Das Märchen

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Es war einmal ein kleines Kastanienmädchen, das lebte zusammen mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester glücklich in einem Kastanienbaum. Dieser Baum stand in einem großen grünen Park. Täglich kamen Menschen vorbei, meistens in Begleitung ihrer Hunde, Kinder oder Partner.

Das Kastanienmädchen saß oft auf einem der oberen Äste des Baumes und beobachtete die Menschen. Die Kinder hatten es ihm besonders angetan. Vor allem, wenn sie lachten oder miteinander spielten. Im Herbst warfen sie oft Blätter in die Luft und jubelten, wenn sie eines fangen konnten, ehe dieses den Boden berührte.

„Ach, hätte ich doch nur einen Freund", dachte das Kastanienmädchen dann. „Einen Freund, mit dem ich auch spielen könnte."

Doch es gab keine anderen Kastanienfamilien in der Nähe. Immer, wenn das Kastanienmädchen seinen Vater nach dem Grund fragte, schnaubte dieser, oder ging einfach weg. Das machte das Kastanienmädchen sehr traurig.

Eines Tages saß es wieder auf einem Ast und schaute hinunter auf eine Familie mit drei Kindern. „Kleines Kastanienmädchen, warum bist du so traurig, an einem solch herrlichen Tag?", erklang da eine Stimme hinter ihm.

Erschrocken fuhr das Kastanienmädchen herum. In der Luft schwebte ein Einhorn. Sein silbernes Horn leuchtete.

„Guten Tag, Einhorn", sprach das Kastanienmädchen. „Du kannst mir doch nicht helfen."

Das Einhorn schüttelte seine weiße prächtige Mähne. „Vielleicht ja doch. Bitte, was bereitet dir solchen Kummer? Ich kann es nicht ertragen, dass du so traurig bist."

Das Kastanienmädchen seufzte. „Jeden Tag sitze ich hier und schaue den Menschen zu, wie sie hier vorbeikommen. Jedes Mal wünsche ich mir, dass ich auch einen Freund hätte, mit dem ich spazieren gehen kann. Mit dem ich reden, lachen und weinen kann. Aber das wird nie geschehen. Alle anderen Kastanienfamilien, die früher hier gelebt haben, sind schon lange fort." „Wer sagt das?", wollte das Einhorn wissen.

„Mein Vater", antwortete das Kastanienmädchen.

„Hat er dir auch den Grund genannt?"

Darauf schüttelte das Kastanienmädchen seinen Kopf.

„Mein liebes Kastanienmädchen, dein Vater bringt es nicht übers Herz, dir davon zu erzählen. Es war eine große Tragödie, was sich damals ereignet hat."

„Warum? Was ist denn geschehen?", erkundigte das Kastanienmädchen sich.

Das Einhorn senkte seinen Kopf. „Du wirst nicht erfreut sein, sobald du die Geschichte kennst. Dein Vater will dich nur beschützen. Deshalb schweigt er."

„Wovor will er mich beschützen? Wer könnte mir denn schon etwas antun? Ich tue doch niemanden etwas zu Leide."

Das Einhorn nickte. „Oh, du süßes Kastanienmädchen, du weißt nichts von der Grausamkeit der Welt jenseits dieses Parks. Aber ich sehe, dass deine Neugier nicht verblassen wird. Wenn du es wirklich wissen willst, mach dich auf und gehe zu dem Ort, den die Menschen Spielplatz nennen. Dort wirst du einen Kasten voller Sand finden. Steig in diesen Kasten und spucke dreimal auf den Boden. Sogleich wird sich ein Tor öffnen. Wenn du hindurchschreitest, wirst du die Antworten finden."

Das Kastanienmädchen dachte einen Augenblick lang über die Worte des Einhorns nach. „Muss ich allein gehen?"

„Ja, denn nur wer die Antworten so sehr begehrt wie du, wird ungehindert durch das Tor treten können", erwiderte das Einhorn.

„Ich verstehe", sprach das Kastanienmädchen. „Danke, liebes Einhorn."

Das Einhorn lächelte. „Viel Glück auf deiner Reise, mein Kleines. Wer weiß, vielleicht begegnen wir uns noch einmal." Mit diesen Worten drehte sich das Einhorn um und flog davon.

Das Kastanienmädchen im SandkastenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt