Kapitel 3

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D A M A L S
S E P T E M B E R

Nach etwa einer Woche hatte ich mich einigermaßen an meinen Stundenplan gewöhnt. Ich wusste, wann ich wo sein musste und welches Fach mich wann erwartete. Den Klausurenplan für dieses Halbjahr würden wir frühestens in zwei Woche bekommen und die Galgenfrist tat uns allen gut. Hier und da wurden schon die ersten Einladungen zu Partys von Mitschülern verschickt, doch wahrgenommen hatte ich keine. Weder Partys, noch Alkohol waren wirklich mein Ding und obwohl mir das von einigen meiner Mitschüler vorgehalten wurde, konnte ich auf Anna bauen, die Verständnis dafür hatte. Somit hatte ich seit über einem Jahr bereits den Titel der Spaßbremse inne, der hier und da von der Annahme, ich wolle damit nur zeigen, wie ach so anders ich doch war, ersetzt wurde. Anfangs hatte ich mich unwohl gefühlt, wenn ich unter den argwöhnischen Blicken meiner Mitschüler erklärt hatte, dass ich weder trank noch feierte, doch mittlerweile war es mir egal. In nicht einmal zwei Jahren würden sich unsere Wege sowieso trennen und wahrscheinlich nie wieder kreuzen.

Im Laufe der letzten zwei Wochen hatte sich der Sportunterricht bei Frau Haas immer mehr zum Highlight meiner Tage entwickelt. Sport war schon immer mein Ausgleich zum Alltag gewesen und Frau Haas gestaltete den Unterricht so abwechslungsreich und gut, dass ich endlich wieder ein Fach hatte, auf das ich mich wirklich freute. Meine erste Einschätzung war richtig gewesen: Frau Haas pflegte einen lockeren, fast schon kumpelhaften Umgang mit dem Kurs, hatte aber auch schon einige wenige Male bewiesen, dass sie uns unter Kontrolle hatte und sich durchsetzen konnte, wenn sie es musste. Sie scheute sich nicht vorm Anpacken und spielte bei Mannschaftsspielen wie Basketball oder Völkerball gerne mit. Sie war bei allen beliebt und das spiegelte sich auch unter uns wider, denn das Kursklima war wesentlich angenehmer, seitdem Frau Haas da war.

Heute stand die erste Theoriestunde an und somit würde sich heute zeigen, ob Frau Haas uns auch gut durchs Abitur bringen würde. "Bälle werfen kann jeder", sagte Anna neben mir und ich musste über ihr Timing schmunzeln, "Wenn sie jetzt noch guten Unterricht macht, den man auch versteht, ist sie der Jackpot." Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da redete Anna weiter. "Du bist ja mal wieder komplett overdressed", tadelte sie, "Du bist noch keine Anwältin." - "Vielleicht sind alle anderen ja einfach nur underdressed", gab ich gespielt beleidigt zurück, während ich mein Outfit musterte. Der Kragen meiner weißen Bluse schaute unter dem Ausschnitt meines grauen Pullovers hervor. Dazu hatte ich eine blaue Chino und weiße Sneaker komibiniert, im Versuch, nicht komplett fehl am Platz zu wirken. "Willkommen zu einer neuen Episode von: Quinn hat bemerkt, dass Anna - wie immer - recht hat", kommentierte Anna die Situation, bevor ich ihr lachend einen spielerischen Stoß mit meinem Ellbogen zwischen ihre Rippen verpasste. "Aua, Körperverletzung!", rief Anna dramatisch und hielt sich mit gespielt schmerzverzerrtem Gesicht die Seite. "Du bist ja nur eifersüchtig", stichelte ich zurück. "Spaß beiseite", meinte Anna daraufhin, "Wenn ich für dein Team spielen würde, wäre ich schockverliebt." Jetzt konnte ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten und prustete los. "Ich fühle mich geehrt", brachte ich zwischen meinem Lachen hervor, bevor Anna mich hinter sich ins Klassenzimmer zog und wir uns immer noch lachend unsere Plätze suchten.
Als die Tür wenig später erneut ins Schloss fiel, drehten sich alle Köpfe in Richtung der Tür. Frau Haas war wieder vergleichsweise mager ausgestattet: Neben unserem Buch hatte sie nur einen Tafelstift dabei. "Wisst ihr zwei von 'nem wichtigen Termin, von dem ich nichts weiß?", flüsterte Anna mir zu, als Frau Haas sich gerade zur Tafel drehte. "Nein, wir haben einfach Stil", flüsterte ich ebenso ruhig zurück. Frau Haas' Blazer gab die Sicht frei auf ein legeres T-Shirt, das ihren Ausschnitt zwar hervorhob, sie jedoch immer noch stilvoll aussehen ließ. Ihr langen und grazilen Beine steckten in einer dunklen Skinny Jeans und jeder ihrer Schritte war dank der hohen Schuhe nur zu gut zu hören. Ihre braunen Haare, deren dunkelblonden Akzente ich erst jetzt bemerkte, waren in einen lockeren Dutt hochgesteckt, doch die ein oder andere Strähne verirrte sich hier und da in ihr Gesicht. Sie sieht verdammt gut aus, schoss es mir durch den Kopf, doch ich verwarf den Gedanken genauso schnell, wie er gekommen war. Ich senkte meinen Blick auf das Blatt vor mir, ich wollte um jeden Fall vermeiden, dass ich wieder mit dem Kopf voran in ein Fettnäpchen sprang und sie mich erneut beim Starren erwischte.

I Need You To Hate Me || girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt