah sie so wohlwollend an, dass sie fortfuhr. „Das alles mit meinem Dad hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen."
„Hey, das verstehe ich doch", sagte er sanft und strich ihr mit einer unbeholfenen Geste über den Arm. „Du kannst dich jederzeit bei mir melden, wenn du mal reden willst, oder was trinken gehen oder so."
„Okay, Robin." Samantha wusste, dass sie irgendwie müde klang. Robin war ein alter Freund und es hätte damals vielleicht ein Paar aus ihnen werden können, wenn ihre Welt nicht mit der Krebsdiagnose ihres Vaters in sich zusammengebrochen wäre, und sie London und ihr Leben dort nicht hinter sich gelassen hätte. Robin hatte für sie da sein wollen, aber sie hatte es nicht zulassen können. Sie hatte den Kontakt zu ihm einschlafen lassen. Sie hatte deswegen ein schlechtes Gewissen und wusste, dass sie freundlicher zu ihm sein sollte, weil er es immer nur gut mit ihr gemeint hatte. Außerdem, sagte ihre beste Freundin Lucy nicht immer, sie solle mehr unter Leute gehen? „Was trinken gehen wäre schön. Danke", schob sie daher hinterher und schenkte ihm ein Lächeln.
Er schien daraus Mut zu schöpfen, denn er lächelte strahlend zurück. „Darf ich dich anrufen?"
„Klar."
Jemand rief seinen Namen und Robin wandte sich um, nachdem er ihr noch einen bedauernden Blick zugeworfen hatte, weil sie ihre Unterhaltung nicht fortsetzen konnten. „Also, ich muss dann mal. Bis bald."
„Bis bald, Robin." Samantha blickte ihm noch immer nach als Lady Velton neben sie trat.
„Ein Verehrer?", fragte sie neugierig.
„Ein alter Freund."
„Oh, wie romantisch!", rief die Lady kichernd. „Dann weiß ich ja schon, mit wem Sie am Samstag tanzen werden. Jetzt will ich aber endlich mein Kleid sehen. Kommen Sie mit nach oben."
Lady Velton zog Samantha mit sich die gewundene Treppe aus dunklem Holz in den ersten Stock hinauf in ihr Ankleidezimmer. Eine Wand des großzügigen modern eingerichteten Raumes, der ungefähr so groß war, wie Samanthas Wohnzimmer, wurde von mehreren großen Spiegeln eingenommen. Samantha half Lady Velton beim Ankleiden und schloss die Knöpfe und Bänder, mit denen das Kleid nach historischem Vorbild im Rücken geschlossen wurde. Dann drehte und wendete sich Lady Velton verspielt vor den Spiegeln und betrachtete sich von allen Seiten, während sie verzückte Laute von sich gab.
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In Love and War - Geheimnis um Ferywood
ФэнтезиGeister, geheimnisvolle Mächte, eine alte Sage und das Schicksal... Samanthas Leben ist beschaulich und ihre Arbeit im Museum gefällt ihr. Doch dann verirrt sie sich im Wald von Ferywood und findet sich plötzlich im Jahr 1813 wieder. Dort trifft si...