5. Alltag

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Es ist Anfang Oktober und die Blätter im Schulpark haben sich fast alle in wundervollen Rot-, Orange- und Gelbtönen verfärbt. Ich sitze am offenen Fenster, der unverkennbare Duft von Herbst zieht ins Zimmer und der Wind spielt mit meinem Haar.
Noch einmal kurz durchatmen bevor ich gleich Ballett trainieren gehe. Mittwochabends finden die verschiedenen Sportangebote statt, also auch mein Balletttraining. Unser Lehrer hat heute allerdings einen wichtigen Termin, weswegen der Kurs ausfällt.
Nach ewigem Betteln habe ich trotzdem die Erlaubnis von ihm bekommen alleine im Ballettsaal zu üben.
Ich will unseren Tanz noch einmal durchgehen, da ich ein bisschen hinterherhänge, weil die Anderen schon im letzten Schuljahr mit dem einstudieren begonnen haben.

Langsam wird es auch Zeit mich auf den Weg zu machen. Marthe ist schon vor 10 Minuten zu ihrem Kurs aufgebrochen.
Ich schließe das Fenster, ziehe mich schnell um und gehe mit meinem Handy und meiner Musikbox los.

Marthes PoV:

Völlig erschöpft gehen Leander und ich vom Sport zurück zu unseren Zimmern. Ich muss dringend duschen. Auf dem Weg kommen wir am Tanzsaal vorbei und ich höre Musik. Durch die leicht geöffnete Tür sehe ich Lilla. Sie tanzt durch den Raum. Soweit ich mich erinnere ist es nicht ihre Choreografie. Sie lässt sich einfach von der Musik mitnehmen. Ich merke wie sie die Töne in jeder Faser ihres Körpers spürt und es ist einfach wunderschön sie so zu sehen. Sie wirkt oft angespannt, aber im Moment ist alles Negative von ihr abgefallen.

,,Mund zu es zieht" kichert Leander und schnipst mit den Fingern gegen mein Kinn

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,,Mund zu es zieht" kichert Leander und schnipst mit den Fingern gegen mein Kinn. ,,Sei still, sonst bemerkt sie uns noch. Ich will nicht, dass sie sich beobachtet fühlt" zische ich zurück und ziehe ihn nach einem letzten Blick auf Lilla hinter mir her.
,,Ich gehe noch zu Phyllis" meint er als wir an der Treppe zu meinem Zimmer ankommen und schlägt den Weg in Richtung Phyllis ein. Der Typ is sowas von verknallt denke ich und gehe lachend in mein Zimmer, wo meine liebe Dusche schon auf mich wartet.

Lillas PoV:

Ich habe die Zeit ausversehen ein bisschen überzogen, weil ich mich so sehr in der Musik verloren habe.
Als ich zurück in meinem Zimmer bin, höre ich nebenan die Dusche. Marthe ist also schon da. Ich setzte mich auf den Boden und lehne meinen Rücken gegen mein Bett während ich warte, dass Marthe fertig mit Duschen ist.
Ich schließe meine Augen und bin fast eingeschlafen als Marthes Stimme mein Bewusstsein wieder hochfahren lässt ,,Ich bin jetzt fertig, möchtest du auch duschen Lil?" Es gefällt mir, wenn Marthe mich so nennt. Sie macht das nur, wenn wir alleine sind und dadurch fühlt es sich irgendwie besonders an.
Marthe schaut mich etwas verwirrt an und ich merke, dass ich ihr garnicht geantwortet, sondern nur gestarrt habe. Aber warum muss sie denn auch so aussehen.

Schnell nicke ich und gehe ins Bad

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Schnell nicke ich und gehe ins Bad. In der Dusche schalte ich erstmal auf kalt, um wieder zu Verstand zu kommen. Vielleicht sollte ich doch mal mit Phyllis reden. Ich verhalte mich Marthe gegenüber einfach nur komisch und ich verstehe nicht warum.

Fertig geduscht lege ich mich wieder zum Lesen ins Bett. ,,Lil warum liest du eigentlich so viel?" fragt Marthe nach ein paar Minuten.
,,Es hilft mir nicht nachzudenken."
,,Worüber nicht nachzudenken?"
Ich bleibe stumm. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Etwa, dass ich versuche nicht über sie nachzudenken? Oder das ich früher immer gelesen habe, wenn ich den Drang verspürt habe mich selbst zu verletzen und es deswegen irgendwie zu meinem coping mechanism für alle Stresssituationen geworden ist? Ich fühle mich weder für das Eine noch das Andere bereit. Marthe scheint zu spüren, dass ich mit der Frage überfordert bin, denn sie sagt nichts mehr sondern liegt einfach nur stumm auf ihrem Bett und schaut mir beim Lesen zu, wie sie es oft macht.

Nachts kann ich schon wieder nicht schlafen. Eigentlich habe ich mich im Internat wirklich besser gefühlt, aber seit einigen Tagen fühle ich mich irgendwie wieder so leer. Trotz dessen, dass sich die Situation mit Marthe gebessert hat. Es ist als würde ich garnicht richtig leben, die Welt zieht an mir vorbei und ich fühle mich wie hinter einer Glaswand als wäre ich nur ein Beobachter und kein Teilnehmer. Und seit Phyllis mit Leander zusammen ist, bin ich auch wieder sehr oft alleine und meinen Gedanken ausgesetzt. Ich wünschte jemand würde mich einfach umarmen und nicht mehr loslassen. Das Tanzen heute hat mich zwar ein bisschen abgelenkt, aber jetzt so ganz ohne Ablenkung im Dunkeln bricht alles wieder über mir zusammen und ohne, dass ich es kontrollieren kann laufen die Tränen über mein Gesicht. Die Schatten im Raum scheinen höhnisch auf mich herab zu blicken, als hätte die Dunkelheit selbst Freude daran mich zu quälen. Ich drehe mich auf den Bauch und drücke mein Gesicht in mein Kissen, damit Marthe nicht wach wird und weine mich leise in den Schlaf.

Am nächsten Tag fühle ich mich wie gerädert und Marthe scheint zu merken, dass irgendwas nicht stimmt. Beim Frühstück mit ihr, Phyllis und Leander schaut sie mich die ganze Zeit prüfend an und sie hat mich schon dreimal gefragt, ob es mir gut geht. Ich habe sie jedes Mal angelogen und gesagt alles sei gut. Ich weiß einfach nicht was ich sagen soll, es ist ja an sich nichts passiert, aber ich habe trotzdem diese schmerzende Leere in mir.
Meine Freunde werden nicht verstehen was das soll, dass hat nie jemand verstanden. Ständig habe ich Sätze wie ,,Stell dich nicht so an", ,,dein Leben ist doch toll", ,,du hast es einfach zu gut, andere Leute haben echte Probleme" zu hören bekommen und ich will nicht, dass ich wieder so gesehen werde. Es wird schon irgendwie wieder weggehen...

In der Pause entscheide ich mich dazu wenigstens mit Phyllis über mein Marthe Problem zu reden:
,,Ich weiß einfach nicht warum ich immer so nervös bin, wenn sie da ist. Ich verhalte mich immer total merkwürdig und starre sie an oder sowas. Was ist bloß falsch mit mir?"
Phyllis schaut mich an als währe ich ein Mondkalb ,,ist das dein Ernst" sagt sie ,,Lilla ganz ehrlich du stehst sowas von auf Marthe. Das erkennt jeder Blinde."
Ich starre sie an ,,aber, aber,...."
,,Kein aber Lilla. Du weißt es doch selber ganz genau. Du musst es dir nur eingestehen." kichert sie. Ich will noch widersprechen, da kommt unsere Lehrerin rein und beginnt mit dem Unterricht.
An Unterricht ist für mich nicht zu denken. Hat Phyllis recht? Wenn ich ganz ehrlich bin, könnte ich Marthe vielleicht unter Umständen eventuell schon irgendwie ganz vielleicht ein bisschen gut finden, aber das heißt ja noch lange nicht, dass ich auf sie stehe. Oder?
,,Meinst du denn sie mag mich auch?" flüstere ich Phyllis mitten in der Stunde zu. Sie schmunzelt ,,Auch? Also siehst du es ein?" Ich antworte nicht.
,,Ja da bin ich mir ziemlich sicher" sagt Phyllis dann und bevor ich fragen kann was sie da so sicher sein lässt, fordert unsere Lehrerin uns auf unsere Unterhaltung doch bitte auf die nächste Pause zu verschieben.

Zu der Unterhaltung in der nächsten Pause sollte es nie kommen, denn gleich nach dem Klingeln stand Leander neben Phyllis' Tisch, um sie abzuholen. Gezwungenermaßen gehe ich also alleine in die Bibliothek, um die Hausaufgaben des Tages zu erledigen. Während ich dort sitze kommen meine Gedanken vom letzten Abend wieder und ich muss mir mehrmals in die Hand kneifen, um nicht anzufangen zu weinen.

 Während ich dort sitze kommen meine Gedanken vom letzten Abend wieder und ich muss mir mehrmals in die Hand kneifen, um nicht anzufangen zu weinen

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"And some things you just can't speak about"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt