Bauern schieben

Es ist wieder soweit. „Schach!“ Frustriert stöhne ich auf. Er ist ein hervorragender Spieler, soweit ich es als Anfänger beurteilen kann. Der beste, den ich kenne. Seit meine Eltern mir zu Weihnachten ein Schachbrett geschenkt haben, konnte ich nur ein einziges Patt gegen meinen Onkel erzwingen und verlor dutzende Male. Heute ist Pfingstsonntag und das Spiel beginnt mich zu ermüden.
Dennoch sitzen wir wieder einmal auf der Terrasse unter der Pergola, mit einer Tasse Kaffee und 32 Holzfiguren auf dem kleinen, runden Gartentisch zwischen uns. Er raucht Zigarette und lässt sich die warme Frühsommersonne ins Gesicht scheinen, während ich meine Möglichkeiten abwäge.
„Sag Bescheid, wenn du so weit bist. Und achte auf meinen Springer.“
Genervt folge ich seinem Rat mit der gebotenen Vorsicht. Manchmal lockt er mich mit vermeintlichen Tipps in eine Falle. Manchmal ist seine Hilfe aufrichtig. Ob sein Springer wirklich eine Gefahr für mich darstellt oder ob es nur ein Ablenkungsmanöver ist, werde ich wie immer erst am Ende des Spiels erfahren, wenn mein Onkel es mir erklärt.
An beinahe jedem Sonntag, bei Sonne und Regen, tritt er nach dem Aufstehen, meist kurz vor Mittag, aus seiner kleinen Mietwohnung auf die Straße. Er steckt sich eine Zigarette an, schirmt sie mit der Hand ab, egal ob ein Wind geht oder nicht, und macht sich ganz langsam auf den Weg durch das kleine Dorf. In Gedanken versunken, die Hände in den Hosentaschen, die Augen im Zigarettenqualm verkniffen, vorbei an der Tankstelle, die heute nur noch ein Getränkeladen ist, und vorbei an der Kirche, wo er einige Augenblicke dem Gesang der alten Menschen lauscht. Über die leere Kreuzung und den steilen Berg hinauf, bis zu unserem Haus, dem letzten vor den Maisfeldern, die man von unserem Balkon in ihrer Weite kaum noch überblicken kann, obwohl der Mais noch nicht hoch steht.