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Wenn mir ein anderer diese Geschichte auftischen wollte, würde ich sie unter Garantie nicht glauben, also erwartet nicht zu viel von mir. Erzählen möchte ich sie trotzdem, schon um sicherzugehen, dass ich nicht vergesse, was an jenem Abend geschehen ist.

Es regnete schon seit Stunden, dunkelte und ich begann, mir Sorgen zu machen, weil mein Kater noch nicht zurück war. Normalerweise konnte man die Uhr danach stellen, wann Hatfield zum Abendessen kam, doch dieses Mal verspätete er sich gewaltig. Immer wieder hielt ich Ausschau am Fenster oder ging auf die Terrasse, um ihn zu rufen, doch nichts geschah, außer dass es Nacht wurde und mir der Wind den Regen kalt ins Gesicht klatschte.

„Hatfield, wo steckst du?", rief ich zum zigsten Mal. „Herrchen macht sich Sorgen", fügte ich hinzu und überlegte, ob ich mir Gummistiefel und Regenjacke schnappen sollte, um ihn zu suchen. Zwar lebte ich in einem Haus am Rand des Ortes, wo schon bald der Wald begann, doch die Landstraße war nicht allzu weit entfernt und es kam dort bei schlechter Sicht gelegentlich zu Unfällen, vor allem bei Wildwechsel in den frühen Morgenstunden.

Ein plötzliches Rascheln im Rhododendron ließ mich aufhorchen.

„Hatfield! Bist du das?"

Es kam kein Maunzen zurück. Stattdessen knackten ein paar Äste in dem Strauch, und zwar so laut, dass dies sicher nicht mein Kater verursachte. Was immer es war, musste größer sein. Um Einiges größer.

Neugierig wollte ich nachschauen, stapfte über den pitschnassen Rasen und lugte vorsichtig durch die Blätter des Buschs hindurch. Natürlich war nichts zu erkennen, doch ein leises Knurren verriet, dass irgendein Tier darin war. Ein Dachs vielleicht? Ich kramte trotz des Regens mein Handy hervor und leuchtete hinein. Da sah ich ihn. Einen Hund, dachte ich. Ziemlich groß, verdreckt und verletzt. Er winselte, als ihn der Lichtstrahl traf und ich sah eindeutig eine offen blutende Wunde am rechten Hinterlauf. Er musste sich von der Landstraße bis zu meinem Rhododendron geschleppt haben. Liegen bleiben konnte er dort jedenfalls nicht. Also sprach ich beruhigend auf ihn ein und wagte mich langsam weit genug in das Gebüsch, bis ich ihn erreichte. Als er den Kopf hob, um mich anzusehen, erschrak ich. Seine Augen blitzten silbern auf und sein Fell sträubte sich. Kein Wunder, wenn er gerade angefahren worden war.

„Bleib ganz ruhig, ich tu dir nichts."

Vorsichtig hielt ich ihm meine Hand hin, damit er sie beschnuppern konnte, was er allerdings nicht tat. Eher schien er die Nase zu rümpfen. Trotzdem ließ er mich an sich heran, sodass ich ihn besser sehen konnte. Da war etwas Wildes in ihm, ganz gewiss sogar. Er musste so ein Wolfshybride sein. Die Form des Kopfes, der Ohren und die Fellzeichnung wiesen darauf hin. Wahrscheinlich war er ein sehr schönes hellgrau-weißes Tier, wenn er nicht völlig durchnässt und verdreckt war. Denke ich heute darüber nach, dann wundert es mich, dass ich nicht zögerte und mich sogleich daran machte, ihn ins Haus zu bringen.

„Lass dir helfen, das wird schon wieder", beruhigte ich ihn, oder mich?

Er knurrte leise und jaulte einmal kurz auf, als ich ihn auf meine Arme nahm und so behutsam es ging aus dem Strauch heraustrug. Ich redete weiter auf ihn ein, schaffte ihn hinein und legte ihn im Wohnzimmer auf einen Florteppich, wo ich mir bei Licht einen besseren Eindruck von seinen Verletzungen verschaffte. Zum Glück sah es nicht so aus, als seien irgendwelche Knochen gebrochen. Doch eine Platzwunde klaffte am Oberschenkel. Mir blieb nichts anderes übrig, als diese notdürftig zu versorgen, bis ich am Morgen mit ihm zum Tierarzt fahren könnte. Also holte ich alles Notwendige aus dem Bad und ging ans Werk. Er begriff offenbar was ich tat, denn er atmete ruhig und ließ mich machen. Es dauerte fast eine ganze Stunde, bis ich ihn getrocknet und vom Schmutz befreit hatte. Die offene Stelle tupfte ich sorgfältig ab und stellte fest, dass sie kaum blutete. So musste ich sie nur etwas lose mit Mull und Vlies verbinden, was für die Nacht genügen sollte. Schließlich streichelte ich ihn noch ein wenig, worauf er den Kopf hob und mich mit seinen funkelnden Augen anschaute, so als sei da mehr als ein tierischer Verstand dahinter. Es war nur ein kurzer Moment, in dem etwas in der silbernen Iris aufzublitzen schien, ... etwas Fremdartiges und doch Vertrautes. Ich schüttelte den Kopf. So ein Unsinn, dachte ich.

Rainy MoonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt