Blasse Hände streichen über das Papier. Das leise Rascheln der Berührung mischt sich mit schwerem Atem. Die Hände stocken kurz in ihrer Bewegung, das kindliche, ausgezerrte Gesicht des Jungen zeigt keine Regung. Langsam nimmt er das Blatt und dreht es. Ganz behutsam knicken seine Finger die Kanten um, streichen sie glatt. Zwischen seinen Berührungen nimmt das Papier Form an. Vorsichtig greifen seine Finger den Füller und setzen die Spitze auf das Papier. Die Papierfasern saugen die Tinte auf, Faser um Faser wächst ein kleiner Fleck heran. Doch dann raffen sich die Finger auf, bewegen die Spitze. Sie kratzt mühsam über das Papier und hinterlässt ihre Spuren.
In den Augen des Jungen spiegelt sich die Furcht. Er weiß, dass es nicht mehr lange dauert. Vorsichtig kommt er ans Fenster und sieht den hohen Turm am Ende der Straße stehen. Die Spitze versinkt in den tiefhängenden, dunklen Wolken. Mit einiger Mühe öffnet er das Fenster und schaut auf den Papierflieger in seinen Händen. Er beugt sich vor und hält das Gesicht in den Wind, der die Gerüche der Stadt mit sich trägt. Er schließt die Augen.
Trotzdem kann er sehen, wie der Papierflieger mit dem seichten Wind durch die Lüfte dahin segelt. Der hohe Turm kommt näher und strahlender Sonnenschein empfängt ihn. Er kann die staunenden Gesichter der Kinder oben an den Glasfenstern sehen, die auf die vertraut unbekannten Straßen hinabblicken. So klein wirken die Bäume, so bedeutungslos die einzelnen Menschen. Langsam senkt sich die Spitze des kleinen Papierfliegers wieder hinab. Er sieht die Menschen in ihren Wohnungen sitzen und ihren Tätigkeiten nachgehen. Niemand bemerkt den kleinen Papierflieger, der die zwitschernden Vögel in ihren Nestern beobachtet. Er sieht eine Familie vor dem, in den Himmel ragenden Gebilde stehen. So glücklich sehen sie aus. Sie schauen empor und lachen miteinander, so einfach und doch so zufrieden. Eine Taube begleitet den kleinen Flieger weiter und landet schließlich vor einer Bank mit zwei älteren Herren. Der Eine streut ein paar Krümel seines Brotes auf den Weg und die Taube steuert gurrend darauf zu. Der Andere liest in einer Zeitung und schmunzelt leise vor sich hin.
Sie alle haben ihre kleinen Freuden, denkt der Junge, als der Papierflieger seine Hand verlässt. Wehmütig schaut er ihm hinterher, er weiß, dass es jetzt endgültig vorbei ist. Die dunklen Wolken scheinen die Stadt erdrücken zu wollen. Der Papierflieger landet auf dem grauen, tristen Gehweg unterhalb des Fensters. Als der erste dicke Regentropfen auf das Papier trifft, verklingt am Fenster bereits der letzte Atemzug.
Vorsichtig beugt ein Mädchen sich über den Papierflieger und hebt ihn auf. Ein Hoffnungsschimmer schleicht sich in ihr Herz. Selbst als das dröhnende Geräusch eines Krankenwagens an ihr Ohr dringt, kann dieser nicht wieder verschwinden. Sie will es versuchen, sie will es ein letztes Mal versuchen diese alles verzehrenden Krankheit zu überwinden. Denn der Papierfliger hat ihr Hoffnung geschenkt, die Hoffnung irgendwann wieder fliegen zu können.
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Ich hoffe sie gefällt euch.
Ich freue mich über Anmerkungen, Kommentare, ...<3
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Wie das Leben dahin fliegt
Short StoryEine sehr kleine, kurze, nicht unbedingt spannende, aber, ich würde sagen bewegende Geschichte... Alle Rechte liegen bei mir, außer die der Bilder.