2017
Draußen war es schon dunkel, während Gwendolyn durch den Schnee in Richtung des kleinen Restaurants stapfte, in dem sie mit Gideon zum Abendessen verabredet war. Es war Anfang Dezember und hatte seit Tagen nicht aufgehört zu schneien. Der Gehweg war nur noch etwa halb so breit, wie normalerweise, so groß waren die Schneeberge an den Seiten. Gwendolyn zog ihren Mantel enger um sich und ging ein wenig schneller. Ihr war kalt und sie war sowieso schon zu spät für ihre Verabredung dran. Das kam in letzter Zeit häufiger vor, ihr Studium kostete sie unglaublich viel Zeit und sie hatte mehrmals die Woche Treffen mit ihrem Professor, um ihre anstehende Abschlussarbeit zu besprechen. Sie wusste, dass Gideon genervt davon war, wie viel Zeit sie in der Universität verbrachte, aber in wenigen Wochen würde sie hoffentlich endlich fertig sein. Dann könnte sie endlich ihre Arbeit als Lehrerin beginnen. Sie hatte bereits die Zusage in der Grundschule, in der sie im Laufe ihres Studiums immer wieder Praktika gemacht hatte und konnte es kaum erwarten, endlich anzufangen.
Als Gwendolyn das Restaurant erreicht hatte, schüttelte sie sich den Schnee aus den Haaren und klopfte ihren Mantel ab. Dann trat sie ein. Sie erkannte Gideon direkt. Er saß an einem kleinen Tisch in der hintersten Ecke und wirkte sichtlich genervt. Gwendolyn atmete tief durch und ging dann auf ihn zu. „Na, auch endlich mal da?" Gideon stand auf und gab Gwendolyn einen kurzen Kuss. „Tut mir leid, du weißt, wie viel Zeit mich meine Abschlussarbeit aktuell kostet", erwiderte Gwendolyn und nahm gegenüber von ihrem Freund Platz. Die beiden waren nun schon fünf Jahre zusammen und in ihrer Beziehung hatte sich eine Routine eingeschlichen. Gideon arbeitet inzwischen als Assistenzarzt in einem Londoner Klinikum und Gwendolyn verbrachte die meiste Zeit in der Universität. Müssten die beiden nicht täglich gemeinsam elapsieren, würden sie sich wahrscheinlich kaum mehr zu Gesicht bekommen. Ein Abend wie heute, ein gemeinsames Essen, war da schon etwas Besonderes.
„Wie geht es dir?", fragte Gwendolyn und lächelte Gideon an. „Wie war es in der Arbeit?" Gideon seufzte. „Anstrengend, wie immer." Mehr Information bekam Gwendolyn nicht, denn der Kellner unterbrach die beiden, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Kaum war der Kellner wieder verschwunden, sah Gideon Gwendolyn ernst an. „Gwendolyn ich muss mit dir reden", fing er an. Gwendolyn wurde ganz mulmig zumute. Sie befürchtet schon seit einiger Zeit, dass irgendetwas nicht stimmte. In ihrer Beziehung war aktuell einfach der Wurm drin, doch sie hatte es auf den Stress geschoben, den die beiden hatte. Jetzt blickte sie ihren Freund erwartungsvoll an.
„Ich habe jemanden kennen gelernt." Gwendolyns mulmige Gefühl wurde immer schlimmer und breitet sich zu einer Übelkeit aus. Am liebsten wäre sie einfach direkt aufgestanden und gegangen. „Sie ist eine Krankenschwester." Was für ein Klischee. Er betrog sie also nicht nur, sondern bediente dabei auch noch alle Klischees, die das Arztleben so zu bieten hatte. „Wir arbeiten zusammen und verstehen uns echt gut." In Gwendolyn kochte eine Wut hoch, mit der sie nicht gerechnet hatte. „Aha, und was willst du mir jetzt damit sagen? Das es vorbei ist? Falls ja, dann bitte grade raus. Sonst sag ich es." Die Worte sprudelten einfach so aus Gwendolyn raus. „Gwenny bitte..." Besaß er ernsthaft die Frechheit, sie jetzt auch noch Gwenny zu nennen? In einer solchen Situation? „Das zwischen dir und mir ist etwas anderes. Ich liebe dich!" Gwendolyn wäre am liebsten laut geworden. „Achja, du liebst mich. Deswegen betrügst du mich also mit einer Krankenschwester? Ist das dein Ernst?!" Gideon schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Du musst mir glauben, dass es mir wirklich leid tut. Und dass ich dich wirklich liebe. Nur weißt du, das mit der Ewigkeit ist bei Unsterblichkeit eine ganz schön lange Zeit. Für immer mit einer Person zu verbringen. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt schon kann." Wenn er nach fünf Jahren bereits die Schnauze voll hatte, war das mit der Ewigkeit wohl hinfällig. „Weißt du was Gideon, ich nehme dir die Entscheidung ab, ob du das kannst oder nicht. Vögel doch die ganze Belegschaft im Krankenhaus. Oder wo auch immer du willst. Aber das mit uns ist vorbei. Ich brauche keinen Mann, der bereits nach fünf Jahren schon genug hat." Gwendolyn stand auf und zog sich ihren Mantel über. „Mach du dein Ding und ich mach meins. Du weißt, ich bin auf den Chronografen nicht angewiesen. Ich habe das mit dem autosuggestiven Zeitreisen inzwischen gut genug drauf. Es war mir eine Freude dich gekannt zu haben und ich wünsch dir noch ein schönes ewiges Leben!" Gwendolyn war stinksauer, schnappte ihre Tasche und stiefelte aus dem Restaurant.
Gideon versuchte nicht mal ihr nachzulaufen. Er wusste, dass er es verbockt hatte. Allerdings hatte er alles, was er gesagt hatte auch genau so gemeint. Er war noch so jung. Und auch wenn er Gwendolyn wirklich liebte, konnte und wollte er sich noch nicht für die Ewigkeit festlegen. Er wollte Dinge erleben und Menschen kennen lernen, Erfahrungen sammeln und Fehler machen. Schließlich hatte er schon seine ganze Jugend dank der Loge verpasst.
Als Gwendolyn auf der Straße stand verflog die Wut und die kalte Luft traf sie wie ein Schlag. Es war vorbei. Es war wirklich vorbei. Nach all dem, was die beiden zusammen erlebt hatten, war es wirklich vorbei. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Dann lief sie los. So schnell sie konnte, bloß weg von diesem blöden Restaurant und diesem noch blöderen Gideon. Er war wohl doch noch der Kotzbrocken, der er damals schon gewesen war, als sie ihn kennen gelernt hatte.
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Rosenquarzrosa
Fanfiction"Es war mir eine Freude dich gekannt zu haben und ich wünsch dir noch ein schönes ewiges Leben!" Zeiten ändern sich, auch für Gwendolyn und Gideon. Ihre Beziehung findet ein jähes Ende und als die beiden sich zehn Jahre später zum ersten Mal wieder...