Teil 48 - Nägel mit Köpfen?

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Die Abenddämmerung verwandelte den Himmel in ein Kunstwerk aus allen Möglichkeiten, die die Farbpalette zwischen Rot und Blau zu bieten hatte.
Das grelle Licht, welches aus dem Bibliotheksgebäude auf die Straße leuchtete, durchbrach das schöne Farbenspiel des Sonnenuntergangs.
Dieser harte Kontrast spiegelte YNs Sichtweise auf Hisokas und ihre Beziehung wider. Wehmütig erinnerte sie sich daran, dass sie nicht nur rein optisch nicht wirklich zueinander zu passen schienen, charakterlich wirkten sie ebenfalls wie zwei Gegensätze. Doch gerade das ergänzte die Schwächen des Anderen umso besser und auch jetzt vertraute sie Hisoka blind, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Als er ihr sagte, dass sie zusammen zu Chrollo gehen würden, hätte sie unter normalen Umständen ein Anflug von Panik überkommen, doch seltsamerweise waren ihr Körper und Geist so ruhig wie das Meer bei Windstille.

Hisoka atmete schwer aus. Noch immer standen sie umschlungen auf dem Platz vor der Universitätsbibliothek und noch immer hielt Hisoka den Brief fest zwischen den Fingerknöcheln eingeklemmt. Nachdenklich heftete sein Blick an dem cremefarbenen Kuvert und blieb am Adressaten hängen.

YN spürte seine Anspannung, auch wenn sie seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Dass ihn etwas beschäftigte, zog ihre Stimmung ebenfalls herunter. Sie nahm ihm den Briefumschlag ab, steckte ihre Hände in Hisokas Hosentaschen und drückte sich enger an ihn, als ihre Finger etwas aus dickem Papier ertasteten.

"Was ist das?", fragte sie neugierig, als sie eine Spielkarte hervorholte.
Lächelnd betrachtete sie die ihr bekannte Herzdame, die er ihr damals gegeben hatte, damit sie Zutritt zu seiner Wohnung in der Himmelsarena erhielt. Zu dieser Zeit waren sie noch nicht lange zusammen gewesen, doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, fühlte es sich für sie von Anfang an ernst an und sie glaubte zu wissen, dass es Hisoka ebenso ergangen sein musste.

"Die trage ich als Glücksbringer bei mir. So habe ich die Gewissheit, dass du immer bei mir bist und nichts schief geht." Er küsste sie auf die Stirn und begann ungehalten zu lachen. "Im Zweifel habe ich jedoch vollstes Vertrauen in meine Fähigkeiten, da mache ich mein Leben nicht von dieser Karte abhängig."

"Das fing so süß an und dann hast du es zerstört. Idiot!" YN stimmte kichernd in sein Lachen mit ein.

Die laue Abendluft versprühte den Anschein, dass sich heute noch ein Gewitter entladen könnte, vielleicht sogar das letzte des Sommers; in den vergangenen Tagen hatte der bevorstehende Herbst sich still und heimlich angekündigt.
An Hisokas nackten Oberarmen bildete sich eine leichte Gänsehaut; zu lange schon standen sie regungslos vor der Bibliothek und da sich der Sommer dem Ende zuneigte, wurde es abends zunehmend kälter und früher dunkel.

Als ihm ein Schauer über den Rücken lief, zog YN ihn erneut näher an sich heran und ehe er die Umarmung gelöst hatte, konnte sie einen flüchtigen Blick auf ihn erhaschen, bevor er ihr seine Wärme entzog. In seinen Augen war hinter seiner Sorglosigkeit eine gewisse Härte, die für eine Millisekunde hervorblitzte. Unwillkürlich schüttelte es sie kurz durch und sie trat unbeabsichtigt einen Schritt zurück. War da wieder der kleine Funken Mordlust, den er sie hatte erahnen lassen?
Entschuldigend rieb Hisoka ihr über die Arme und mit einem Lächeln nahm er ihre Hand und führte sie zielsicher in die Richtung, in der Chrollo auf sie wartete.

Er denkt bestimmt daran, was uns erwarten wird.
Wird noch jemand von der Phantom Troupe außer Chrollo da sein? Wird es eskalieren? Was machen wir, wenn es brenzlig wird? Ich muss etwas tun können, um nicht untätig dabei zu stehen. Hoffentlich endet es nicht im Desaster.
Hat Hisoka einen Plan? Er hat immer einen Plan!

"Weißt du, was mich wundert? Dass du einfach nicht darauf anspringst." Hisokas unangekündigte Aussage holte sie aus ihrem wirren Gedankenstrudel heraus.

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