Schmetterlinge. Diese zarten, fliegenden und kitschigen Geschöpfe. Mit der mickrigen Flügelspannweite von durchschnittlich acht Zentimetern und einer zweiwöchigen Lebensdauer, würden sie wohl kaum einem Wesen was zu Leide tun, oder?
- Stille -
Der schwarze Mantel von Doktor Elvers hing bereits am rostigen Haken der vielfach - überstrichenen Backsteinwand, welche inzwischen grau im Schatten der einsamen Lampe hervortrat, als er in seinem lustlosen grauen Keller stand und mit einem seiner vielen spitzen Skalpelle wehrlose Falter sezierte. Ein Schnitt und sie waren für immer regungslos. Ein Schnitt konnte soviel verändern.
Wenn man genauer hinsah, bemerkte man, dass es nicht die normalen pflanzenfressenden, sondern dass es sich um eine besondere Gattung handelte. Sie war ziemlich charakteristisch und ähnelte doch sehr einer Motte. War man nun erfahren im Umgang mit Schmetterlingen, erkannte man die fleischfressende Schmetterlingsart "Nepticulidae" auch "Trapezeule" genannt. Diese besondere Insektenart wurde extra aus dem fernen und kalten Tibet eingeflogen, natürlich speziell für unseren Doktor. Es müsste schwierig gewesen sein, damit um den Zoll zu kommen. Er musste Geld zahlen, viel Geld für seine Rache an der dreckigen Gesellschaft.
Die Trapezeule sah nicht ungewöhnlich aus. Sie war etwas größer als der normale, gemeine Schmetterling aus Europa, war mit einigen „Augen“ auf ihren Flügeln versehen und passte sich perfekt, durch die braunartige Farbe, an die Rinde der Bäumen an.
Der Mann im weißen Kittel hatte sich schon oft vorgestellt wie sie ihre eckzahnähnlichen Beißer in ihre Beute rammen und deren roten Nektar in sich einsaugen. Schon drei Tropfen des roten Saftes genügten ihnen, um sich für zwei Tage über Wasser zu halten.Elvers aber, wollte mehr. Mehr Schmetterlinge, mehr Blut, mehr Tod. Rache dafür, was er in seiner Kindheit erlebt hatte. Der kleine Doktor war sieben Jahre alt gewesen, als er in die Grundschule kam, so wie jedes andere Grundschulkind. Er war einer von vielen. Der Unterschied war jedoch, dass er sehr künstlerisch und musikalisch begabt war. So wusste er mit fünf Jahren schon, wer die Mona Lisa gemalt und den Denker geschlagen hatte. Sein erstes Bild, das mit zwei Bäumen hinter einer Kutsche, malte er mit sechs und es war seinem Alter entsprechend weit voraus. Er bekam Unterstützung von seiner Familie, Verwandten und auch mit seinen Freunden besuchte er oft Arbeitsgruppen.
Wie bereits erwähnt, kam Elvers in die neu eröffnete Grundschule, die sich „Leonardo – daVinci – Grundschule mit musisch betonten Zügen“ nannte. Dieses Gemäuer war sehr modern gebaut und man roch noch die frische Farbe an den Wänden. Noch nie hatte ein Kind auf den Stühlen gesessen. Noch nie hatte ein Kind von den Tellern der Cafeteria gegessen und noch nie war auch nur ein einziges Kind durch die langen Flure der Schule gerannt. In der ersten Klasse war er einer der besten, da er lauter Einsen für die freiwilligen Arbeiten, die er abgab, bekam und nur die besten Noten auf seinem ersten Zeugnis hatte. Man merkte, er war etwas Besonderes, bei dem, was er tat. Doch genau das wurde ihm zum Verhängnis. Seine Kameraden diskriminierten ihn. Auf dem Schulhof, im Sportunterricht und bei Gruppenarbeiten in den unterschiedlichsten Fächern setzten sie sich nur weg. Niemand wollte mehr etwas mit „Streber-Elvers“ zu tun haben, allesamt kapselten sich von ihm ab.
Am Ende seiner Grundschulzeit, der sechsten Klasse, war von seinen musischen Begabungen nichts mehr übrig geblieben. Zu tief waren die Wunden, um sich zu erholen. Fragte man ihn nun nach Pablo Picasso oder Michelangelo, so zuckte er nur mit den Schultern, er hatte andere Interessen gefunden. Andere Interessen, die seine Leidenschaft jedoch nicht ersetzen konnten. Die Grundschule sollte sein Leben verändern. Sein Abschlusszeugnis war dementsprechend miserabel. Knapp wurde er auch nur auf das biologisch orientierte Gymnasium „Robert – Koch“ wegen seiner zwei in Biologie aufgenommen.
Weit weg von den Mitschülern aus der Grundschule fing er an sich Gedanken zu machen, Gedanken, die ihn bis heute nicht loslassen würden. Diese Gedanken, wie er sie Arthur nahm und ihm das Genick brach, wie er Lucy die Augen eindrückte, bis sie platzten und wie er Theo das Messer an der Schläfe langsam hinunter zog. Das waren alles seine Gedanken.
Auf dem Gymnasium bestand Elvers sein Abitur mit der Bestnote und studierte dann auf der Humboldt – Universität in Berlin Medizin. Später spezialisierte er sich auf die Chirurgie, zog zurück nach Blankenburg, wo er aufwuchs, nahm ein Job im dortigen Krankenhaus als Chirurg an und ist seit fünf Jahren Chefarzt der Station.
Nachdem er nun 13 Jahre lang geforscht hatte, hatte er es endlich geschafft. Genmanipulierte Schmetterlinge. Seine Rache.
