1 - ein Angebot

685 19 6
                                    

Mit ein bisschen mehr als zwei Bier intus torkelte Nico auf ihn zu. Um ihn herum bewegten sich die verschwitzten Körper anderer Clubbesucher und das grelle Discolicht lies Nico in ständig wechselnden Farben aufleuchten. Es war viel zu laut und trubelig, wie es Freitag Abends im Club halt immer war, so dass er kaum verstehen konnte, was Nico ihm da entgegen rief. Sascha versuchte, ihn mit beiden Armen auf Abstand zu halten, doch Nico warf sich ihm buchstäblich entgegen. Es war nichts neues, er wurde jedes mal so extrem anhänglich, wenn er besoffen war. Was jedoch neu war, war, dass er sich letztens immer ausgerechnet ihn für seinen plötzlichen Anflug von Nähe aussuchen musste. Jedenfalls, wenn er keine Frau zum abschleppen gefunden hatte, mit der er dann schon frühzeitig nach Hause verschwand.
Sascha seufzte auf und rückte sich seine Cap zurecht, währenddessen Nicos warmer Atem seinen Nacken streifte und ihm eine Gänsehaut bescherte.
Nichts gegen ein bisschen trinken, er ging ja selber Samstags mal gerne feiern und war auch schon mal gut angeheitert, aber Nico übertrieb maßlos. Um ehrlich zu sein, machte er sich ein wenig Sorgen. Nico hatte nur gelacht und es abgetan, als er ihn darauf angesprochen hatte. Aber es fühlte sich falsch an, in dieser Situation nichts zu sagen und seinem besten Freund nur dabei zuzusehen, wie er sich seine Gehirnzellen komplett zerstörte.

Suchend sah Sascha sich um und hielt Ausschau nach Tim und den anderen Jungs. Nico wurde so langsam schwer, weil er sein Gewicht immer mehr auf ihn verlagerte. Außerdem war es übelst heiß und stickig und Nico brüllte ihm gerade irgendeinen Bullshit ins Ohr. „Lass rausgehen!", brüllte Sascha zurück und fing an, ohne auf Nicos Antwort zu warten, ihn in Richtung Ausgang zu bugsieren. Überraschenderweise folgte Nico sogar relativ widerstandslos und ließ sich von ihm auf eine Mauer platzieren.
Die kühle Nachtluft fühlte sich nach der schweiß- und alkoholgeschwängerten Luft im Club viel zu geil an. Sascha atmete auf und zündete sich erstmal ne Kippe an. Shit, tat das gut. Er warf einen Blick in den Himmel und lehnte sich an die Wand, die Augen geschlossen.
„Nischt rauchn.", nuschelte Nico und fiel bei dem Versuch aufzustehen fast von der Mauer. „Is ungesund."
Sascha öffnete die Augen und zog nur eine Augenbraue hoch. Seit wann spielte Nico der Moralapostel? Aber ihm zuliebe zündete er seine Zigarette trotzdem an der Wand aus, mit einem betrunkenen Nico konnte man sowieso nicht diskutieren. „Danke.", nuschelte dieser und sah dabei so aus, als würde er jeden Moment einpennen. Was durchaus passieren könnte, wie die Vergangenheit schon gezeigt hatte.
„Digga, lass nach Hause gehen. Heute geht sowieso nichts mehr.", meinte Sascha und schob fröstelnd seine Hände in die Jackentaschen. Für Anfang Mai war es nachts noch ziemlich frisch, und wenn er dann Nico im T-Shirt rumsitzen sah, wurde ihm schon bei dem Anblick kalt.
„Ist dir nicht zu kalt?", fragte er ihn also und überlegte sich gleichzeitig, ob er den Move bringen und ihm seine Jacke anbieten konnte. Irgendwie kam das ja schon komisch, oder? Der betrunkene Nico, der geistig nur noch halb anwesend zu sein schien, zuckte bloß mit den Schultern. „Geht schhh.. schon. Lass uns gehn."
Sascha nickte nur und beschloss, nicht weiter nachzuhaken. Dann schrieb er noch schnell an Tim, dass sie schon nach Hause gingen, und half Nico von der Mauer runter.

Zu Nico waren es nur 10 Minuten, weshalb seine Wohnung als „Sauf-Zentrum" auserkoren wurde und es schon fast Tradition war, dass mindestens noch eine andere Person nach dem feiern dort übernachtete (meistens ne Frau, natürlich, es war ja Nico). In stillem Einverständnis schloss diesmal Sascha die Haustür hinter sich beiden und warf seine Jacke auf die Anrichte. Irgendwie wollte er Nico so nicht alleine lassen, auch wenn er sich sagte, dass er ein Erwachsener Mann war und gut für sich selber sorgen konnte. Junge, aber man kannte ja Nico. Der Idiot würde sich in diesem Zustand noch aus versehen die Hand abschneiden oder so.
Eben genannter versuchte grade, sich an der Wand lehnend die Schuhe auszuziehen. Sascha sah das Unvermeidliche schon kommen und machte schnell einen großen Schritt nach Vorne, gerade noch rechtzeitig, um den gefährlich schwankenden Nico wieder gerade hinzustellen. Dieser klammerte sich für einen Moment perplex an Saschas Pulli fest. Junge, war der durch.
„Digga, ich glaub es ist Zeit fürs Bett.", murmelte Sascha und schob Nico sanft in Richtung Schlafzimmer. Dort angekommen ließ sich Nico rückwärts aufs Bett sinken und sah Sascha aus schläfrigen Augen an. Einen Moment lang sahen sie sich nur an, bis Sascha ihm seufzend die Sneaker von den Füßen zog und neben das Bett stellte. Die Hose würde er ihm aber ganz sicher nicht ausziehen, das konnte er sich abschminken. Das würde das Letzte mal sein, wo er für Nico den Babysitter spielte, beschloss er, und richtete sich wieder auf.
„Schlaf.", sagte er zu Nico und drehte sich Richtung Tür. „Ich penn auf der Couch."
„Warte.", kam es leise von Nico, kurz bevor er die Tür schließen wollte. Er hielt inne und drehte sich um.
„Isch glaub... wills du heute nich bei mir schlafn?"
Sascha sah ihn bloß an und setzte zum sprechen an.
„Ich will grad nich allein sein."
Er zögerte, aber eigentlich hatte er die Entscheidung schon getroffen.
Fuck, er konnte Nico echt nichts ausschlagen. Nicht in diesem Zustand. Aber was war auch schon dabei?
Wortlos kam er wieder rein und schloss die Tür hinter sich. Er streifte sich gähnend seine Schuhe ab und zog sich den Hoodie über den Kopf, während Nicos Blick unverändert auf ihm liegen blieb und ihn musterte. „Hm?", machte er und warf Nico einen fragenden Blick zu. Dieser grinste ihn bloß wortwörtlich wie n Besoffener an und nuschelte irgendwas undefinierbares. „Du siehst hot aus.", wiederholte er dann lauter und hielt seinen Blick immer noch auf ihn gerichtet. Sascha konnte nicht verhindern, dass er leicht rot wurde und vermied es, Nico anzusehen. Eindeutig betrunken. Diese Seite von Nico kannte er ja noch gar nicht, normalerweise beließ er es bei Umarmungen und machte keine überschwängliche Komplimente. Und schon gar nicht Männern.
Seine Jeans warf er in die Ecke und setzte sich auf die Bettkante. Nico währenddessen nuschelte unverdrossen weiter und redete gerade irgendwas von schönes Lächeln und ich steh halt auf Blonde. Eigentlich wollte er das alles gar nicht so genau hören, Nicos Frauengeschichten waren auch schon im nüchternen Zustand nicht so angenehm anzuhören. Er schlüpfte mit seinen Beinen unter die Bettdecke und streckte sich über Nico, um die andere Hälfte der Decke über ihn zu ziehen. Als er sich wieder aufrichten wollte, zog Nico ihn zu sich runter, so dass er nun halb verdreht auf dessen Oberkörper lag und Nico ihn daraufhin leicht grenzdebil von der Seite anlächelte. Innerlich seufzte Sascha auf und fügte sich seinem Schicksal. Hoffentlich würde er bald einschlafen. Aber er musste zugeben, Nico war immerhin schön warm und solange er nicht in seine Richtung atmete, war es auszuhalten. Vielleicht sogar mehr als das.
„Sascha, ichh muss dir was sagn.", plapperte Nico weiter. Dieser hörte ihm nur noch mit halbem Ohr zu, er wollte eigentlich nur noch schlafen und sich unter die warme Bettdecke kuscheln, während er an irgendetwas Schönes dachte. „Hm?", grummelte er deshalb leise und unternahm einen Versuch, sich aus Nicos Armen zu schlängeln.
Manchmal war es echt scheiße und nachteilhaft, dass dieser so viel trainierte. Und dass er im Gegenteil dazu so ein Lauch war.
„Ich mag dich. Du bis so schön un nett und hörs mir immer zu."
Er stockte kurz und schien nachzudenken.
„Vielleich klingt das jetz komisch aber manchmal würd ich dich echt gern küssn."
Moment mal.. was?
Sascha hielt überrascht die Luft an und gab keinen Ton von sich. Natürlich, Nico war betrunken und so, aber digga, sowas hatte er bisher zu niemanden von den Jungs gesagt. Weder, dass sie hot wären, noch... das er sie gern küssen würde. Vorsichtig drehte er sich zu Nico um und stürzte sich mit den Armen neben ihm ab. „Nico... Junge, du bist betrunken." Aber eine kleine Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass das nichts war, was der betrunkene Nico normalerweise sagen würde. Etwas zwischen ihnen war heute...anders.
Nico schüttelte energisch den Kopf. „Ich bin nich bettunken in meinem Kopf is alles ganz kla.", meinte er und sah Sascha von Unten an.
„Ich würd dich gern küssn.", wiederholte Nico. „Du bis so...sexy."
Sascha schüttelte bloß den Kopf und sah ihn an.
Und weil er vielleicht, ganz vielleicht auch nicht so nüchtern und ein bisschen dumm war, tat er es einfach.
Er wusste auch nicht, was ihn da ritt.
Vielleicht war es die Neugier, wie es wohl sein würde, einen Mann zu küssen.
Vielleicht war es seine nicht mehr ganz so vorhandene Hemmschwelle.
Vielleicht wollte er irgendjemandem irgendwas beweisen(dass er nicht auf Nico stand zum Beispiel).
Vielleicht war es auch... ein winziges bisschen Anziehungskraft.
Aber... er beugte sich runter und küsste ihn flüchtig auf den Mund.
Etwas perplex starrten sie sich gegenseitig an, weil keiner von ihnen so wirklich damit gerechnet hatte.
Das war eine übelst weirde Situation gerade. Eigentlich hätte spätestens jetzt Nicos Hyänenlache ertönen müssen und sie beide sich gespielt angeekelt ihren Mund abwischen müssen. Eigentlich.
Dann fing Nico wieder an, ihn stockbesoffen anzugrinsen und irgendwie war das alles jetzt gar nicht so schlimm.
Nur ein Kuss. Mehr nicht. War nichts dabei, oder? Trotzdem konnte Sascha jetzt nicht einfach neben Nico liegen bleiben. Er ignorierte dessen Geplapper, sprang fast fluchtartig aus dem Bett und stellte sich ans Fenster, um sich ne Kippe anzuzünden. Wie immer beruhigte ihn das sichere Gefühl von der Zigarette in der Hand und dem warmen Rauch in der Lunge. Tief ausatmend blies er den Rauch in die Nacht und starrte in die Dunkelheit. Das Zittern seiner Hände legte sich allmählich wieder.
Ja Sascha, red dir bloß ein, dass es dir nichts ausgemacht hat, siehst ja selber was du da grade tust. Zur Beruhigung wieder eine rauchen. Ganz toll.
Was war das denn bitte für ne Scheiß-Idee gewesen?
Hinter ihm raschelte die Bettdecke und er hörte das Tapsen von Nicos Füßen, die auf ihn zugelaufen kamen. Er starrte stur geradeaus und weigerte sich, Nico anzusehen, der sich nun vorsichtig neben ihn stellte.
Ungewöhnlich einfühlsam blieb dieser erst mal still und blickte neben ihm aus dem Fenster. Dann räusperte er sich leise und sagte: „Fanschh dus so schlimm?
Endlich sah Sascha ihn an und holte tief Luft. Dann schüttelte er den Kopf und zuckte mit den Schultern.
„Ich...ich weiß auch nicht. Vielleicht hab ich einfach nur Angst."
„Angsst wovor?"
Erneut hob Sascha seine Schultern und legte die Stirn in Falten.
Scheiße, er wusste das ja selbst nicht mal so genau.
Warum konnte er das ganze nicht einfach vergessen, so wie Nico, der morgen wahrscheinlich mit ner Gedächtnislücke und nem übelsten Kater aufwachen würde?
„Vielleicht hab ich Angst vor meinen Gefühlen.", dachte Sascha laut nach und fügte leise hinzu: „und vor den Konsequenzen."
Nico blieb ne Weile lang still und beobachtete den Rauch, der vor ihnen im Dunklen verschwand.
Dann zuckte er mit den Schultern und fröstelte kurz.
„Ichh...'s ist arschkalt. Und isch bin arschmüde. Ich leg mich wieder hin."
Er zögerte und grinste ein bisschen.
„Sag besch..scheid wenn du keine Angst mehr has."
Sie sahen sich einen Moment nur an, bis Sascha leicht nickte und Nico sich umdrehte, um wieder zurück ins Bett zu fallen.
Er blieb noch eine Weile am Fenster stehen und hing seinen Gedanken nach, bis er irgendwann Nico leise schnarchen hörte und seufzend seine inzwischen schon zweite Kippe ausdrückte.

Es war ein Angebot, von dem er nicht wusste, was er damit anfangen sollte.
Irgendwie war er sich sicher, dass Nico dieses Gespräch nicht wie sonst immer am nächsten Morgen vergessen haben würde. Und ehrlich gesagt wusste er nicht, ob er das gut finden sollte.
Aber grade, beschloss er, war es ihm scheißegal, weil er grade einfach nur noch schlafen wollte.
Er warf einen Blick auf Nico, der mit halb offen stehendem Mund schlafend im Bett lag und musterte ihn einen Moment lang.
Dann musste er leicht lächeln.

Sani OS - Sascha x NicoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt