Die Tribute von Panem ~Mockingjay Teil 1

Kapitel 4

~ Am nächsten Morgen ~
"Katniss. Soll ich zu dir runterkommen?", fragt Gale durch das Headset. Gale ist mein bester Freund. Er sitzt oben in einem Hovercraft und wacht über mich, bereit zum Sturzflug, falls irgendwas nicht stimmen sollte. Erst jetzt merke ich, dass ich auf dem Boden kauere, Ellbogen auf den Oberschenkeln, Kopf zwischen den Händen. Vielleicht sehe ich so aus, als ob ich gleich zusammenbreche. Aber das darf ich nicht. Nicht jetzt, da sie endlich die Medikamente absetzen wollen. Ich richte mich auf. "Nein. Mir geht's gut", sagte ich. Der Sommer war glühend heiß und knochentrocken. Die Aschenhaufen, die der Angriff hinterlassen hat, blieben nahezu unberührt von Regentropfen. Kein Windstoß zerstreut sie. Ich hefte den Blick fest auf die Straße, die in meiner Erinnerung hier einmal verlaufen war. Vorhin, als ich auf der Weide gelandet bin, habe ich nicht aufgepasst und bin gegen einen Stein gestoßen. Nur dass es kein Stein war, sondern ein Totenschädel. Er kullerte davon und blieb mit dem Gesicht nach oben liegen, und lange könnte ich den Blick nicht von den Zähnen wenden, die ganze Zeit fragte ich mich, wem sie wohl mal gehören haben. Ich war einfach schockiert. Überall lagen Überreste der Menschen, die versuchten zu fliehen. Einige wurden vollständig eingeäschert. Andere, die wahrscheinlich im Qualm erstickt sind, entkamen der schlimmsten Feuersbrunst und liegen nun in unterschiedlichen Stadien der Verwesung da und stinken vor sich hin, bedeckt mit Fliegen, Beute für die Aasfresser. ιcн нaвe dιcн geтöтeт. υnd dιcн. υnd dιcн. Denn das habe ich. Es war mein Pfeil, abgeschossen auf den wunden Punkt im Kraftfeld um die Arena, der diesen Feuersturm der Vergeltung verursacht, ganz Panem in Chaos gestürzt hat. 90% der Bevölkerung im Distrikt 12 sind tot. Die verbliebenen etwa 800 Menschen leben als Flüchtlinge in Distrikt 13. So dürfte ich nicht denken, ich weiß. Ich müsste dankbar dafür sein, wie wir - krank, verletzt, hungernd und mit leeren Händen dort aufgenommen wurden. Sie hatten nur das Pech, das sie mich hatten. Niemand regte sich, um zu protestieren oder das Geschehen in der Arena zu bejubeln. Trotzdem tauchten binnen einer Viertelstunde am Himmel Hoverplanes auf und es hagelte Bomben. Gale hatte die Idee mit der Weide, einem der wenigen Orte im Distrikt, die nicht mit alten, in Kohlenstaub eingebetteten Holzhäusern bebaut waren. Dorthin trieb er so viele Leute, wie er konnte, einschließlich meiner Mutter und Prim. Er stellte eine Gruppe zusammen, die den Zaun niederriss - der nun, da der Strom fehlte, nur noch aus harmlosen Maschendraht bestanden -, und führte die Menschen in den Wald. Er brachte sie an den einzigen Ort, der ihm einfiel: den See, den mein Vater mir als Kind gezeigt hat. Von dort aus schauten sie zu, wie in der Ferne die Flammen alles, was sie von der Welt kannten, verschlangen. Meine Mutter und Prim hatten ein Krankenlager eingerichtet und versuchten, die Verletzten mit dem zu behandeln, was sie im Wald fanden. Plötzlich nach 3 Tagen, aus heiterem Himmel ein Hovercraft auf und brachte sie nach Distrikt 13. Ich ging weiter zu der Stelle, wo die Bäckerei von Peetas Familie gestanden haben muss. Es ist kaum mehr davon übrig als ein geschmolzener Klumpen, da, wo früher der Ofen stand. Peetas Eltern, seine beide älteren Brüder - keiner von ihnen hat es nach 13 geschafft. Ich ging weiter. Ich blieb stehen vor unserem Haus. Natürlich ging ich rein. In der Küchentür steht der hässlichste Kater der Welt, er macht einen Buckel und legt die Ohren an. "Butterblume!", rief ich. Tausende sind gestorben, doch er hat überlebt und sieht sogar wohlgenährt aus. Wie hat er das geschafft? Ich gehe in die Hocke und streckte meine Hand aus. "Komm her, alter Junge." Höchst unwahrscheinlich, dass er das tut. Er blinzelt mit seinen hässlichen gelben Augen. "Möchtest du Prim sehen?" Beim Klang dieses Namens wird der Kater aufmerksam. Neben seinem eigenen Namen ist dies das einzige Wort, das für ihn eine Bedeutung hat. Er gibt ein eingerostetes "Miau" von sich und kommt näher. Ich hebe ihn hoch, streichelte sein Fell, gehe hinüber zum Wandschrank, wo ich meinen Beutel für die Jagdbeute aufbewahre, und stopfe ihn kurzerhand hinein. Meiner Schwester bedeutet er alles. Ihre Ziege Lady, ein Tier von praktischerem Nutzen, hat sich leider noch nicht blicken lassen. Gale meldet sich über das Headset und sagt, dass wir fortmüssen. Ich ging die Treppe hinauf in mein Schlafzimmer. Im Schrank dort hängt die Jagdjacke meines Vater. Ich zog sie an. Ein komisches Gefühl kriecht über meinen Rücken bis in den Nacken. Ich fahre herum, aber der Raum ist leer. Aufgeräumt. Alles an seinem Platz. Es war kein Geräusch. Was dann? Meine Nase zuckt. Es ist der Geruch. Süßlich, künstlich. Aus der Vase mit dem vertrockneten Blumen auf der Kommode schaut ein weißer Farbklecks. Vorsichtig gehe ich näher heran. Es war eine weiße Rose. Vollkommen, bis in den letzen Dorn und das letzte seidige Blatt. Ich weiß sofort, wer sie mir geschickt hat.
Präsident Snow.
Wie lange steht sie schon da? Einen Tag? Eine Stunde? Vielleicht haben sie der Rose keine Bedeutung geschenkt? Ich schon. Ich lief raus und winkte wild dem Hovercraft, während Butterblume heftig strampelt. Ich verpasste ihm einen Schlag mit dem Ellbogen. Das Hovercraft kommt näher, eine Leiter wird herabgelassen. Ich steige auf, und der Strom bannt mich bis ich an Bord gezogen bin. Gale hilft mir von der Leiter herunter. "Alles in Ordnung bei dir?" "Ja", sagte ich und wische mir mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht. Er hat mir eine Rose hinterlassen! Niemand wird verstehen, wieso das mich einfach nur irgendeine Blume und auch nicht nur irgendeine Blume von Präsident Snow ist, sondern eine Racheversprechen. Denn niemand außer mir hat mit ihm in dem Arbeitszimmer gesessen, damals, vor der Tour der Sieger, als er mir drohte. Die schneeweiße Rose auf meiner Kommode ist eine persönliche Botschaft an mich. Sie weist auf eine offene Rechnung hin. Sie flüstert:

"Ich kann dich finden. Ich kann dich erreichen. Vielleicht beobachte ich dich genau in diesem Augenblick."

//Sorry, für die lange Pause. Gefällt es euch? 💕//