Schon seit Stunden starre ich durch das leere Blatt Papier auf meinem Monitor. Ich gehe nochmal auf meine zuletzt besuchte Website. Erneut lese ich mir den ersten Satz des Artikels durch. Aber ich verstehe immer noch Nichts. Der ganze Müll ist doch so ne Zeitverschwendung, denke ich mir. Ich könnte auch irgendwas Cooles machen, irgendwas worauf ich gerade bock hab. Oder etwas wirklich Nützliches.
Langsam wandert meinen Blick zu dem Tischkalender an der rechten Ecke meines Schreibtisches. Die Ferien enden in einer Woche. Danach habe ich schon wieder vier Abgaben und eine Klausur. Echt wunderbar. Was sind das eigentlich inzwischen für Ferien? Ich kann nicht mal eine Sekunde abschalten. Jedes Mal bekomme ich in mein Bewusstsein gerufen, dass ich noch einen Berg voll Arbeit zu erledigen habe. Dabei war gerade erst Silvester. Ein ziemlich Ruhiges und sehr Ungewöhnliches. Aber trotzdem, es war Silvester. Eigentlich müsste ich vor Motivation, guten Vorsätze und super Laune nur so sprühen. Aber Nichts der Gleichen. Mein Kopf ist mal wieder, wie leergefegt. Ich kann an nichts Produktives mehr denken. Stattdessen habe ich nur ein einziges Datum vor meinen Augen schweben.
01.07, die Ausgaben meines letzten Zeugnisses.
Das Ende von 13 Jahren Stress. Das Ende meiner Kindheit, der Anfang des echten Lebens, der Selbstständigkeit, sich endlich von Zuhause los machen, neue Leute kennenlernen. Viel trinken, viele Partys. Die Meisten träumen ihre gesamte Kindheit davon und starten jetzt, im letzten halben Jahr, in den Endspurt. Joa, ich häng aber mal wieder hinterher. Jetzt setze dich doch mal 15 Minuten an das Schulzeug und lese dir das nochmal anständig durch. Das kann doch nicht so schwer sein, du musst einfach nur anfangen, denke ich mir. Langsam lasse ich meinen Kopf in meine Hände sinken. Mein Magen grummelt langsam. Dabei habe ich mir gesagt, dass ich Nichts essen werde, bevor ich dieses bekloppte Referat nicht fertig habe. Kraftlos hebe ich meinen Kopf wieder. Ich schaue auf die Uhr. 20.00 Uhr. Und das wars auch schon, der Tag ist nahezu vorbei, realisiere ich. Was hab ich mal wieder geschafft? Nichts. Ich schaue auf meine heutige To Do Liste.
Sonntag 03.01.2021
+Vormittags: aufräumen, Zeit mit meinem Schatz genießen
+Mittags: Kochen, Wirtschaft lernen
+Nachmittags: Referat Englisch, Wirtschaft lernen, Spanisch Vokabeln wiederholen
+Abends: was für mich machen
Ich seufze laut. Dann schließe ich das leere Textdokument und öffne das kleine lila Icon auf meiner Taskline. Jetzt noch irgendwas anfangen bringt auch nichts mehr, denke ich mir. Nach ein paar Sekunden leuchtet Discord auf meinem Bildschirm auf.
Zwei neue Nachrichten: Bryce: <3, Emil: Zocken?
Ich antworte erst meinem Freund mit meinem einem Herzen und gehe dann auf den Server unserer Clique, weil da unter anderem Emil abhängt. Ich setzte meine Kopfhörer auf und joine dem Zock-Channel.
"Na Luna, was geht?", fragt mich Emil direkt.
"Shit die lebt ja auch noch, ich dachte du bist an Silvester in einen Böller gelaufen, der dir alle Organe aus dem Leib gerissen hat", witzelt Matteo, der wie immer einen sehr eigenen Humor drauf hat. ich begrüße alle kurz und starte dann das Spiel.
Für die Zeit des Zockens, des Abknallens der anderen Spieler, des Lachens, für die Zeit online konnte ich mal wieder alles vergessen. Irgendwann aber, gehen alle wieder off. Also klappe auch ich meinen Laptop zu und setze meine Kopfhörer ab. Plötzlich ist alles ganz still um mich herum. Ich schaue auf mein Handy. 3.00 Uhr.
Fuck, so spät schon? Ich bin nicht mal müde. Dabei wollte ich doch morgen früh aufstehen, um mein Schlafrhythmus wieder in den Griff zu bekommen und endlich mal was Produktives zu schaffen. Nicht mal das bekomme ich mehr geschissen, stelle ich fest.
Ich steh auf und lass mich ins Bett fallen. Es steht direkt neben meinem Schreibtisch. In dem Moment wo ich das Licht ausmache, mich in mein Kissen sinken lasse und mein handy auf den Nachttisch lege, werde ich sofort wieder von meinen Selbstzweifeln, dem schlechten Gewissen und der Angst gepackt. Dieser ganze Abiturscheiß hat doch ohnehin keinen Sinn, wenn man nicht weiß was man danach machen will. Warum schaffe ich es eigentlich nicht mich wieder aufzuraffen und dieses letzte Jahr noch durchzuziehen? Es hat die letzten Jahre doch auch immer gepasst!
Langsam steigen Tränen in meine Augen. Krampfhaft versuche ich sie wieder herunter zu schlucken, aber zu spät. Sie fließen mir schon einer nach der anderen die Wange hinunter. Leise wimmernd liege ich also nun zusammengekauert in meinem Bett und hoffe inständig, dass das irgendwie hilft. Aber nichts da, je mehr ich weine und über mein ganzes Leben nachdenke, desto schlimmer wird es. Erneut nehme ich mein Handy in die Hand. Ich schaue lieber noch ein bisschen YouTube, damit ich nicht mit den ganzen schlechten Gedanken allein bleiben muss. Auf der Startseite leuchtet ein Video auf. "Glow Up Diaries Season 2 TRAILER by Alivia D'Andrea" Glow Up, klingt irgendwie cool, denke ich mir. Da das Video nur vier Minuten geht klicke ich drauf.
Bei der Hälfte des Trailers fange ich an wieder zu flennen. Ich kann die Situation in der sie sich befand so gut nachvollziehen. Ich kann die Angst, die Zweifel, alles so gut nachvollziehen. Zwar war ich nie an dem Punkt wo ich unzufrieden mit meinem Körper war, aber die mentale Stabilität, die Freude, die Freundlichkeit, das Lachen, einfach alles Positive habe ich über die letzten Monate so verloren. Ich habe mich selbst so vernachlässigt, mich versteckt, mich selbst fertig gemacht, nicht das gesehen was gerade gut läuft sondern nur das was gerade nicht passt. Ich war ein Loser. Ich fühle mich wie ein Loser. Als könnte ich nicht geliebt werden, unfähig, allein, nutzlos. Das war der Punkt wo ich realisierte, dass ich unbedingt was ändern muss.
"So start now, start where you are, start with fear, start with pain, start with doubt, start with weakness, start with uncertainty, just start!", dröhnt es aus den Lautsprechern meines Handys und jedes einzelne Wort davon war so wahr.
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Glow Up
Teen FictionAufglühen, wie ein Glühwürmchen in der Dunkelheit, eine Tulpe nach einem langen Winter, die Sonne nach einer kalten Nacht. Dabei will ich gar nicht glühen. Ich möchte doch nur endlich wissen was ich will. Keine Angst mehr vor der Zukunft haben, wic...