Teil 1; Kapitel 1

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TEIL 1
"Eines Tages wird man offiziell zugeben müssen, dass das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist als die Welt des Traumes ."
- Salvador Dali

Es war ruhig. Die Wände waren still, die Luft blieb still, ja selbst der Teppich in dem großen Wohnzimmer war still. Aber war es nicht schon immer Still gewesen in meinem Leben? Still und Einsam. Einsam war ich immer, ja. Aber Still? Die Kinder in der Nachbarschaft waren laut. Schon immer. Sie tobten herum, so wie ich es als Kind nie getan hatte. Jedenfalls nicht, dass ich mich erinnere. Irgendwie vertrieben sie die Stille auf diese Weise. Mit ihrer ausgelassenen Unbeschertheit. Aber wo soll man überhaupt die Grenze zwischen Stille und Einsamkeit ziehen. Über einen Kamm scheren sollte man die Begriffe keineswegs. Dennoch betrachte ich sie möglicherweise zu sehr wie zwei ganz unterschiedliche, sie haben doch eigentlich so viel gemein.
Einsam und still war es jedenfalls in den ersten Tagen, die ich in meinem neuen, großen Haus verbrachte. Die Präsenz meiner Tante war in jeder einzelnen noch so verstaubten Ecke des Hauses zu spüren. Ich schaffte schnell viel, nicht, dass ich es anders erwartet hätte. Ich zeichnete mich schon immer durch ein besonderes Durchhaltevermögen aus. Klassenbeste war ich. In allen Fächern nur Einsen. Ich habe mir schließlich von dem Geld meiner Eltern ein Studium leisten können. Alle Lehrkräfte hatten mir sofort empfohlen, in Richtung Journalismus zu gehen und ich hatte ihren Rat angenommen. Keine schlechte Entscheidung. Ich betrachte Dinge immer objektiv. Ich habe genügend Differenz zu den Sachen die ich behandel. Nur an dem Umgang mit Menschen muss ich ein wenig arbeiten. Aber das konnte warten. Schließlich wohnte ich ersteinmal allein in dem einsamen Haus meiner verstorbenen Tante. Mit ihr hatte ich mich schon immer gut verstanden. Sie erinnerte mich an mich selbst. Sie konnte mich offenbar auch leiden, andernfalls wäre ihr gesamter Besitz wohl kaum ausschließlich an mich gegangen. Geschwister hatte sie zu ihrem Tod keine mehr. Es scheint wie ein Fluch, der auf den Geschwistern meiner Mutter lag. Erst sie, dann, mit etwas Abstand ihre kleine Schwester, ein paar Wochen danach der kleine Bruder und nun, zwei Jahre nach ihm auch die letzte gebliebene Tante. Kinder hat nur noch der männlichen Teil gehabt. Seine Frau hatte nur kurz die einsame Witwe gespielt und sich nach zwei Monaten erneut verheiratet. Zu den ursprünglichen drei Kindern waren über die Jahre noch zwei dazugekommen. Wir haben uns schon ewig nicht mehr gesehen. Ich könnte nichteinmal mehr sagen, wie viele Jungen beziehungsweise Mädchen es waren, geschweigedenn in welchem Alter. Ja, meine Tante war wohl die einzige Person, die ich je wirklich mochte. Wenn ich ehrlich bin hat mich auch nur ihr Tod wirklich getroffen. Bei meiner anderen Tante hatte ich zwar all die Jahre gelebt, ich wollte aber immerhin studieren gehen. Und mein Onkel? Seine Dummheit triggerte. Er war blind vor Liebe in seine Frau. Es war doch so offensichtlich gewesen, dass sie ihn ausnutzte. Vielleicht hat er es auch um seiner Kinder willen verdrängt. Spricht jedenfalls beides gegen ihn. Zukunftsangst hatte ich nie. Wenn ich jetzt daran denke, wie knapp ich immer einem Kinderheim entkommen bin, wirkt es jedoch erschreckend knapp. Immerhin war ich zum Zeitpunkt meines Abiturs noch Minderjährig, da ich in der Grundschule zwei Klassen übersprungen habe. Ich konnte die zwei Wochen bis zu meinem Studium noch dort bleiben. Geld für mein eventuelles Studium hatten meine Eltern schon früh aufgespart, als sie bemerkten, dass ihre Tochter hochintelligent ist. Ich konnte nur einen Teil des Geldes zahlen und so gab meine Tante mir das Geld. Ich musste ihr versprechen, es nach und nach zurückzuzahlen. Ihren Mann hatte sie glücklicherweise erzählt, dass ihre Schwester es mir geliehen hatte und so war ich niemanden mehr etwas schuldig. Genug Geld für eine eigene Wohnung hatte ich trotzdem nicht. Eine WG fand sich dafür aber sehr schnell. Um diese zu finanzieren war ich gezwungen einen kleinen Job anzunehmen. Ich wählte ein kleines Café, dessen Stil mir sehr gefiel. Es hatte große abgedunkelte Fenster. Dunkelrote Polster zierten elegante, braune Bänke und Stühle. Es protzte und war dennoch schlicht und man traf dort auf die interessantesten Leute. Gleich drei hatte ich in den Monaten bedient, die sich an der mystische Stimmung bedienten, um zu schreiben. Und jetzt? Jetzt schreibe ich selbst und kann nicht behaupten, dass die Art, wie ihre Stifte über das Papier glitten und der friedliche Blick, der ihre Gesichter zierte mich im Nachhinein nicht geprägt hätten.

Ein Blick genügt nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt