(13) Umdenken für Fortgeschrittene

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Hicks

Ich musste mit ihr reden. Bald. Wahrscheinlich würde Astrid die Augen verdrehen und sich sträuben, ohne Frage. Aber hier konnten wir nicht bleiben, so sehr es mir auch widerstrebte, Moira nach dem gestrigen Tag zuzustimmen. Dieses Mädchen war nicht auf den Kopf gefallen, das sah jeder Blinde. Dass Wilfried und Wilfriede uns auf Dauer nichts Gutes wollten, war genauso klar. Rein der Logik wegen war der Fall also eindeutig, doch ich war es leid, abgerichtet wie ein Schrecklicher Schrecken durch die Gegend gescheucht zu werden. Seit ich Moira das erste Mal in der schummrigen Schiffszelle getroffen hatte, bombardierte sie uns ohne Unterlass mit distanzierenden und umständlichen, knapp gehaltenen Antworten, gemischt mit Anweisungen und einem Verhalten, das unzählige neue Fragen aufwarf. Und egal, wie gut ihre Gründe waren, das Fass war übervoll. Es gab keinen Tropfen, der es zum Überlaufen gebracht hatte; es war ein schäumender Wasserfall gewesen. Gestern war das Fass gesprengt worden, und nachdem ich es bereits in den letzten Wochen immer wieder aufs Neue verbissen erweitert und geflickt hatte, wollte ich es Astrid einfach nur noch gleichtun und die Splitter nach Moira werfen. Solange, bis sie uns nicht länger wie kleine Kinder abspeiste, sondern brauchbare Informationen von sich gab.

Ich hatte es satt, mir immer und immer wieder die gleichen Fragen zu stellen, die selben Gedanken durchzuspielen, das Ergebnis weiterhin nur aus der Ferne zu sehen. Was sollte das? Es war bereits viel zu viel passiert, als dass wir die unbeteiligten Beobachter spielen konnten. Zu viele Tage waren vergangen, zu viele Rätsel gelöst, zu viele Kämpfe ausgetragen worden. Aber vor allem hatte es zu große Verluste gegeben. Was auch immer Moira vor uns verbergen wollte, wir waren schon lange ein Teil davon. Als solcher verdienten wir es, die Wahrheit zu hören. Die ganze, nicht nur von ihr ausgewählte Teile. Dafür steckten wir zu tief in diesem verworrenen Netz aus zweischneidigen Offensichtlichkeiten drin.

Und doch musste ich den Trotz und die Wut vorerst wieder in den Hintergrund drängen. Andere Dinge hatten Vorrang, zum Beispiel unsere Freiheit. Es blieb dabei, ich musste mit meiner Verlobten reden und obgleich ich sie mehr liebte als alles andere auf dieser Welt, fielen mir spontan tausend Dinge ein, die ich lieber machen würde. Bei dem Blick, den sie Moira schenkte, stieß ich ohnehin bloß auf taube Ohren. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, stand sie Schädelbrecher in nichts nach- und Moira ebensowenig. Das war das nächste Problem; keine würde nachgeben, obwohl sie beide die kommende Katastrophe gesichtet hatten.
Erschöpft seufzte ich. Nichtmal beabsichtigt, der Laut verließ ungefragt meine Kehle, ich konnte nichts dagegen tun. Doch ich war nicht allein; Heidrun musterte Astrid auf eine Art und Weise, die alles aussagte, was ich dachte. Die grünen Augen reflektierten stumpf ihre eigene Resignation. Wahrscheinlich hatte sie der Blondine soeben genau das gesagt, was ich noch mit ihr besprechen wollte.
Ach, es war aussichtslos.

Das Essen machte die Situation auch nicht besser. Es duftete verführerisch, am liebsten hätte ich den dampfenden Brei in der Schüssel vor mir sofort verdrückt. Mein Magen stimmte dieser Idee mit einem euphorischen und definitiv alles andere als zurückhaltenden Grummeln zu. Wann hatte ich zum letzten Mal etwas gegessen? Gestern Abend jedenfalls nicht mehr. Hatte Toven uns nicht auf seinem Schiff einiges angeboten? Oder hatte es sich dabei bloß um Wasser gehandelt? Ich wusste es nicht mehr, doch für meinen Bauch lag die letzte Mahlzeit utopisch weit zurück. Mehr als mit wachsendem Unmut in der Schale herumzurühren konnte ich guten Gewissens jedoch nicht tun. Bei den Geräten dort hinten handelte es sich mit großer Gewissheit um schwere Geschütze, die sicherlich anderen Zwecken als der Dekoration dienten. Bedenkenlos konnte ich hier daher gar nichts hinnehmen. Mal ganz davon abgesehen, dass kein noch so gutes Essen bei dem flauen Gefühl in meiner Magengegend lange in meinem Körper verweilen würde.
Worauf hatten wir uns da nur eingelassen?

Wobei, was hatte ich denn erwartet? Dass Moira uns in einem Anfall von Wiedersehensfreude überschwänglich um den Hals fiel und widerstandslos alles erzählte? Wohl kaum.
Ich hätte ihr keine Wahl lassen dürfen. Ich hätte sie dazu bringen müssen, dazu zwingen müssen. Irgendwie. Mich durchsetzen. Also genau das, was jedes halbwegs taugliche Oberhaupt mit links beherrschte und was ich jedes Mal aufs Neue vergeigte. Wäre Moira ein Drache, hätte Ohnezahn das Problem in wenigen Sekunden gelöst. Vater hätte ein paar Minuten und Gegenstände zum Zerrstören gebraucht. Und ich? Ich hatte Ohnezahn und Inferno an meiner Seite, war wütend, aufgewühlt und traurig und brachte sie nichtmal dazu, kurz innezuhalten. Ts, sie fuhr mich nur barsch an. Und ich hatte es mir mehr oder weniger gefallen lassen, weil sich sofort alle die Seele aus dem Leibe geschrien hatten. Ich hatte es Heidrun überlassen, mich zu verteidigen. Ganz großartige Leistung.
Dazu gab es noch die unzähligen Gefahren, in die ich meine Freunde sehenden und hoffnungslos naiven Auges geführt hatte, man sehe sich nur den blonden Drachenjäger an. Ich hatte doch tatsächlich geglaubt, in ihm mal eine Art Freund zu finden! Selbst die, die mir nahe standen, konnte ich nicht schützen. Wie sollte das dann bei einem ganzen Dorf funktionieren? Ein tolles Oberhaupt gab ich ab.

Sternenfluch - Segen der FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt