Fieberhaft überlegte ich, woher ich diese Stimme nur kannte.
Mein Albtraum über May kam mir wieder in den Sinn.
Du hast etwas übersehen.Ja verdammt, aber was?
Die Stimme war aufjedenfall männlich.
Zwar nicht so tief wie Sandors, aber kratziger.
Auch diese Stimme gab mir Gänsehaut, aber nicht, weil ich sie, wie Sandors, sexy fand, sondern weil ich bei ihrem Ton unglaubliche Angst bekam.Sie erinnerte mich an die Situation von vor zwei Jahren. An all den Schmerz den ich dort mitmachen musste, all die Angst. Sie erinnerte mich an eine Person. Die Person, die mein Leben zerstörte. Ich konnte mir aber einfach nicht vorstellen, dass sie hiermit etwas zu tun haben könnte. Ich war extra umgezogen.
Hatte extra meine Nummer geändert.
Hatte all meine alten Freundschaften zurückgelassen. Außer May. Nein.
Es war fast unmöglich, dass ER etwas damit zu tun hatte. Aber was wenn doch?Ich schweifte ab und dachte stattdessen darüber nach, was wohl gerade mit Sandor geschah. Und ich gab es nicht gerne zu, jedoch bekam ich ein wenig Angst um ihn. Ich hoffte, dass er noch leben würde.
Irgendwann, es fühlte sich an, als wäre bereits ein Monat vergangen, wahrscheinlich handelte es sich aber nur um paar Stunden, öffnete sich die Stahltür erneut mit einem Quietschen, was mich aus meinem Schlaf hochschrecken ließ. Es war stockfinster, weswegen ich die hereinkommende Person erst hörte, bevor ich sie sah. Angst machte sich in mir breit, als schwere, schlurfende Schritte auf mich zu kamen. Dann hockte sich jemand neben mich. An den Konturen erkannte ich, dass es Sandor sein musste. Warum war die Lampe, die sonst Rund um die Uhr spärlich den Raum beleuchtete ausgeschaltet? Ich nahm an, dass Sandor in diesem Moment vielleicht garnicht hier sein sollte.
Ich warf einen prüfenden Blick in die Richtung, wo sich die Kameras befinden mussten. Ich sah jedoch kein rotes Kontrolllämpchen aufblinken.
Niemand beobachtete uns. Ausnahmsweise nicht.Sandors Gesicht befand sich so nah an meiner linken Hand, dass es mir möglich war, meine Fingerspitzen auszustrecken und leicht über seine Wange zu streichen. Keine Maske mehr.
Zischend zog er die Luft ein, als ich seine Haut berührte. Vor Schmerz?
»Sandor, was hat er mit dir gemacht?«,
flüsterte ich. Wie absurd. Ich bin doch diejenige, die die ganze Zeit misshandelt wurde. Sandor hatte dies auch verdient.
Sollte... ich denken. Ich tat es aber nicht.
Wieso bin ich so?Ich erinnerte mich an eine Szene von früher.
Mein zwölf Jahre altes Ich tauchte vor meinem Inneren Auge auf. Wie ich in der Klasse meiner damaligen Schule stand und mal wieder beobachtete, wie ein Junge von den gesamten restlichen Kindern aus eben dieser Klasse heruntergemacht wurde. Wie ich aufstand, und schrie, dass sie es lassen sollten. Wie ich mich neben ihn kniete und nach seinen Wunden sah. Wie ich zwar sauer auf die Mobber war, ihnen aber trotzdem verzieh, weil ich davon ausging, dass jeder von ihnen ganz eigene Probleme privat hatte. Wie der Junge, neben welchem ich kniete, verzweifelt zu mir aufsah.
Der Junge, welcher später mein Leben zerstören sollte.Die Antwort war wohl ein hohes Maß an Empathiefähigkeit. Meine Mutter war früher deshalb immer ungemein stolz auf mich, und mein Vater erst - bevor er... starb. Es ist eine tolle Eigenschaft so sensibel und empathisch zu sein, jedoch empfand ich es schon immer eher als negativ. Wenn ich nicht so wäre, wäre mir die ganze Scheiße von früher nie passiert. Deswegen hatte ich versucht, mir eben diese Eigenschaft abzutrainieren.
Nun überrollte mich aber wieder dieses Gefühl, als ich die Augen zusammenkniff, um Sandor besser erkennen zu können. Ja, hätte ich nicht diese enorme Empathiefähigkeit in mir wieder gefunden, dann würde ich wohl nicht so über Sandor denken, so mit ihm reden und so für ihn handeln, wie ich es im Moment tat.
Aber ich war mir einfach zu hundert Prozent sicher, dass er das hier gar nicht wollte.
Er hatte es mir mehr als einmal klar gemacht.
Ich stoppte meinen Gedankengang. Er hatte mir jedoch auch mehrmals das Gegenteil klar gemacht.
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This Person Does Not Exist
Misterio / SuspensoMeine Mom bläute mir früher immer ein, wie wichtig es wäre, zwar auch mal Fehler zu machen, da man durch diese am meisten lernen würde... ... Man in manchen Situationen aber einfach keine Fehler machen sollte. Sie werden dich sonst für den Rest dein...