- 24.12. -
- Lola -
„Schau mal, Lola!“, ruft Thibault mir entgegen, als ich fröstelnd durch die Terrassentür nach draußen in den Garten trete, in welchem Amélie und Thibault dank der bereits beachtlichen Schneemenge einen hüfthohen Schneemann auf der weitläufigen Wiese gebaut haben.
„Sehr schön, ihr zwei!“, erwidere ich lächelnd und strecke ihnen meinen gehobenen Daumen entgegen, während ich auf sie zu durch den Schnee stapfe, welcher leise unter meinen Schuhen knirscht.
Nachdem die Zwillinge durch die wandhohen Fenster im Wohnzimmer gesehen haben, dass es zu schneien begonnen hat, war das Schmücken des Tannenbaums vollkommen vergessen und die beiden sind kichernd und quietschend in den Flur gerannt, um sich ihre Wintersachen anzuziehen und kurz darauf im Garten durch den Schnee zu toben, der sich aufgrund der dicken Flocken bereits nach kurzer Zeit wie eine dichte Decke über dem Garten ausgebreitet hat.
Für eine Weile haben Constantin und ich die beiden durch die Wohnzimmerfenster beobachtet, bevor wir den Tannenbaum nach unserem Geschmack fertig geschmückt und die Kisten und Pappkartons wieder eingeräumt und im Keller verstaut haben. Dabei sind wir im Keller auf Bodo und Pierre gestoßen, die gerade damit beschäftigt waren, die passenden Weine für den Abend auszusuchen.
Die Art und Weise, wie Pierre mich dabei angesehen hat, hat mich sehr an diesen Ausdruck in seinen stahlblauen Augen erinnert, mit dem er mich anfangs gemustert hat und von dem ich mir sicher bin, dass Zoe ihn nicht bemerkt hat.
Sonst hätte sie mit Sicherheit nicht so verwundert auf mein abweisendes Verhalten gegenüber ihrem besten Freund reagiert…bester Freund…dass ich nicht lache…
„Hier…guck mal, Lola“, sagt Amélie, als ich zu ihr und Thibault neben den Schneemann trete, dem Amélie gerade ein breites Lächeln aus kleinen Kieselsteinchen in das Schneegesicht drückt, „das ist Monsieur Neige.“
„Ach so. “ Ich nicke wissend und kann mir ein leises Kichern nicht verkneifen, bevor ich einen der Äste ergreife, welche Thibault rechts und links als Arme an die Seiten von Monsieur Neige gesteckt hat, und vorsichtig zur Begrüßung schüttle. „Bonjour, Monsieur Neige. Ich glaube, ich habe da etwas, was Ihnen gehört.“
Mit diesen Worten ziehe ich eine kleine Möhre, die ich vorhin beim Verlassen des Kellers aus einer der umherstehenden Kisten mitgenommen habe, aus meiner Jackentasche und stecke sie mitten ins Gesicht von Monsieur Neige.
„Toll!“, kichert Thibault, während Amélie vergnügt aufquietscht, „jetzt ist Monsieur Neige perfekt!“
„Monsieur Neige?“
Überrascht drehe ich mich um und meine Augen weiten sich, als ich Zoe sehe, die eingehüllt in ihre Winterjacke durch den Garten auf die Zwillinge und mich zustapft.
Als sich unsere Blicke treffen, wirft Zoe mir ein schüchternes Lächeln zu, welches ich leicht erwidere.
Wenigstens scheint sie nicht wütend zu sein, dass ich vorhin einfach weggegangen bin. Auch wenn ich diesem elenden Halbfranzosen mit seinem schmierigen Lächeln sonst vermutlich eine verpasst hätte…
„Das ist Monsieur Neige“, verkündet Thibault stolz und deutet mit einer feierlichen Geste auf den Schneemann, während Amélie neben ihm eifrig nickt.
„Lola hat ihm gerade noch eine Nase gegeben“, sagt sie und deutet auf die kleine Möhre, die ein Stück aus dem Schneemanngesicht hervorragt.
„Ah, verstehe“, Zoe nickt langsam, bevor sich ihre Stirn runzelt und sie zu mir schaut, „aber wo hast du denn die Möhre her? Du warst doch gar nicht in der Küche.“
„Stimmt“, ich zucke mit den Schultern, „aber dafür im Keller, als ich mit Constantin den ganzen Tannenbaumschmuck weggeräumt habe.“
„Ihr habt den Tannenbaumschmuck weggeräumt?!“, fragt Thibault und schaut mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund zu Amélie, die trotzig ihre Arme vor der Brust verschränkt hat.
„Aber…aber…“, beginnt sie und schiebt ihre Unterlippe vor, „aber wir waren doch noch gar nicht fertig.“
„Ja, genau!“, bekräftigt Thibault die Aussage seiner Schwester und stampft mit seinem kleinen Fuß auf dem Boden auf, bevor er ebenfalls schmollend die Arme vor der Brust verschränkt, „das ist voll gemein von euch!“
„Ja, ich weiß“, sage ich und hocke mich vor die Zwillingen hin, „aber ihr wolltet doch unbedingt draußen im Schnee spielen und euer Vater und ich haben gedacht, dass ihr danach bestimmt zu müde seid oder keine Lust mehr habt, den Tannenbaum weiterzuschmücken.“
„Doch, haben wir aber!“, entgegnet Thibault und stampft erneut mit seinem Fuß auf.
„Und ihr habt uns auch nicht mal gefragt“, ergänzt Amélie und verschränkt ihre Arme noch etwas fester, während sie ihre Unterlippe noch weiter vorschiebt.
„Stimmt, da habt ihr Recht“, sage ich und nicke langsam, während ich die beiden mit einem versöhnlichen Lächeln betrachte, „okay passt auf…wie wäre es, wenn ihr euch den
Tannenbaum jetzt erst einmal anschaut? Und wenn euch etwas nicht gefällt, holen euer Vater und ich den gesamten Tannenbaumschmuck wieder aus dem Keller hoch und wir schmücken den Tannenbaum um. Was haltet ihr davon?“
Ich kann förmlich dabei zusehen, wie die trotzigen und beleidigten Ausdrücke der beiden breit grinsende und strahlende Züge annehmen.
„Au ja!“, ruft Amélie und stürmt an Zoe und mir vorbei in Richtung Haus, dicht gefolgt von ihrem Bruder.
„Amélie! Thibault!“, ruft Zoe den Zwillingen hinterher, „vergesst nicht eure Schuhe auszuziehen, bevor ihr ins Wohnzimmer geht!“
„Ja, Zoe!“, kommt die einstimmige Antwort der beiden zurück, während Zoe sich mit einem lächelnden Kopfschütteln wieder zu mir zurückdreht.
„Die beiden sind wirklich einmalig“, sagt sie und kichert leise, bevor sie mir mit einem kurzen Zwinkern ihre Hände hinhält, um mir beim Aufstehen zu helfen, „das hast du ganz schön clever ausgehandelt, chérie.“
„Ach, es geht“, erwidere ich schulterzuckend und ergreife Zoes Hände, „ich habe nun mal durch Danny einiges an Erfahrung sammeln können…und ich kenne die klassischen Tricks der Kleinen…also…im Gegensatz zu dir…“
„Im Gegensatz zu mir?“ Verwirrt runzelt Zoe die Stirn und ich muss mir Mühe geben, um mir ein amüsiertes Grinsen zu verkneifen. „Wie meinst du das?“
„Na ja…“, sage ich gedehnt und schaue auf unsere ineinander verschlungenen Hände, nur um kurz darauf wieder zurück zu Zoe zu schauen, deren Augen sich weiten.
Doch bevor sie ihre Hände wieder aus meinen ziehen kann, habe ich mich schon zurückgeworfen und Zoe zu mir nach unten in den Schnee gezogen.
„Lolaaa!“, quietscht Zoe auf, als ich uns herumwirble und mich auf sie setze, um sie an den Schultern in den Schnee zu drücken.
„Was denn?“, frage ich und kichere vor mich hin, während Zoe unter mir strampelt und versucht, sich aus meinem Griff zu befreien, „ich kann doch nichts dafür, dass du auf so einen alten Trick hereinfällst.“
„Das ist nicht witzig, Lola!“, entgegnet Zoe, immer noch strampelnd, aber auch lachend, „es ist eiskalt und wenn ich wegen dir heute Abend erkältet bin…“
„…pflege ich dich wieder gesund, keine Sorge“, erwidere ich kichernd und will mich für einen Kuss zu Zoe runter beugen, als ich mit einem Mal einen kalten Schlag in meinem Nacken spüre…- Zoe -
Erschrocken zucke ich zusammen, als Lola mit einem unterdrückten Schrei von mir aufspringt und zur Seite stolpert, während sie sich mit mehreren Flüchen in den Nacken greift.
Was ist denn jetzt los?
Verwirrt setze ich mich auf und runzle die Stirn, als Lola ihre Jacke auszieht und auf den Boden schmeißt, um sich nach vorne zu beugen und sich mehrere Schneeklumpen aus ihren Haaren und dem Kragen zu schütteln, welche scheinbar von hinten über ihren Nacken in ihr Oberteil gerutscht sind.
Oh, nein…mein armer Liebling…
Aber wie…?
Und wieso…?
Ich blinzle mehrmals und schaue nach oben.
Wo kommt denn jetzt bitte diese Menge an Schnee her?
So eine Ladung fällt doch nicht einfach so vom Himmel!
Und abgesehen davon…
„Alles in Ordnung, Zoe?“
Immer noch ein wenig verwirrt folge ich dem Klang der Stimme und meine Augen weiten sich, als ich Pierre sehe, der vor mir steht und mir seine ausgestreckte Hand hinhält.
Als er meinen Blick bemerkt, lächelt Pierre mich sanft an und nickt mir auffordernd zu.
„Komm schon, Zoe. Du verkühlst dich, wenn du noch länger hier im Schnee sitzt.“
„Ähm…ja“, murmle ich und schaue besorgt zu Lola, die immer noch Schneeklumpen aus ihren Haaren und dem Kragen schüttelt, bevor ich nach Pierres Hand greife.
„Geht es dir gut?“, fragt er, nachdem er mich zu sich hochgezogen und einige Schneereste von meinen Schultern und Armen geklopft hat.
„Äh…ja, Pierre“, erwidere ich und drehe meinen Kopf immer wieder in Lolas Richtung, „ich…bitte entschuldige mich kurz…“
Hastig drehe ich mich um und eile zu Lola, die sich mittlerweile schnaufend und mit vor Anstrengung gerötetem Kopf wieder aufgerichtet hat.
Im Gehen greife ich nach Lolas Jacke auf dem Boden und klopfe sorgfältig den Schnee davon ab, bevor ich die Jacke um Lolas Schultern lege und sie zu mir ziehe.
„Oh, chérie“, seufze ich und drücke Lola einen Kuss auf die durchgefrorene Wange, „mein armer Liebling…alles in Ordnung?“
„Sicher, es ging mir noch nie besser“, knurrt Lola und ich sehe, wie ihre vor Wut funkelnden Augen auf etwas hinter mir gerichtet sind, bevor sie sich unsanft an mir vorbeischiebt und ihre Jacke ihr dabei von ihren Schultern rutscht.
Geschickt fange ich Lolas Jacke wieder auf und drehe mich um, nur um zu sehen, wie Lola auf Pierre zustürmt.
Oh nein…
Sofort laufe ich Lola nach, kann jedoch nicht verhindern, dass sie Pierre kräftig vor die Brust stößt, sodass er ein paar Schritte nach hinten stolpert.
„Sind Sie eigentlich bescheuert?!“, fährt Lola ihn an und will Pierre ein weiteres Mal vor die Brust stoßen, der jedoch diesmal ihren Stoß abwehren kann, was Lola allerdings nicht davon
abhält, ein weiteres Mal auf Pierre loszugehen.
Nein, nein, nein…
„Lola, hör auf!“ Mit einer Hand packe ich Lola an der Schulter und ziehe sie ein Stück zurück, um mich zwischen sie und Pierre zu stellen. „Beruhige dich bitte, chérie. Ich…“
„Ich soll mich beruhigen?! Ich?!“, faucht Lola und funkelt mich wütend aus schmalen Augen an, während sie mit ausgestrecktem Zeigefinger über meine Schulter hinter mich zeigt, „der
Kerl da knallt mir mit voller Wucht einen Schneeball in den Nacken und…“
„Mon dieu, das war doch nur ein kleiner Scherz. Kein Grund, sich derartig aufzuregen“, höre ich Pierre hinter mir spöttisch sagen und hätte ihn am liebsten für diesen Kommentar selber in den Schnee gestoßen, damit er seinen Mund hält.
Allerdings bin ich zu sehr damit beschäftigt Lola festzuhalten, die mit aller Kraft versucht, sich an mir vorbeizuschieben und zu Pierre zu gelangen.
„Aufregen?! Aufregen?! Soll ich Ihnen mal zeigen, wie es ist, wenn ich mich aufrege?!“
„Lola, bitte!“ Nur mit Mühe schaffe ich es Lola ein Stück zurückzustoßen und schaue ihr fest in die Augen, während sie meinen Blick schwer atmend erwidert. „Bitte reiß dich zusammen, chérie! Ich gebe zu, dass das mit dem Schneeball nicht unbedingt die beste Aktion von Pierre gewesen ist, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du dich jetzt hier so aufführen kannst. Wir können das alles ganz in Ruhe klären und…“
„Ich will überhaupt nichts klären! Und erst recht nicht mit diesem schmierigen, selbstgerechten Heuchler!“
Ohne dass ich etwas darauf erwidern kann reißt Lola mir ihre Jacke aus den Händen und stürmt zurück zum Haus, nur um kurz darauf darin zu verschwinden.
Lola…
„Deine kleine Freundin versteht wirklich keinen Spaß, oder?“, höre ich Pierre sagen und spüre, wie er neben mich tritt, „aber temperamentvoll ist sie, das muss man ihr lassen.“
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Pierre zu mir schaut, doch ich schaue weiter auf die immer noch weit geöffnete Terrassentür, durch die Lola ins Haus verschwunden ist.
Lola…
„Zoe?“, fragt Pierre und legt mir eine Hand auf die Schulter, während er mich nachdenklich von der Seite ansieht, „hörst du mir überhaupt zu?“
Doch anstatt auf seine Frage zu antworten, schiebe ich Pierres Hand von meiner Schulter und laufe ebenfalls in Richtung Haus…
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Weihnachten Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 2) (girlxgirl; christmas)
Romance- Fortsetzung zu "Liebe Auf Französisch" - Weihnachten. Das Fest der Liebe und der Familie. Und damit der perfekte Zeitpunkt, um endlich die Familie der Partnerin kennenzulernen. Das denken auch Lola und Zoe, die das Weihnachtsfest zusammen mit...