Ich rannte los. Ich wusste nicht wohin ich rannte, oder wieso. Ich wusste nur, dass mir das alles gerade zu viel wurde, zu kompliziert. Und dass ich beschlossen hatte, dass ich nichts mehr mit alldem zu tun haben wollte. Mit einem Mal verstand ich, wieso meine Eltern geschwiegen hatten. Reden war Silber, aber Schweigen ist Gold.
Glaubt mir, es zeriss mich das zuzugeben. Ein Teil von mir, versuchte sich fieberhaft einen Weg aus meinem Körper zu bahnen, und mich wieder zu Verstand zu bringen. Doch ein anderer, unerklärlicher Teil, trieb mich vorwärts. Weg von Harry Styles, weg von Grayson Horan und vor allem weg von meinem Dad. Denn es war zu spät. Zu spät zum Schweigen. Ich hatte bereits viel mehr gehört als mir lieb war und mir war klar geworden, dass ich unwissend, glücklicher gewesen war.
Vor ein paar Stunden, hätte ich es mir selbst nicht geglaubt, doch jetzt stand ich hier. Spät Abends, mitten auf der Straße. Allein in der Dunkelheit und niemand hatte mich aufgehalten. Niemand war mir gefolgt.
Mein Blick huschte umher. Ich versuchte etwas zu erkennen, doch es war zu dunkel, als dass ich etwas außer den Straßenlaternen erblicken konnte. Mein Magen krampfte sich zusammen und mir wurde plötzlich unnatürlich warm, als mir bewusst wurde, dass ich allein war. Ich war tatsächlich allein. Ohne Nachzudenken, war ich einfachso abgehauen, weil ich allein sein wollte. Doch jetzt, wo ich es war, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass ich es nicht war. Ich hatte keinerlei Anhaltspunkte, wo ich mich befand. Meine Hände wanderten zu meinen Schultern und umklammerten sie wie von selbst. Es war furchtbar kalt. Ich hatte keine Jacke mitgenommen. Das Adrenalin von vorhin, hatte in seiner Wirkung nachgelassen. Verdammt, Madison, wieso bist du abgehauen? Warum lässt du dich so aus der Fassung bringen? "Ich weiß es nicht." wisperte ich leise, fast schuldbewusst und zitternd. Mindestens Null Grad Celsius und ich hatte nichts als einen Strickpulli, um mich vor der Kälte zu schützen. Warum hatte es mich so aus der Fassung gebracht, zu hören, dass meine Eltern ein Leben vor mir und Thayer gehabt hatten. Ich meine, dass war mir doch schon vorher klar gewesen. Was ich allerdings nicht gewusst hatte, war, dass die Vergangenheit praktisch nebenan wohnte. Dass Leute wie Harry Styles und Niall Horan alte Bekannte waren. Flüchtige Bekannte...vage erinnerte ich mich an Masons Worte. Flüchtige Bekannte, vielleicht hatte er mehr recht als ich geglaubt hatte. Vielleicht hatte er ja tatsächlich etwas mit allem zu tun. Mit Lauries Tod und der Drohung. Die Drohung. Sie war der nächste Grund, weshalb ich Hals über Kopf weggerannt war. Grayson hatte recht gehabt. Es war kein Zufall gewesen, dass ausgerechnet wir drei uns zu den Findern zählen konnten. Mandy Crawford vielleicht schon, aber wir bestimmt nicht. Schon gar nicht, seit wir von unserer Verbindung erfahren hatten.
Frustriert schlug ich mit der Faust gegen den frostigen Laternenpfahl, bereute es allerdings sofort, als ein eisiger Schmerz, meine Knöchel emporschoss. In der Ferne hörte ich Autos rauschen. Vermutlich befand ich mich auf einem der abgelegenen Spazierwege für Hunde oder so. Kein Grund also in Panik auszubrechen. Um acht Uhr abends gingen sicher viele alte Ehepärchen mit ihren Liebsten spazieren. Ich verdrehte die Augen. Natürlich nicht...
Ich hätte da bleiben sollen. Ich hätte abwarten und zuhören sollen. So wie Grayson es getan hatte. Dann wüsste ich jetzt auch, wieso Laurie Styles tot war, wieso ich mich fürchten sollte. Ich gab es ungern zu, aber ich war geflohen, damit ich keine Gründe zur Angst hatte. Doch im Endeffekt hatte sich nur gezeigt, dass ich so noch viel mehr Angst hatte. Es war zu spät zum Schweigen gewesen. Ich hätte die Entscheidung dem Schicksal überlassen sollen, doch stattdessen war ich weggerannt. Hatte mein Schicksal allein in die Hand nehmen wollen und das hatte ich nun davon. Dumme, dumme Madison.
Ein kräftiger Windstoß erfasste die Bäume um mich herum und bließ den Schnee von den schwerbeladenen Ästen, sodass es aussah, als würde es wieder schneien. Ich musste wieder zurück Nachhause.
Obwohl ich den Tränen nahe, im Selbstmitleid versank, schaffte ich es einen halbwegs klaren Kopf zu bewahren. So bemerkte ich auch, die Fußspuren, die sich außer meinen sonst noch Schnee befanden. An sich war es nichts merkwürdiges. Gewöhnliche Schuhabrücke, die allerdings zu groß waren, als dass sie von mir hätten stammen können. Der Weg ging geradeaus. Es war also unmöglich, dass jemand nicht an mir vorbeigegangen war. Es sei denn, jemand hatte es darauf angelegt nicht entdeckt zu werden. Ich wirbelte herum, auf der Suche nach etwas oder jemandem der hinter mir stand, doch ich sah nichts. Vielleicht bildete ich es mir ja auch nur ein. Vielleicht waren es alte Spuren, die nicht verweht worden waren.
Doch je weiter ich ging, desto mehr wurde ich das Gefühl nicht los, dass mich jemand verfolgte und als ich gerade das Licht der Straßen erblicken konnte und Erleichterung sich in meiner Brust breit machte, packte mich jemand an der Hand und riss mich unsanft zurück. Ich wollte schreien und mich wehren, doch irgendwie fühlten sich meine Glieder wie taub an. Mir war zu kalt.
Eine Hand legte sich über meinen Mund, hielt mich davon ab zu schreien und als ich mich damit abgefunden hatte zu sterben, vor Angst immer noch wie gelähmt war, drehte mich die Person zu sich um und ich sah in die grünen Augen von Mason Carter.
"Madison Malik, was machst du hier?"