Lea und die erste Lesung | One shot

Lea und die erste Lesung

Seit Tagen schwirrte nichts anderes durch Leas Kopf, als dieser eine Tag.

Heute.

Heute war es soweit. Ein vorzeitiges Nikolausgeschenk für sich selbst. Sie wurde zu einer Lesenacht eingeladen. Als sie zugesagt hatte, war ihr nicht klar, wie nervös sie bis dahin sein würde. Hoffentlich waren im Chat einige vertraute Gesichter. Na ja, eher Namen. Gesichter konnte sie sich nur anhand der Namen vorstellen.

Puh. Der Puls war schon wieder auf Anschlag. Garfield kam ins Zimmer und mauzte vor sich hin. Dieses Tier! Es sprang auf ihren Schoß. Sie kraulte durch das Fell und ihr Puls beruhigte sich. Noch knapp zwanzig Minuten. Eine andere Autorin las aus ihrer Geschichte vor. Lea hatte sie stumm gestellt. Nicht aus disrespect, sondern, weil sie noch einmal ihren eigenen Text las. Sie versuchte, sich zu verinnerlichen, was sie geschrieben hatte. Der Text war schon sehr alt. Ob die Leute ihn auch mögen würden?

Twitch war geöffnet und Lea überflog die Chatnachrichten. Ihr Puls schoss erneut in die Höhe. In knapp fünf Minuten war es so weit. Sie wurde in den entsprechenden Channel geschoben und bereitete sich mental vor. Noch einmal tief durchatmen.

Es ging los. Sie wurde vorgestellt. In den folgenden Minuten würde das passieren, worauf sie sich, seit sie zurückdenken konnte, freute: Ihre erste Lesung. Vor wenigen Wochen konnte sie endlich den Agenturvertrag unterschreiben. Endlich professionelle Autorin. Ein Traum.

Eine Nachricht signalisierte ihr, dass sie in wenigen Minuten live sein würde.

„Du schaffst das", motivierte sie sich.

Die Moderatorin kündigte sie an. Das Twitch-Overlay wurde gewechselt. Sie stellte sich kurz vor und dann war es soweit. Endlich.

Sie verdrängte ihre Panik. Sie atmete tief durch. Garfield mauzte sich murrend aus dem Raum. Lea war nun allein. Vor ihr fast hundert Leute, die zuhörten. Es konnte losgehen. Die erste Lesung startete jetzt.

Ihre Nervosität sorgte für einen holprigen Stolpereinstieg.

„Verdammt", dachte sie. Geübt überspielte sie die Situation mit einem Lachen.

Und dann war es auch schon vorbei. Hatte sie gerade wirklich fünfzehn Minuten gelesen? Die Nachrichten im Twitch-Chat überschlugen sich. Das war überraschend. Positives Feedback und hörte nicht mehr auf.

„Oh mein Gott", schrie ihre innere Stimme.

Sie hatte es geschafft. Ihre Lesung war vorbei. Und trotz des Einstiegs mochten die Leute ihre Kurzgeschichte. Oder vielleicht genau deswegen?

Egal.

Von jetzt an ging es nur weiter voran. Autorin Lea Kaib is coming!