Der Schuss

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Metall schabt über Metall, ein Klicken ertönt. Ich schwitze; Schweiß auf der Stirn, Schweiß auf den Handflächen, alles ist warm und unangenehm feucht. Mein T-Shirt klebt an mir unter der schweren Jacke. Was ich tue, fühlt sich falsch an, unfassbar falsch. Ich greife um. Geriffeltes Metall in der linken, geriffeltes Metall in der rechten Hand; beides ist Vorsorge. Es soll die Griffigkeit erhöhen. Mein rechter Arm ist vor mir ausgestreckt, die linke Hand ziehe ich auf mich zu. Metall kratzt über Metall, es klickt wieder und ich löse die Hand.
Der Schlitten schnellt zurück. Bei dem Geräusch des plötzlichen Zusammentreffens der Stahlflächen, beginnt ein leichtes Zittern und ich zucke zusammen. Schlitten ist ein so harmloser Name dafür. Normale Menschen, Menschen die nicht wissen, was ich weiß, denken dabei wohl an kleine Kinder, die im Schnee spielen, ich hingegen assoziiere es mit der bevorstehenden Beendigung eines Lebens.
Ich fühle die Angst, die sich wie ein tonnenschweres Gewicht auf meine Schultern fläzt.
In all den vergangenen Tagen hatte ich nicht solche Angst, wie ich sie nun empfinde. Nicht, als ich mit Nele und Arthus losgelaufen war, an diesem Abend, vor vier Tagen. Nicht, als Arthus plötzlich verschwand. Damals, an diesem Tag , der sich anfühlt, als käme er aus einer anderen Zeit, haben wir ihn über Stunden hinweg gesucht. Wir haben jeden Stein in diesem Wald umgedreht, wir haben nach ihm gerufen, wir sind verzweifelt und wollten schon aufgeben, da fanden wir den Großen an einen Baum gelehnt, wo er hechelnd im Gebüsch nach Schutz suchte. Er musste sich irgendwo verletzt haben, denn Blut verklebte das Fell an seinem Bein. Ich brachte ihn nach Hause und versorgte ihn.
Er knurrte zum Dank. Ein verletztes Tier, dass sich bedroht fühlte; dachte ich.
Trotzdem brachte ich ihn nach draußen und kettete ihn dort an.
Leider heilten seine Wunden jedoch nur schlecht und mit dem Schmerz blieb die Reizbarkeit und die Aggression. Dann hat Arthur es jedoch zu weit getrieben. Nele hatte sich ihm genährt. Nun liegt sie einige Meter entfernt im Garten und weint bitterlich.
Gleichzeitig reißt Arthur an der Stahlkette, dass ich Angst bekomme, er könnte sich losreißen.
Noch einmal sehe ich zu Nele.
Sie wird nicht sterben; nicht an der Wunde, zumindest hoffe ich das zutiefst. Das ganze Blut spricht eine andere Sprache.
So, mit den willenlosen, hassenden Augen, und der blutigen Schauze, wirkt er wie ein bestialisches Monster. Das Fell ist verklebt und nass, die blanken, glänzend weißen Zähne schnappen wiederholt nach mir, während ein tiefes grollendes Bellen ertönt.
Doch ich kenne dieses Tier zu lange, um nur die kalte Bestie zu erkennen. Ein Teil von ihm ist immernoch dieses kleine weiße Fellknäuel, dass Nele und ich, nach dem Tod ihrer Mutter im nahegelegenen Tierheim sahen, und dessen warme braunen Augen und direkt voller Lebensfreude ansahen. Ich sehe es noch deutlich vor mir, wie er schwanzwedelnd auf uns zugelaufen kam und wie glücklich Klara war, wie sie ihn in die Arme und sogleich auch in ihr Herz schloss. Und ob Mensch oder Hund, dieses Tier war fortan ein enger Teil der Familie.
Noch einmal springt Arthus mir entgegen, der hölzerne Pflock zieht sich mit einem Ruck um wenige Millimeter aus der Erde. Mein Herz stockt. Sofort übernimmt wieder der Instinkt und ich sehe wieder die Bestie vor mir, die er geworden ist, die Bestie, die meine Tochter gebissen hat, die Bestie, die für ihren Tod verantwortlich sein wird.
Das Virus führt so gut wie immer zum Tod und der sterbende Hund vor mir ist schon lang nicht mehr der, wer er war.
Ein eiskalter Ablauf spielt sich in mir ab. Meine linke Hand legt sich in der Nähe der rechten an den dunklen Stahl, ich reiße die Hände hoch und richte mich aus. All das passiert in Sekunden. Dann kontrahiere ich meine Unterarmmuskulatur. Dies strafft einige Sehnen, mein Zeigefinger wird gebeugt und ein Klicken ertönt, der Kolben setzt sich in Bewegung, trifft auf das kleine Zündelement. Der entstehende Funke entzündet die Treibladung. Die daraus resultierende Stichflamme übt von innen einen Druck auf das Projektil aus, dieses wird nun aus der Patronenhülse gedrückt und von der wachsenden Stichflamme durch den Lauf getrieben. Dabei bekommt es durch die Beschaffenheit der Innenseite selbigen Laufes eine Rotation um die eigene Achse, welche es weiter beschleunigt, bis das Projektil mit etwa 300 Metern pro Sekunde aus dem Lauf tritt, dicht gefolgt vom Mündungsfeuer. Die übrig bleibende Patronenhülse landet neben mir im Rasen.
Das Tier jault auf, als das längliche Geschoss sich einen Weg durch seinen Körper bahnt. Die Haut platzt auf und ein tiefes Loch wird in das Fleisch gerissen. Ich sehe das Tier jaulen. Ich habe nicht richtig getroffen, der Hund lebt. Heiße Tränen laufen mir durch das Gesicht. Ich schmecke Salz und fühle die Wärme auf meinen Wangen, während sich in mir Kälte ausbreitet. Dieses Tier hat mir über eine lange Trauerphase hinweggeholfen und war auch meiner Tochter immer ein Trost. Arthus half ihr und mir den Tod ihrer Mutter und meiner Frau zu verarbeiten. Dass es nun so enden muss, hat er nicht verdient. All der Schmerz, den dieses Tier erleiden musste, ich wünschte, es ginge anders.
Aber es gibt nur diesen einen Weg. Ich wünschte es wäre wie im Film, wo das böse stirbt, bevor der Wirt als gesundes Wesen wieder auftaucht, während der Dämon in ihm zur Hölle fährt.
Aber die Realität ist anders. In der Realität stirbt das Tier und bleibt dann tot. Der Tod ist eine Einbahnstraße. In die eine Richtung zu gehen ist einfach. Der Rückweg hingegen ist unmöglich. In wenigen Sekunden ist von Arthus nur noch eine leere Hülle übrig. Ich werfe einen letzten Blick in seine Augen. Es ist wie damals, bei meiner ersten Jagd. Der Blick in die Augen eines Rehs, ließ mich beinahe durchdrehen. Ich habe mich damals schon gefragt, woran es läge, dass ich kein Problem damit hatte, zu Fischen, aber es mir so schwer fiel, das Reh zu töten. Einer der Gründe ist vermutlich, dass ich als Kind mit Disney aufgewachsen bin. Wer Bambie gesehen hat, wird sich wie ein Monster fühlen, wenn er zum ersten mal das Gewehr auf ein Reh richtet. Es ist einfach eine engere Bindung als zu dem Fisch. Und die Bindung zu diesem Hund, ist wie die Bindung zu einem Jahre-alten Freund,mit dem man beinahe alles erlebt hat. Wenn ich daran denke, dass ich ihm bei der ein oder anderen Jagd mein Leben verdankt habe. Und jetzt bin ich gezwungen, das seine zu beenden. Der Lauf der Dinge ist grausamer, als jeder Film.
„Es tut mir leid alter Kumpel", flüstere ich. Dann löst sich ein weiterer Schuss.
Der große Körper erschlafft.
„Danke", ende ich und lasse die Waffe sinken.

Der SchussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt