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Es war einmal vor langer Zeit eine Hexe. Na gut, das ist übertrieben. Die Hexe unserer Geschichte war damals Ende 20, trug am liebsten Jeans und Band-T-Shirts und arbeitete in der Buchhandlung um die Ecke. Weil sie Heilzauber beherrschte, war sie eine der Ersthelferinnen; weil sie Feuer ersticken konnte, war sie auch Brandhelferin; und weil sie in die unmittelbare Zukunft sehen konnte, gingen an der Kasse niemals die Thermopapierrollen für die Belegdrucker aus.

Nun könnte man sagen, sie wäre zu Höherem berufen gewesen. Das wusste sie. Sobald ein Dämon oder der Weltuntergang am Laden vorbeiginge, wäre sie bereit, die Brille abzusetzen wie Supergirl. Nur, dass unsere Hexe tatsächlich schlecht sah und ihre Brille besser wieder aufsetzen sollte, bevor sie statt des Weltuntergangs den Dackel vom alten Herrn Braun erwischte. Wobei sie den alten Mann sowieso noch nie gemocht hatte. Er war Stammkunde, aber deswegen nicht weniger unangenehm. Er kam ihr und ihren Kolleginnen immer zu nah und ließ in einer zermürbenden Regelmäßigkeit rassistische Sprüche über eine der dunkelhäutigen Kolleginnen fallen. Alina und Imke wehrten sich verbal, aber er lachte nur. Daher hängte unsere Hexe ihm manchmal Durchfall an, um es ihm heimzuzahlen. Aber Herr Braun stellte die Verbindung zwischen dem einen und dem anderen nie her und so lief die pädagogische Maßnahme immer ins Leere. Trotzdem würde unsere Hexe dem Tier nichts tun. Tiere können nur selten etwas für ihre Besitzer, das wusste sie.

Lieber hatte unsere Hexe den netten Herrn Sommer. Sein Nachname spiegelte sein Gemüt. Er war immer fröhlich, pfiff ein Liedchen vor sich hin, wenn er die Buchhandlung betrat, und quatschte mit allen Kolleg*innen. Er war Rentner und hatte sehr viel Zeit für seinen Einkauf. Herr Sommer schlenderte stundenlang durch den Laden, sah sich von Kinderbuch bis Sachbuch jede Neuerscheinung an und kaufte am Ende eine Biographien, die er dem Bild seiner verstorbenen Frau vorlas. Er hasste Biographien, aber sie hatte sie geliebt.

Unsere Hexe liebte ihre Arbeit, aber manchmal, wenn sie nachts mit ihrer weißen Katze Tabby auf den Balkon ihrer Wohnung saß und die wenigen Sterne betrachtete, deren Strahlen es durch den Lichtsmog der Stadt schafften, kam sie sich unwichtig vor. Wozu hatte sie diese besonderen Fähigkeiten? Wozu hatte sie sie trainiert, wenn dann doch kein böser Geist die Stadt in Atem hielt? Sie dachte immer, sie wäre wie die Protagonist*innen in den vielen Fantasyromanen in ihrer Jugend. Hatten diese Bücher gelogen? Dabei hatte sie durch diese Geschichten hin und wieder etwas über sich gelernt. Oder über ihre Fähigkeiten. Und trotzdem war sie noch keinem Dämon begegnet. Obwohl jedes Buch sagte, dass - was? Der Name unserer Hexe? Entschuldige, ich war schon so im Reden, dass ich das vergessen habe. Sie hieß Katharina Spiegel. Ihre Freund*innen - wie ich eine war - nannten sie Kathi - mit einem langen a, darauf bestand sie.

Wo war ich? Ach ja, Kathis Jugendfantasybücher. In jedem stand, dass Dämonen sich immer auf starke Hexe*n oder Zauber*innen oder ähnliches stürzten, weil sie deren Macht spürten. Sie verfolgten sie. Der Einzige, der Kathi jemals verfolgt hatte, war Jens Baumann in der 8. Klasse gewesen, der damals über beide Ohren in sie verliebt gewesen war. Keine Sorge, er war kein Stalker, er hat sie nicht auf Schritt und Tritt beobachtet, aber in der Schule ist er ihr hin und wieder den Gang entlang gefolgt. Unwichtig zu erwähnen, dass die Liebe unerwidert blieb, denn er hat sich nie getraut, sie anzusprechen.

Katharina Spiegel hatte also irgendwann mit ihren Lieblingsbüchern gebrochen, sie ans Ende ihres großen Regals verbannt und zog sie nur noch heraus, wenn sie nach einem feuchtfröhlichen Abend rührselig wurde. Sie hatte sich der Esoterik zugewandt, testete Rituale, Salben und Räucherwerk und sagte sich, dass sie deswegen nie auf einen Dämon getroffen war. Tatsächlich entsprach das der Wahrheit. Dass Kathi ihre Kräfte so lange nicht benutzen musste, hing mit ihrer unverhofft starken Schutzmagie zusammen.

Nun würde ich die Geschichte der Katharina Spiegel - so klingt das schon etwas besser für eine Hexe, oder? - nicht erzählen, wenn ihr Leben bis an ihr Ende ruhig verlaufen wäre. Nein. Aber lass uns an dem Tag einsteigen, an dem alles begann. Zum Einstieg einmal diese wunderschöne Warnung: Be careful what you wish for, it may come true.

Das muss die Saison der Katharina Spiegel seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt