Sie stand am Rande der Klippe. Aber auch am Rande der Verzweiflung und der Klippe, deren Ende einen Neuanfang, aber auch das Ende bedeuten konnte. Doch wen interessierte soetwas schon? Wer nahm sich den Problemen einer Fremden an? In wie weit interessierten sich die Menschen überhaupt noch für andere in dieser Welt? Einer Welt, in der es nur darum geht, anderen zu imponieren.
Er startete seinen Wagen. Langsam begab er sich zu dem einzigen Ort, an dem er er selbst sein konnte. An dem niemand Erwartungen an ihn stellte. An dem er der Wirklichkeit, wenn auch nur für wenige Augenblicke, entkommen konnte. Als er dort ankam sah er eine Silhouette. Eine Frau.
Sie verabschiedete sich von ihrem Leben. Schloss mit all den ungeklärten Dingen ab. Entschuldigte sich mental bei all denjenigen, die sie verletzt hatte und noch verletzten würde. Dann schloss sie für einen Moment die Augen. Als sie den vorgeblich letzten Atemzug nahm, erklang eine unerwartete Stimme hinter ihr.
Es sah so aus als wolle sie sich von der Klippe stürzen. Er überlegte, ob er etwas sagen sollte, oder sich einfach abwenden sollte. Dies war nicht sein Kampf. Und auch nicht seine Geschichte. Doch bevor er sich zu etwas entschließen konnte, hatten die Worte bereits seinen Mund verlassen.
„Egal was, es ist es nicht wert. Dein Leben scheint dir unausweichlich beendet, einfach sinnlos, nur noch deprimierend. Du siehst keinen Ausweg. Dein Verstand sagt dir, dass es besser werden kann, wenn du nur genug dafür tust. Doch dein Herz und deine Seele sind der Meinung, aufgeben wäre der einzige Ausweg. Doch vielleicht ist er das nicht. Vielleicht ist er nur der leichteste Ausweg. Oder der Schnellste. Aber sicherlich nicht der Beste. Ich will dir weder vorschreiben, was du zu tun hast, noch dich bevormunden. Doch denk nochmal über meine Worte nach, bevor du springst."
„Vielleicht wollte ich gar nicht springen?", sprach sie reserviert. Dabei wandte sie sich jedoch nicht um. Einen Moment herrschte schweigen. Nur seine Schritte klangen laut in der nachdenklichen Stille. Die Beiden standen stumm nebeneinander und sahen auf den weiten Horizont des Meeres. Wie er sich in unendlicher Weite verlor.
Nach einiger Zeit brach sie das Schweigen: „Du hast Recht, ich wollte springen. Ich will es immer noch, doch deine Worte haben mich bewegt. Irgendwie hast du mich mit deinen Worten gerettet. Du hast mich aufgeweckt. Vielleicht hast du auch Recht. Du kennst meine Geschichte nicht und ich kenne Deine nicht, dennoch hast du mehr in mir bewegt, als viele meiner Bekannten, Freunde und Verwandte in meinem ganzen Leben."
Dieses Geständnis stimmte ihn nachdenklich. Konnte er mit einer so, für ihn unbedeutenden, Geste einem Menschen den er nicht kannte auf diese Weise helfen? Konnte er wirklich so viel zu dem Seelenfrieden eines Menschen beitragen?
Sie sah ihn nicht an, dennoch bemerkte sie die nachdenkliche Aura, die sich um ihn herum ausbreitete. Sie schloss die Augen, drehte sich zu ihm und küsste ihn ohne Vorwarnung. Es war kein verlangender Kuss. Auch kein Verliebter. Vermutlich war dieser nicht einmal aus dem Moment heraus geschehen, sondern einfach nur ein Reflex. Der Kuss drückte all die Dankbarkeit und die neu entstandene Hoffnung aus. Danach wandte sie sich ab.
Die Beiden würden sich vermutlich nie wieder begegnen. Und falls doch, würden sie sich mit größter Wahrscheinlichkeit nicht wiedererkennen. Trotzdessen haben Beide im Anderen etwas zu tiefst bewegt, was niemand zuvor auch nur anzutasten wagte. Sie hatten einander Hoffnung auf einen neuen Weg gegeben.
Wörter: 568
Danke, dass ihr meine erste Kurzgeschichte gelesen habt. Ich hatte die Idee schon länger, doch mir fehlte immer der zündende Funke. Jetzt war er da und ich hoffe euch bewegt diese Short-Story genauso wie mich.
Lasst mir doch gerne Kritik, Lob oder Anregungen da. Ich werde auf so viele Kommentare wie möglich eingehen.
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Lost Directions
Short StoryEine Kurzgeschichte mit Hintergrund. Selbstmord und tiefgründige Gedankengänge. 568 Wörter Alle Rechte liegen bei mir. Wer die Idee oder das Werk stiehlt kann strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.