„EUSTASS KID! Wage es ja nicht!"
Die Schreie ignorierte der Junge und sprang über einen nicht so hohen Absprung einiger Felsen, auf denen das Waisenhaus lag, in dem er seit seiner Geburt lebte. Seine Mutter hatte laut Erzählungen kaum eine Stunde gewartet, um ihn auf der Insel abzugeben. Kid hatte absolut keine Anhaltspunkte zu seinen leiblichen Eltern und mittlerweile stellte er keine Fragen mehr, wo es keine Antworten zu finden gab.
Er sprintete durch das Dorf und grinste, als er an der alten Reederei ankam. Bei seiner Hausmutter hatte er den Verdienst der vergangenen Woche abgegeben und danach nahm er sich einfach die Freiheit, seiner Freizeit nachzugehen. Die Alte konnte ruhig wüten, er würde den Teufel tun und im Haus helfen, nachdem er sich den ganzen Tag in der Schneiderei die Finger wundgeschuftet hatte. Er wusste nicht einmal, warum sie ihn dazu zwang, er hatte absolut kein Talent für diese Tätigkeit und vor allem keine Geduld. Nicht, dass es an der Filigranität lag, damit konnte er umgehen – er zog es nur vor, mit Platinen, Elektroden und Metall zu arbeiten. Victoria bemerkte ihn, sobald der junge Rotschopf in die alte Lagerhalle kam. Für sein Alter war er schon ziemlich großgewachsen und man konnte ihn locker auf 17 Jahre schätzen. Die junge Frau legte einige Pläne zur Seite und blickte über ihre Schulter, sie grummelte leise, als Kid ertappt hinter einer roten Blechabdeckung verschwand. Sie mochte ihn sehr gerne. Es war schön, jemanden zu haben, der dieselben Interessen hatte.
„Kid!"
„Hey Victoria!"Sein Kopf kam unter dem Blech hervor, das satte Rot seiner Haare erinnerte Vic an das einzigartige Abendrot, das man nur im South Blue finden konnte. Es stach deutlich hervor und sein freches Grinsen hatte Victoria fast so weit, ebenfalls zu lächeln. Mittlerweile war sie ihn und seine Attitüde gewohnt und konnte es gerade noch so niederringen, lieber stemmte sie die Arme in die Hüften. Irgendwer musste dem Jungen doch Manieren beibringen.
„Sich zu verstecken ist unnötig, Idiot!"
Er verdrehte die Augen und strich daraufhin mit einer Ehrfurcht über die neuen Materialien, die sie mühevoll zusammengetragen hatte. Was für den einen Müll war, war für sie eine Goldgrube an wertvollen Schätzen. Kid war fuchsteufelswild, weil sie ohne ihn unterwegs war, doch wie meistens hielt es nicht lange an. Sie beide hatten in dem anderen eine Art Familie gefunden. Man schrie, man war sauer – aber schlussendlich konnten sie sicher sein, dass der andere für einen da war.
Victorias blaue Augen verengten sich, allerdings nur für einen Augenblick. Sie selbst musste aufpassen, Kid nicht zu sehr als ihr Mündel zu betrachten. Er war wie ein ausgesetzter Kater, der Nacht für Nacht an ihrer Tür kratzte, nur weil sie einmal nachgegeben und ihn gefüttert hatte. Grundsätzlich war sie selbst nur ein Kind. Ein Kind, das zu schnell auf sich selbst angewiesen war. Um nichts in der Welt würde sie sich einbilden, für jemanden wie Kid sorgen zu können, auch wenn er sich das wünschte.
„Was macht unser Schiff?", fragte er nebenbei und zog sich die alten ledernen Arbeitshandschuhe von Victorias Vater über. Der Mann war ein guter Schiffszimmermann und brachte seiner Tochter einiges bei, bevor er auf See verschwand und die alte Reederei und ein junges Mädchen zurückließ.
„Unser Schiff macht gar nichts, Kid. Willst du was essen?"
Sie nahm ihm die Handschuhe weg und öffnete das alte Büro, dessen Glasscheiben teilweise mit alten Leinentüchern behangen waren und an einigen Stellen mit Karton versiegelt wurden, damit es nicht zu kalt in dem kleinen Raum wurde. Immerhin lag die Reederei direkt am Wasser und Victoria schlief unter dem alten Eisentisch. Es war jedenfalls günstiger.
Sie fuhr sich durch die kurzgeschnittenen, fast weißen Haare und bemerkte, dass ihr Nacken dringend ausrasiert gehörte. Kid brummte und ließ sich auf einen Hocker fallen, während Vic das letzte bisschen Essen zusammenkratzte, das für diese Woche reichen musste.
Mit dem Mädchen zu diskutieren, würde nichts bringen. Er nahm es hin. Innerlich war er froh darüber, denn obwohl es Victoria nicht wirklich besser hatte, bemühte sie sich, Kid mit warmen Essen zu versorgen, hin und wieder einzukleiden und ihn auch mal zu sich zu nehmen. Sie war nett und sie hielten zusammen wie echte Geschwister. Selbst wenn Kid noch irgendwo auf der Welt Verwandte hätte, würde er Victoria niemals dagegen eintauschen wollen. Das ältere Mädchen zeigte ihm das Gute in den Menschen. Etwas, an das er sich mühevoll klammerte, da ihm trotz seiner jungen Jahre oft das Gegenteil bewiesen wurde. Nur wer wenig hatte und trotzdem teilen konnte, war es wert so abgöttisch geliebt zu werden, wie Kid es in diesem Fall tat.
„Hier!" Die Weißhaarige brach ein Brot entzwei und Kid schluckte, als er im Augenwinkel sah, wie jämmerlich leer ihre Schüssel im Gegensatz zu seiner war. Trotzdem nickte er dankbar und fing an, die Suppe zu löffeln. Er bemühte sich wirklich ruhig zu essen, aber dieses stechende Hungergefühl war die Hölle für ihn und letztendlich schlang er dankbar das gesamte Essen in den Schlund.
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Windstill [One Piece • Eustass Kid]
FanfictionSanfte Wellen, ein leises Rauschen: Der Wind kündigte einen Sturm an. Das Meer verlangte einen Tribut, forderte sein Recht ein. Kein Stein würde mehr auf dem anderen liegen, wenn er über sie alle hereinbrach. Er war dieser Sturm. Ein Sturm aus Fl...