Philosophin

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,,Es ist nichts passiert!'', verteidigte sich Alice, nun das gefühlte dritte Mal, doch Dr. Arkham hörte ihr überhaupt nicht zu. Er lief in seinem Büro umher, vollkommen außer sich vor Wut.
,,Sie hätten tot sein können, ist Ihnen das klar? Er hätte Sie töten können!''
,,Aber das hat er nicht, Sir!'', widersprach Alice. ,,Und ich denke auch nicht, dass er das vorhatte.''
Der Doktor legte die Stirn in Falten.
,,Wovon sprichst du da nur schon wieder, Alice? Wie kannst du dir da so sicher sein?''
,,Ich kann es nicht wirklich erklären. Nennen Sie es Instinkt wenn Sie möchten, aber ich habe es einfach gespürt.''
,,Gespürt?'', wiederholte der Arzt ungläubig und seufzte:
,,Alice, du kannst die nicht immer auf dein Gefühl verlassen. Nicht bei diesen Leuten, sie sind nicht, wie du und ich.''
,,Was sind sie dann, Sir?'', stellte sie die Frage. ,,Monster? Ausgestoßene? Menschen, die vor langer Zeit, alles menschliche verloren haben? Es ist mir egal, was sie sind.
Solange sie aus Fleisch und Blut bestehen, solange sie einen Mund haben, durch den sie sprechen können, solange werde ich ihnen zuhören.''
Nun trat die blinde junge Frau auf ihn zu, umfasste seine große raue Hand, die von einem nicht immer leichtem Leben gezeichnet war, das schon so lange hinter ihm lag, und flüsterte:
,,Bitte, Dr. Arkham, Amadeus, bitte lass es mich auf meine Art versuchen. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich nichts erreichen werde, vielleicht werde ich scheitern, aber ich möchte dennoch sagen können, dass ich es wenigstens versucht habe.''
Wieder einmal seufzte der Doktor schwer, und stieß die Luft aus, die er angehalten hatte. Denn er wusste, dass es Alice vollkommen Ernst war. Sie würde nicht aufgeben, es sei denn wenn er sie als Ultima Ratio der Klinik verweisen würde, und das, so wusste er, brächte er nicht über das Herz. Vielleicht war es das nagende Gefühl der Schuld, vielleicht war es auch der kleine Hoffnungsschimmer, dass sie vielleicht doch etwas bewirken könnte. Denn, so war nun mal die Realität, auch wenn er es nicht wirklich glauben konnte: der Joker hatte Alice weder getötet noch verletzt. Warum er es nicht getan hatte, würde wohl für immer ein Rätsel bleiben. Aber was immer es auch war, was immer ihn auch dazu veranlasste hatte, so zu handeln wie er es getan hatte, war möglicherweise der Schlüssel zu seiner Psyche.
Warum er ihr letztendlich seine Zustimmung gab, vermochte er selbst nicht zu sagen.
Aber er tat es, trotz schweren Herzens.

                                                                           ~~~*~~~

,,Er macht sich eben Sorgen, Alice, und wenn ich ehrlich bin, habe ich auch kein sehr gutes Gefühl bei dem Gedanken, dass du weiterhin mit diesen Leuten arbeiten möchtest'', sagte Dr. Miller, der neben Alice auf der Bank saß. Sie hatten sich dazu entschlossen, ihre Mittagspause im Freien zu verbringen, hoffend noch ein paar letzte Sonnenstrahlen zu erhaschen. Doch das Wetter war launisch, die grauen Wolken am Himmel, schienen um den besten Platz am Firmament zu buhlen.
,,Ich weiß'', seufzte Alice auf, nahm dabei den Duft des frisch gemähten Rasens wahr. ,,Denkst du, mir geht es anders? Ich habe auch meine Bedenken, aber wie sagte einst Ingmar Bergman? Es gibt keine Grenzen. Nicht für den Gedanken, nicht für Gefühle. Die Angst setzt die Grenzen. Glaub mir, ich fürchte mich genauso wie jeder andere, alles andere wäre töricht, aber ich akzeptiere diese Furcht, ich sehe sie nicht als Schwäche, sondern ich versuche sie zu meiner Stärke zu machen. Indem ich sie nicht verleugne, kann sie mich nicht beherrschen. Sie wird allgegenwärtig sein und mich nie verlassen, also ändere ich meinen Blickwinkel und sehe sie als eine Art Begleiterin, nicht als meine Feindin.''
,,Aus dir hätte auch eine wunderbare Philosophin werden können'', merkte der Doktor neckisch an. Alice lachte auf.
,,Spricht da etwa der Neid aus Ihnen, Dr. Miller'', fragte sie, wollte seine Schulter puffen, traf jedoch stattdessen sein Brustbein.
Der Arzt hielt sich, die nicht einmal schmerzende Stelle und rief theatralisch: ,,Wie können Sie mir nur so etwas unterstellen, Frau Philosophin? Oh wunderschöne Hypatia, wie können Sie nur derart meine Gefühle verletzten?''
Für eine Weile herrschte vollkommene Stille, doch dann prusteten beide los. Sie lachten solange bis sie Seitenstiche bekamen.
,,Und sowas will Therapeut sein'', japste Alice, wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. ,,Kein Wunder, dass dich niemand ernst nimmt!''
,,Hey, das nimmst du sofort zurück!''
Alice legte ihren Zeigefinger auf ihre Nasenspitze, schien angestrengt über diese Option nachzudenken.
,,Nein, ich denke das werde ich nicht'', erwiderte sie, nahm ihren Blindenstock und lief dann so schnell sie konnte zurück zu dem hochragenden Gebäude. Dr. Miller blickte ihr für ein paar Sekunden verdutzt nach.
,,Freches Ding'', flüsterte er kopfschüttelnd, erhob sich und rannte ihr grinsend hinterher. Als er sie eingeholt hatte, schritten beide kichernd durch die Gänge.
Einige der Mitarbeiter blickten ihnen hinterher und schüttelten, angesichts solchen kindischen Verhaltens die Köpfe. 


                                                                      ~~~*~~~


Als der Joker langsam seine Augen öffnete, brummte sein Schädel, als wäre ein Laster darüber gefahren. Die unnatürliche Stellung seiner Arme sagte ihm, dass er wieder die Zwangsjacke trug. Seine Sehnen und Muskeln protestierten lautstark, als er sich langsam aufsetzte, und gegen die Steinwand lehnte. Er ließ seinen Kopf schwerfällig zur Seite kippen, sein Blick schweifte dabei durch den dämmrigen Raum.

Wie lange mochte er hier liegen?Wochen? Monate? Seiner trocknen Kehle nach zu urteilen, zumindest ein paar Tage und das hatte er nicht allein der beachtlichen Voltzahl, die durch seine Adern geschossen war zu verdanken, dessen war er sich bewusst. Wenn er seinen Ärmel hätte hochkrempeln können, so hätte er mit Sicherheit ein paar hübsche Einstiche entdeckt. Auf die guten Doktoren in Arkham war doch immer verlass. Sie verrichteten ihre Arbeit gewissenhaft, minuziös, stets darum bestrebt die Verrückten in Gotham zu heilen. Seiner Brust entrang sich ein kleines müdes Lachen, das durch den Raum tanzte und an den Wänden zerschellte.

Seine Gedanken schweiften umher, zurück zu jener Begegnung, die er erst vor ein paar Tagen gemacht hatte. Er konnte sie beinahe vor sich sehen.
Ihre dunklen Locken, ihre strahlenden Augen, ihr hübsches Gesicht. Ihren Mut. Sie erinnerte ihn beinahe an einen kleinen Spatz, der sein Gefieder aufplusterte, um seine Feinde zu beeindrucken. Obwohl ihr Verhalten, die Annahme nahe legte, dass sie wirklich lebensmüde war, konnte er nicht umhin ein klein wenig neugierig zu sein. Denn er hatte etwas in ihr gesehen; ein Feuer, eine kleine Flamme, die tief und vor aller Augen verborgen, in ihrem Inneren loderte.
Wenn er richtig lag, und das tat er für gewöhnlich, dann würde sie wieder kommen.
Und er konnte es kaum noch erwarten.

DämmerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt