Kapitel 1

17 2 0
                                    

Mary


"Also sehen wir uns am Samstag?", frage ich flüsternd.

"Ja."

Das Grinsen breitet sich über mein ganzes Gesicht aus. Mein Herz pocht heftig und schnell gegen meine Rippen. Ich weiß nicht, was mich mehr in Aufregung versetzt: Dass ich am Samstag endlich meinen Freund wiedersehe oder die Tatsache, dass ich gerade etwas Verbotenes tue. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.

Ich fahre mir nervös durch die Haare, weil ich nicht weiß, wohin mit meinen Adrenalinstößen. Am liebsten würde ich aufstehen und hüpfend meinen Lieblingssong grölen, aber das kommt sicher nicht so gut. "Und du bist dir ganz sicher, dass du da kannst?"

Ich höre ihn durch mein Handy belustigt schmunzeln. Er hat es schon immer amüsant gefunden, wenn ich etwas nicht glauben konnte und deswegen mindestens hundert Mal nachgefragt habe. "Ja, Mary. Wir sehen uns und dann werde ich dich endlich wieder in meine Arme schließen können."

Ein Gefühl von Wärme durchflutet meinen Körper, während ich mir vorstelle, wie Kai tatsächlich seine langen Arme um meinen kleinen Körper schlingt und mich hochhebt, als würde ich nicht mehr als eine Feder wiegen. "Weißt du eigentlich, wie schön sich das anhört?"

"Ich hoffe, so schön, dass du es bis Samstag kaum noch erwarten kannst", murmelt er leicht verlegen.

"Kann ich nicht. Ich würde am liebsten jetzt sofort zu dir rennen und dich anspringen, sodass wir auf dein Bett fallen. Und dann werde ich für immer bei dir bleiben und nie wieder aufstehen."

Kai fängt an zu lachen. "War das gerade eine Anspielung auf meine zu kleine Wohnung?"

"Vielleicht."

Kai ist Student - Medizinstudent, um genau zu sein. Er hat einen Job, aber den benutzt er hauptsächlich, um den größten Teil seiner Studiengebühren zu stemmen, um keine anderen Hilfen zu benötigen. Mal ganz davon abgesehen, dass er schon immer in dem kleinen "Schuhkarton", wie ich seine Wohnung liebevoll nenne, lebt, selbst als er noch zur Schule gegangen ist.

"Tja, es kann halt nicht jeder in einem Schloss wohnen."

"Das ist kein Schloss", widerspreche ich trotzig. Nein, das ist es tatsächlich nicht, eher ein Gefängnis. Ich wünschte, ich würde denselben Mut wie Kai oder wie mein Bruder Aiden aufbringen und von Zuhause ausziehen. Jedoch schwöre ich mir, dass ich es schaffen würde, das Jahr noch durchzuhalten. Nur noch ein Jahr und dann hätte ich den Abschluss in meiner Tasche und könnte sogar aus der Stadt verschwinden. Ich habe sogar ein wenig Geld zusammengespart und könnte davon sicherlich ein paar Monate leben, bis ich in der neuen Stadt einen Job gefunden hätte. Die Chance liegt zum greifen nah. Ich muss sie nur noch fassen.

Allerdings würde es bedeuten, dass ich sowohl Kai als auch Aiden und meine beste Freundin Zoey zurücklassen muss.

Naja, ich habe ja noch ein Jahr Zeit, um mir etwas zu überlegen.

"Sei nicht so hart", ermutigt Kai mich. "Dein Vater will doch nur das Beste für dich."

"Ich weiß nicht." Nachdenklich überfliege ich die Buchrücken in dem Regal, welches mir gegenübersteht. Wenn ich nach den hunderten Besuchen hier eins gelernt habe, dann dass das Einzige, was hier bequem ist, die roten Ledersofas sind. Weder der Boden noch die Bücher, auf denen man schläft oder — wie in meinem Fall — im Rücken spürt, weil man sich in der hintersten Ecke auf dem Boden versteckt, um nicht gehört zu werden.

Ja, das ist das Verbotene, was ich gerade tue. Ich telefoniere in der Bibliothek. Nichts bahnbrechendes und das einzig Verbotene, was ich ziemlich oft tue. Ansonsten bin ich eigentlich ziemlich brav ... zu meinem eigenen Leidwesen.

Make It BetterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt